Mittwoch, 28. März 2018

Akte X – eine große Serie endet mit einem Desaster

Nach der Midseason kehrten die X-Files mit zum Teil grandiosen Folgen aus der Pause zurück. Die letzte Episode hatte erneut Chris Carter zu verantworten. Wie befürchtet gelang es nicht, Sully und Mulder einen würdigen Abgang zu verschaffen. Aber es gibt eine Lösung!

Die Lösung ist recht einfach: Man vergisst 11x10 „My Struggle IV“ einfach, streicht diese Folge komplett aus dem Gedächtnis und betrachtet die 9. Episode als Ende. Denn besser als „Nothing Lasts Forever“ kann ein Finale nicht aussehen. Zuvor zogen die Macher noch einmal alle Register und schenkten den Fans einige witzige Geschichten. Die zeigten, dass man mit guten Scripts Akte X auch in Zukunft weitererzählen könnte.



11x05: Ghouli

Buch und Regie: James Wong. „Ghouli“ war die letzte Episode vor der Winterpause. In einem schön-schaurigen Cold Open verfolgen sich zwei Mädchen auf einem Schiffswrack, um sich gegenseitig zu töten. Der Zuschauer sieht zwei Mädchen, diese sehen dagegen ein furchterregendes Monster – eine Sinnestäuschung, für die jemand mit paranormalen Fähigkeiten verantwortlich ist. Ed handelt sich um einen jungen Mann, der sich Jackson Van De Kemp nennt und offenbar über starke PSI-Kräfte verfügt. Er manipuliert die visuelle Wahrnehmung und entscheidet, was sein Gegenüber sieht: ein Monster, einen alten Mann, was immer erforderlich ist.
Aber „Ghouli“ ist nicht nur eine „Monster of the Week“-Episode. Scully düstere Ahnungen bewahrheiten sich rasch: Jackson ist ihr Sohn William, den düstere Mächte jagen. Die Sache mit den Monstern war lediglich ein gefährlicher Spaß, den sich Jackson aka William mit seinen beiden Freundinnen Sarah und Brianna erlaubte.
Tatsächlich tödlich sind aber die Kugeln, die wenig später Jacksons Adoptiveltern umbringen. William kommt in mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, was eine schöne Szene für Gillian Anderson ergibt, die zeigen kann, dass sie eine verzweifelte Mutter mit viel Gefühl spielen kann. An Ende ist ihr Sohn wieder einmal auf und davon, nicht ohne ein schönes Gespräch mit seiner Mutter zu führen. Nur sieht die einen Japaner.

  • „Ghouli“ ist eine insgesamt befriedigende Episode. James Wong erzählt die Ereignisse aus „My Struggle“ weiter und schafft es sogar, rückwirkend etwas mehr Klarheit herzustellen. Endgültig wird klar, dass alles, was Scully zu wissen glaubte, lediglich Visionen einer schrecklichen Zukunft waren, die wahr werden kann, wenn niemand den Raucher aufhält.

The X-Files 11x06: Kitten

Buch: Gabe Rotter. Regie: Carol Banker. Eine Solo-Episode für Mitch Pileggi führt uns Jahrzehnte zurück in den vietnamesischen Dschungel, in dem der junge Skinner nur knapp einen Einsatz überlebt, bei dem seine Einheit komplett ausgelöscht wird. Sie hat versehentlich Kampfgas der US-Army freigesetzt, was Skinners Freund John „Kitten“ James in einen monströsen Killer verwandelte – wieder einmal eine dieser scheußlichen Erfindungen der bösen Staatsmacht, die zeigen, dass man die Geister, die man heraufbeschwört, nicht mehr los wird.
Scully und Mulder werden in der Gegenwart von Director Kersh auf die Suche nach Skinner geschickt, der spurlos verschwunden ist. Kein Wunder, denn in Mud Lick, einem Provinznest in Kentucky, lebt John „Kitten“ James jnr. – und der hat ein Monsterkostüm im Schrank.

„Kitten“ ist zwar nicht ganz eine One-Mann-Show von Mitch Pileggi, aber immerhin erfährt man in dieser Episode, dass Skinner seine Karriere ausgehebelt hat, um Scully, Mulder und die X-Files zu schützen. Der Rest ist eine bitterböse Monster of the Week“-Episode, in der Haley Joel Osmond gleich zwei Rollen spielt: den Vater und den Sohn. Osmond, dem nach „The Sixth Sense“ und „A.I. Artificial Intelligence“ nur eine bescheidene Karriere gelang, hat einen nostalgischer Auftritt, auch weil man den einstigen Kinderstar in dem gewichtigen Pfundskerl nicht auf Anhieb wiedererkennt.

  • „Kitten“ ist zwar kein Highlight der zweiten Staffelhälfte. Dass der in den vergangenen Episoden leider etwas zu zwielichtig gezeichnete Freund und Vorgesetzte von Scully und Mulder sein Herz an der richtigen Seite trägt, wird allerdings klar.


The X-Files 11x07: Rm9sbG93ZXJz

Der unaussprechliche Titel machte neugierig. Regisseur Glen Morgan präsentierte eine Episode, wie man sie noch nie in den X-Files gesehen hat. Nach einer Idee von Glenn Morgan verfassten Shannon Hamblin und Morgans Frau Kristen Cloke ein Script, in dem Mulder und Scully so wenig wie möglich sprechen sollten. 
Den Schlüssel zu „Rm9sbG93ZXJz“ findet man im Cold Open. Dort wird vom Chatbot „Tay“ erzählt, den Microsoft im Jahre 2016 auf das Internet losließ - eine KI, die vom Menschen lernen sollte. Tat sie auch: innerhalb von 24 Stunden war Tay ein Hitler-Verehrer, befürwortete Genozid (an Mexikanern natürlich: „…ihr kennt mich“) und leugnete den Holocaust. Microsoft kapitulierte und schaltete die KI ab.

In 11x07 werden Social Bots, KI-Programme und simple Saugroboter nun mit Scully und Mulder konfrontiert, aber wer da nun von wem lernt, ist nicht so ganz klar. Die Geschichte wirkt so, als hätten die Macher die beiden Agenten in ein Paralleluniversum geschleudert, in dem sie sich gegen ein Heer von Drohnen und Robotern wehren müssen. Die versprechen ihnen, alles zu tun, um sie glücklich zu machen und dass sie noch lernen müssen, wie das geht, aber tatsächlich rennen Mulder und Scully nach der ersten Viertelstunde bereits um ihr Leben: das „Internet of Things“ wird zum „Internet of Monsters.
Das fängt witzig an. Mulder und Scully sitzen in einem menschenleeren Sushi-Restaurant, spielen schweigend mit ihren Smartphones und bestellen schließlich. Das Chaos beginnt, als Mulder nicht das Gewünschte erhält, den Ekelfisch umgehend entsorgt und bei der Bezahlung das Trinkgeld verweigert. Danach kann er seine Kreditkarte nicht mehr aus dem Schacht ziehen, das Licht fällt aus, die Türen werden vollautomatisch verrammelt. Mulder und Scully können nur ganz knapp entkommen.

Vor wem eigentlich? Wie in der Episode „Ghost in the Machine“ (1993) hat offenbar ein Schwarm von Künstlichen Intelligenzen die Kontrolle über alles und jeden übernommen. Scully muss sich auf der Heimfahrt mit einem penetrant aufdringlichen Navi auseinandersetzen, im trauten Heim weigert sich die Alarmanlage, das Passwort zu akzeptieren („Queequeg“! Herman Melville würde sich freuen), ein aggressiver Saugroboter übernimmt das Regiment. 
Auch Mulder hat nichts zu lachen, denn sein Smartphone lehnt alle Passwords ab, während das Sushi-Restaurant bzw. die Sushi-KI pausenlos Bewertungen seiner Dienstleistung fordert und dem gequälten Agent mitteilt, innerhalb welcher Zeit er das Trinkgeld zu zahlen hat. Mulder bekommt sogar per Drohnenpost ein Paket (vermutlich von AMAZON), aber er zertrümmert die Drohne („Lern‘ daraus!“) und rennt schließlich mit Scully, deren Haus inzwischen abgefackelt wurde, erneut um sein Leben. Am Ende zahlt Mulder das Trinkgeld und alles wird wieder gut.

„Rm9sbG93ZXJz“ ist eine avantgardistische, satirische und leicht dystopische Episode, in der tatsächlich wenig geredet, aber viel erzählt wird. Dies natürlich in Bildern, das hatte sich Glen Morgan immer schon gewünscht. Immerhin verblüfft dies eine Viertelstunde lang, wird dann aber ein wenig langweilig.

Die eigentliche Pointe von „Rm9sbG93ZXJz“ ist nicht die zivilisationskritische Parabel, in der unsere Konditionierung durch digitale Geräte und Medien auf die Schippe genommen wird. Vielmehr outen sich Mulder und Scully wieder einmal als analoge Wesen, die zwar mir der Technik spielen, aber in ihrem Herzen der schleichenden Umwandlung unserer Welt nicht trauen. 
Locker kommuniziert die Episode mit 11x02 „This“, tatsächlich geht es darum, dass die Maschinen, Roboter und KI’s wieder einmal nichts von den Menschen lernen können. Nur wehren sie sich diesmal gegen ihre Schöpfer. Am Ende sitzen Mulder und Scully in einem in warmen, heimeligen Farben gefilmten Fast Food, bestellen bei einer freundlichen Kellnerin und halten Händchen. Es ist noch einmal gut gegangen. Diesmal. 


  • „Rm9sbG93ZXJz“ ist experimentell, charmant und witzig und trotz einiger Längen eine Episode, in der die neue Staffel an die besten Geschichten der X-Files anknüpft.


11x08: „Familiar“

Buch: Benjamin Van Allen. Regie: Holly Dale. Die 10. Und 11. Staffel hatten keine Gelegenheit ausgelassen, um den bekannten Erzählfundus der X-Files immer wieder ironisch auf die Schippe zu nehmen. Nun folgte auf die skurrile 7. Episode aber eine brutale und extrem beklemmende Geschichte, in der Scully und Mulder wieder einmal mit Hexen und Dämonen konfrontiert werden. Nur dass diesmal auf grausame Weise Kinder getötet werden. Und zwar von überlebensgroßen Verkörperungen scheinbar harmloser Phantasiewesen. Zunächst ist ein Clown, dann eine an die Teletubbies erinnernde Figur, die zunächst den kleinen Andrew, dann Emily, die Tochter des lokalen Police Chiefs Strong (Alex Carter) weglocken und töten. Während Strongs Deputy einen Pädophilen auf die Abschussliste setzt und schließlich auch öffentlich hinrichtet, vermutet Mulder Hexenwerk. Tatsächlich soll er Recht behalten und am Ende sind nicht nur die beiden Kinder tot, sondern auch vier Erwachsene. Es ging um einen Seitensprung, die Rache einer Frau und die völlig schief gegangene Beschwörung dunkler Mächte. Und dass in der amerikanischen Provinz offenbar recht schnell eine sadistische Hexenjagd empörter Wutbürger möglich ist, haben wir nicht zum ersten Mal in den X-Files gesehen. 

  • „Familiar“ wirkt wie eine scharfe Zäsur, nimmt den Zuschauer nicht mit. Trotz der atmosphärisch gelungenen Regiearbeit von Serienprofi Holly Dale gehört diese Episode nicht zu den Höhepunkten der 11. Staffel.


11x09 „Nothing Lasts Forever“

Buch: Karen Nielsen. Regie: James Wong. Nach 11x05 „Ghouli“ war dies die zweite Regiearbeit von James Wong in Season 11. Das Cold Open zeigte, dass es auch in dieser Episode hart und realistisch zugehen sollte: zwei Chirurgen weiden auf widerliche Weise einen Mann aus, als plötzlich ein weiblicher Racheengel auftaucht, die beiden hinmetzelt und die entnommenen Organe in einem nahegelegenen Krankenhaus vor der Tür ablegt. Offenbar hat jemand eine Rechnung zu begleichen, scheint sich dabei aber an Regeln zu halten. 
Offen sind Scully und Mulder in einem Crime Plot gelandet, in dem es um Organhandel geht. Tatsächlich aber ist Juliet Bocanegra, der von Carlena Britch gespielte Racheengel, auf der Suche nach ihrer Schwester, die sich einem mörderischen Kult angeschlossen hat. Nun murkst Juliet alles ab, was mit den zwielichtigen Gurus, dem ehemaligen TV-Star Barbara Beaumont (Fiona Vroom) und ihrem Buddy Dr. Randolph Luvenis (Jere Burns), zu tun hat. Beaumont und Luvenis müssten beide eigentlich Mitte Achtzig sein, aber zumindest der aufgebrezelte TV-Star sieht kaum älter als 30 aus. Offenbar geschieht in der Sekte Schreckliches.
Also doch Hexerei, vielleicht auch Voodoo. Beaumont und Levenis beschäftigt sich allerdings nicht mit Organhandel, sondern mit dem ewigen Leben. Das winkt nach dem Verzehr von Organen, aber auch, indem man sich an einen anderen Körper per Schlauch ankoppelt und die Lebenskräfte absaugt.

Ähnlich wie „Familiar“ hätte dies schnell in einem abgestandenen Neuaufguss landen können, aber James Wong mixt geschickt die skurrile Subkultur des Kults (die meisten sind gesellschaftliche Verlierer) mit harter Action und unappetitlichem Body Horror à la David Cronenberg. 
Herrlich: Fiona Vroom als singende, grell-charmante und bösartig-verschlagene Kultführerin, die nostalgisch in den TV-Serien der 1950er Jahre hängengeblieben ist und alles andere einfach wegblendet.
Schön an der Episode ist aber, dass James Wong den beiden Helden Zeit gibt, die wunderbaren Dialoge von Karen Nielsen gefühlvoll vorzutragen. Man disputiert über Gott und die Welt, dann wieder über die Welt und Gott und Mulder sagte irgendwann: „I may not believe in God but I believe in you“. Scully flüstert ihm etwas ins Ohr, was man nicht hören kann – näher waren sich die beiden wohl nie. 

  • Mit ihrem tollen Ende hätte die Serie ein restlos überzeugendes Ende finden können. Es kam anders.


11x10: „My Struggle IV“

Buch: Chris Carter. Regie: Chris Carter. „My Struggle IV“ macht dort weiter, wo 11x05 „Ghouli“ endet: die Jagd auf William geht weiter. Der will den „Raucher“ finden, um herauszufinden, wer oder was er ist – eine Befragung, die der Cigarette Smoking Man (William B. Davis) wohl nicht überleben würde. In diesem erzählerischen Chaos, in dem auch Erika Price (Barbara Herschey) und der schmierige Mr. Y (AC Peterson) ebenso wie Monica Reyes (Annabeth Gish) und Skinner Mitch Pileggi) auftauchen, schien es Chris Carter wohl nur darum zu gehen, alle wichtigen Figuren noch einmal auftauchen zu lassen – und sie dann zu töten.
Die verworrenen Handlungsbögen oder das, was der Mythologie übrig geblieben ist, wird also mit einer Massenhinrichtung beendet und setz zumindest auf diese Weise einen ultimativen Schlusspunkt.
Anstatt eine ausgetüftelte Erklärung für die vergangenen Ereignisse anzubieten (was allerdings nicht leicht gewesen wäre), müssen einfach alle sterben – auch Mulder wird scheinbar vom „Raucher“ erschossen, bevor Mulder den „Raucher“ erschießt. Zuvor hat Mulder die beiden Protagonisten des neuen Kartells erschossen, Skinner erschießt dagegen Monica Reyes, bevor er möglicherweise von „Raucher“ getötet wird. Mittendrin ist William, der seine Gestalt wechselt und auch erschossen wird, aber nicht wirklich. Und vielleicht lebt ja auch Skinner noch. Und der „Raucher“ sowieso.



  • Die konfuse Geschichte wird nicht ohne Cliffhanger beendet. Vielleicht hofft Chris Carter immer noch, dass es weitergeht. Einigermaßen zusammengehalten wird die Story von David Duchovny und Gillian Anderson, die endgültig zusammengeführt werden, weil etwas Unerwartetes geschieht.


Fazit 

„Akte X“ endet mit einer insgesamt beachtlichen 11. Staffel, die viel Mut zum Experiment bewies und einige tolle Geschichten zu erzählen hatte. Die Versuche Chris Carters, die Mythologie auch ohne Aliens zu beleben, sind allerdings gescheitert. Carter versuchte den Markenkern der Serie mit allerlei politischen Anspiellungen aufzupeppen, war sich aber nicht zu schade, mit einigen wüsten Verschwörungstheorien zu kollaborieren, die gegenwärtig im Netz umherschwirren. Gelegentlich war dies witzig, aber am Ende einer großen Serie geht es wohl eher darum, die Figuren und ihre Motive nachvollziehbar zu erzählen. Da blieb aber zu vieles im Dunklen.
Mit den X-Files könnte man weitermachen, wenn man sich auf Procedurals beschränkt und noch mehr gute Autoren ins Boot holt. Allen, die bereits jetzt die Nase voll haben, sei etwas ans Herz gelegt: Einfach ab und zu die alten Folgen noch einmal anschauen. Die haben nämlich überraschend wenig an Charme und Witz eingebüßt.


Die Review zur ersten Staffelhälfte gibt es hier.