Dienstag, 10. April 2018

Seven Seconds - Netflix präsentiert Serien-Highlight

„Seven Seconds“ ist eine Anthologie-Serie, die sich zwischen Krimi, Cops & Crime & Money-Stuff und Courtroom-Drama einpendelt, für ein Maximum an Spannung sorgt und dann mit einem verstörenden Ende die Zuschauer ratlos zurücklässt.

Ein Unglück kommt selten allein. Das erfährt der junge Cop Peter Jablonski (Beau Knapp) an einem winterlichen Morgen. Seine Frau steht kurz vor der Entbindung, er telefoniert hektisch. Dann kracht es. Jablonski weiß im ersten Moment nicht, wen oder was er überfahren hat, aber ein Bike unter seinem SUV lässt Schlimmes ahnen. Er ruft seine Kollegen an, sein Vorgesetzter Mike DiAngelo (David Lyons) erscheint mit dem ganzen Team und sagt, was zu tun ist: Spuren beseitigen, Wegfahren, Schweigen. Denn Di Angelo hat das Opfer gesehen, einen farbigen Jugendlichen. Cop überfährt Schwarzen, alles Weitere ist vorprogrammiert, no chance: „Für diese Scheiße werden sie dich kreuzigen!“



Erst am nächsten Tag wird das Opfer gefunden. Brenton Butler heißt er, er lebt noch, hätte auch überleben können, stirbt dann aber wenig später. Sieben Sekunden lang hat der Cop nicht aufgepasst, aber es ist der Anfang einer Tragödie, die alle Beteiligten, auch die ermittelnde Staatsanwältin, Brentons Familie, seine Freunde und Verwandte, in einen Strudel aus Verzweiflung und Wut verstricken wird, auch in eine Spirale der Gewalt, denn es wird weitere Tote geben und schließlich brechen in Jersey City auch Rassenunruhen aus.


„Es gibt keine Scheißunfälle mehr“

Produziert wurde „Seven Seconds“ von den FOX 21 Television Studios, seit Ende Februar dieses Jahres kann man die zehn Folgen bei Netflix sehen. 

Veena Sud kennt sich mit Cops aus. Die in Kanada geborene Autorin, Regisseurin und Produzentin hat drei Staffeln lang für „Cold Case“ geschrieben und das Remake der dänischen Erfolgsserie „The Killing“ (2011-2014) entwickelt. Als Showrunner von „Seven Seconds“ erzählt sie zusammen mit Regisseur Gavin O’Connor („Warrior“, „The Accountant“) eine Geschichte, die in groben Zügen auf Yuri Bykovs Actionfilm „The Major“ basiert.
„Seven Seconds“ legt den Finger in die Wunden einer gespaltenen Gesellschaft. Der puertorikanische Cop Felix Osorio (Raul Castillo) bringt das Dilemma auf den Punkt: „Es gibt keine Scheißunfälle mehr.“
Selbst dort, wo jemand ohne rassistischen Hintergrund ums Leben gekommen ist, ist allein schon die Beteiligung eines weißen Cops ein gefundenes Fressen für die Medien und die Black Lives Matter-Aktivisten. 987 Menschen wurden im vergangenen Jahr in den USA von Cops erschossen, berichtete die Washington Post, über 20% waren männliche Afroamerikaner. Das überschreitet ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung um fast das Vierfache. 2014 wurde sogar ein 14-Jähriger in Ohio von weißen Cops erschossen.
Das wissen auch die drei Drogenfahnder, die routiniert die Tat vertuschen. Peter Jablonski, der sich aus New York nach Jersey City versetzen ließ, um in Mike DiAngelos Team mitarbeiten zu können, gehorcht zunächst, bekommt aber recht schnell mit, mit wem er sich auf einen Deal eingelassen hat. DiAngelo und seine Männer kassieren Schmiergelder von Messiah (Coley Mustafa Speaks), dem mächtigsten Drogenboss in Jersey City.


Gut und Böse gibt es nicht in „Seven Seconds“

Erzählt wird das mit einem schnell anwachsenden Spannungspotential. Das erinnert ein wenig an „The Shield“, ist aber weniger nervös gefilmt. Nicht alles ist in der Netflix-Serie innovativ, das Besondere an „Seven Seconds“ ist allerdings die Ambivalenz der Figuren. Sie folgen keinem der bekannten Klischees und Erzählmuster, die man aus konventionellen Cop-Serien kennt. Erwartungen werden permanent durchkreuzt. Die Bösen folgen einem differenzierten Motivgemenge, die Guten geraten außer Rand und Band und verlieren die Kontrolle über sich und die eskalierenden Ereignisse.

In den Mittelpunkt der Story rückt die stellvertretende Staatsanwältin K.J. Harper. Clare-Hope Ashitey spielt die farbige Anwältin als traumatisierte Grenzgängerin, die ihre quälenden Erinnerungen an eine Fehlentscheidung mit tödlichen Folgen mit Alkohol betäubt und wohl auch deshalb recht ungeschickt und erfolglos vor Gericht auftritt. 

An ihrer Seite ermittelt für die Staatsanwaltschaft der Cop Joe „Fish“ Rinaldi (Michael Mosley), ein unbeliebter Außenseiter, der seine Freizeit mit einem halben Dutzend Hunden verbringt und ansonsten den Trottel vom Dienst mimt. Während sich Rinaldi immer mehr als messerscharf denkender unerbittlicher Moralist outet, erfährt man von seiner Vorgesetzten, dass sie zwischen allen Stühlen sitzt. Eigentlich will K.J. den Fall nicht abgeben, sie vergräbt sich verbissen in seine Aufklärung, müsste das Ganze aus taktischen Gründen aber vor die Wand fahren, um die politischen Ambitionen des Leitenden Staatsanwalts zu schützen. Der war ihr Ex-Lover und braucht im Wahlkampf eine Menge, nur nicht einen neuen rassistischen Cop-Skandal.

Auch Mike DiAngelos Team versucht zunehmend verzweifelt, den gnadenlosen Gang der Dinge unter Kontrolle zu halten. Vergebens. K.J. Ermittlungen landen irgendwann der Drug Squad, alles droht aufzufliegen und die Ermordung einer Unfallzeugin und die von DiAngelo angeordnete Liquidation von Messiah beseitigen nur halbwegs die Spuren, die die Geschäfte der Cops hinterlassen haben. Die Intrigen und die Morde zerrütten dabei die scheinbar beinharten Cops emotional, die Loyalität im Team ist bald nur noch ein Zweckbündnis.

Clare-Hope Ashitey, Michael Mosley und David Lyons als charismatischer krimineller Cop spielen diese ambivalenten Figuren unglaublich stark und lassen den Zuschauer schnell vergessen, dass kaputte Figuren schnell klischeehaft werden können, wenn man ihre Geschichte schon x-mal gesehen hat.
Ähnlich ambivalent wird auch der junge Cop Jablonski skizziert, den Beau Knapp als moralischen, aber sonst eher schlicht gestrickten Mann spielt. Jablonski ist angewidert von seinen korrupten Kollegen, wird immer tiefer in den Sumpf hineingezogen. Am Ende trifft er eine überraschende Entscheidung, die weder gut noch böse ist, sondern zugleich aufrichtig und verbrecherisch, loyal und völlig naiv ist. Zuvor zeigt aber ein Flashback, was Jablonski wirklich am Unfallort getan und gesehen hat. Gut und Böse, Schwarz und Weiß gibt es nicht in „Seven Seconds“.

Die eigentlichen Opfer in dieser verstörend-packenden Geschichte ist jedoch die Familie des toten Brenton Butler. Regina King spielt seine Mutter als zweite schwach-starke Frau in der Serie. Auch das eine exzellente darstellerische Leistung. Latrice, die nach dem Tod ihres Sohns zusammenbricht, findet die Kraft, auf eigene Faust zu ermitteln. Auch gegen den Widerstand der Familie. Und erst recht, als in den Medien der Verdacht lanciert wird, dass ihr Sohn Mitglied einer Gang und möglicherweise auch deren Opfer war. Es ist eine Mischung aus Sensationsgier und Fake News, auf jeden Fall aber eine posthume Entwertung des Opfers. Es wird die Familie fast zerreißen.
„Seven Seconds“ funktioniert virtous als Crime Drama, aber auch als Reaktion auf die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse eines Landes, das seine rassistische Geschichte ebensowenig abstreifen kann wie die gewalttätigen Exzesse seiner Ordnungshüter. Veena Suds Serie zeigt aber auch, dass der Riss in der amerikanischen Gesellschaft auch Dinge erfasst, die nichts mit Rassismus zu tun haben. Das geschieht halt, wenn ein Land in seinem Innersten kontaminiert ist. Eine zerstörerische Logik.
Nach acht Episoden konzentrieren sich die letzten beiden Folgen „Witnesses for the Prosecution“ und „A Boy and a Bike“ dann auf den Gerichtsprozess. Er endet mit Siegen und Niederlagen, aber nicht für alle. Denn einige kommen davon. Das Urteil der weißen Jury und des weißen Richters entspricht daher auch der Erfahrung, die die amerikanische Öffentlichkeit in derartigen Verfahren des Öfteren machen musste. „Seven Seconds“, eine der fesselndsten Serien des neuen Jahres, endet also ziemlich realistisch. 



Im April wurde bekanntgegeben, dass die Serie von Veena Sud nicht fortgesetzt wird.


Seven Seconds – Serie, 10 Episoden (54 – 80 Minuten) – Netflix – Showrunner: Veena Sud – Regie: Gavin O’Connor – D.: Clare-Hope Ashitey, Beau Knapp, Michael Mosley, David Lyons, Russell Hornsby, Raúl Castillo, Patrick Murney, Zackary Momoh, Michelle Veintimilla, Regina King