Sonntag, 18. August 2019

Once Upon a Time in Hollywood

Mit seinem nach eigener Aussage vorletzten Film zeichnet Quentin Tarantino nicht nur ein impressionistisches Bild der Film-und TV-Industrie Hollywoods in den 1960er-Jahren, sondern auch das Ende der Flower Power-Ära, die durch die „Tate-LaBianca-Morde“ ein abruptes Ende fand.
„Once Upon a Time in Hollywood“ erzählt allerdings nicht von den Stars eines recht gnadenlosen Business, sondern von den Profis aus der zweiten Reihe: einem abgehalfterten TV-Westernstar und seinem besten Freund, einem Stuntman. Leonardo DiCaprio und Brad Pitt spielen die spannendsten Buddys seit „Pulp Fiction“ und weil Quentin Tarantino nicht nur das Kino liebt, sondern auch an seine Macht glaubt, dürfen seine Helden am Ende wieder einmal die Realität korrigieren. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist ein Meisterwerk.


Die Rekonstruktion des Zeitgeistes ist Stil, nicht Realismus

Obwohl ganze Straßenzüge darauf getrimmt wurden, so auszusehen wie das Los Angeles der späten 1960er-Jahre und obwohl der1959er Ford Galaxie, den die Manson Family in Quentin Tarantinos Film fährt, eine Replika des Originalfahrzeugs ist, scheint „Once Upon a Time in Hollywood“ alles andere als ein realistischer Film zu sein. Zwischen Realismus und Authentizität gibt es einen Unterschied, eine feine Grenze, die auch als Grenze zwischen naturalistischer Abbildung und poetischer Rekonstruktion definiert werden kann. Und so tauchen Ingredienzien aus Tarantinos filmischen Kosmos mitsamt unzähligen Zitaten und Querverweisen in seinem neuen Werk genauso auf wie die naturalistisch nachgebildeten Settings. Dazu gehört auch der 1966er Cadillac de Ville, den „Mr. Blonde“ in „Reservoir Dogs“ fährt und der nun Rick Dalton (Leonardo Di Caprio) gehört. Die Limousine gehört seit 1992 Michael Madsen, der damals den Mr. Blonde spielte, und natürlich ist Michael Madsen als Mitglied von Tarantinos „The Gang“ in „Once Upon…“ mit dabei, wenngleich nur in einer kleinen Nebenrolle.
Tarantino geht es also um jenen Grad an Exaktheit, der den Anschein von Realitätstreue wahrt, aber eigentlich davon erzählen will, dass die Reise in die Vergangenheit Hollywoods kein Period Drama im eigentlichen Sinne ist, sondern eine Kopfgeburt, eine Rekonstruktion des Zeitgeistes, so wie ihn Tarantino interpretiert. Und dazu gehört, dass Zeitgeschichtliches und Fiktionales miteinander verschmelzen. Das alte Hollywood und seine realen Filme und TV-Serien. Und wenn das nicht reicht, werden diese visuellen Artefakte einfach frech neu erfunden. Das nennt man auch Stil.


Dass Tarantinos ästhetische Programmatik mit der Liebe zu alten Schmuddelfilmen und längst vergessenen Schwarz-Weiß-Serien verknüpft ist, ist nicht neu. Möglicherweise deuten dies einige Zuschauer als geschmackliche Entgleisung, aber in Wahrheit bedeutet dies etwas anderes. Nämlich die Erkenntnis, dass die Biografien der Zuschauer nicht von elaborierten Kunstwerken sozialisiert worden sind, sondern von den guilty pleasures, die von der Filmindustrie massenhaft ausgespuckt wurden – es sind die vermeintlich minderwertigen B-Movies und die alten Schwarz-Weiß-TV-Serien, die das visuelle Sehen gelehrt haben, lange bevor man sich dem cinephilen Kosmos mit seinen Premiumprodukten zuwenden konnte. 

Und so erinnert Tarantino aus seiner Schmuddelecke heraus daran, dass ältere Jahrgänge eben nicht durch „Stranger Things“ angelernt wurden, sondern durch „Mannix“ oder „Wanted Dead or Alive“. In dieser Serie, die eine zentrale Blaupause in Tarantinos Film ist, spielte Steve McQueen einen Kopfgeldjäger, dessen Spezialmodell einer Winchester, liebevoll „Mare’s Leg“ genannt, von dem Bounty Hunter Josh Randall so geschickt beherrscht wurde, dass es stets schneller schießen konnte als die Ganoven, die er in seinen 25 Minuten langen Episoden zur Strecke brachte.
„Wanted Dead or Alive“ lief von 1958 bis 1961 auf CBS, aber erst ab 1979 strahlte es in Deutschland das ZDF aus – zensiert, gekürzt und (wie auch in der USA) auf übelste Weise nachkoloriert. Dem Charisma der Hauptfigur hat’s nicht geschadet und „Der Kopfgeldjäger“ (dts. Titel, alternativ „Josh“) gehörte dank „Mare’s Leg“ zu meinen schönsten guilty pleasures.


„Er kann dich mit einem Stück Papier umbringen“

In „Once Upon a Time in Hollywood“ spielt Leonardo DiCaprio einen larmoyanten und alkoholkranken Ex-TV-Star mit dem Künstlernamen Rick Dalton. Seine beste Zeit hatte Dalton als Bounty Hunter in der TV-Serie „Bounty Law“ (1958-1963), die „Wanted Dead or Alive“ nachempfunden ist. Nach dem Ende der Serie begann Daltons sanfter Abstieg. Der Absprung ins große Kino misslang und 1969, dem Jahr, in dem die Geschichte von „Once Upon a Time in Hollywood“ beginnt, spielt Dalton nur noch den Schurken in mehr oder weniger zweitklassigen Kinofilmen. 

Dabei hätte er fast Steve McQueens Rolle in John Sturges „The Great Escape“ („Gesprengte Fesseln“, 1963) bekommen. Tarantino hat mit diesem ironischen Seitenhieb sicher seinen Spaß gehabt. Er montiert Leonardo DiCaprio in eine Szene des Originalfilms, zusammen mit Hannes Messemer, der einen Nazi-Lagerkommandanten spielt, und DiCaprio aka Dalton interpretiert die Szene mindestens so gut wie Steve McQueen.


Natürlich hat es diese Probeaufnahmen und auch „Bounty Law“ nie gegeben. „The Great Escape“ schon, und es ist die persönliche Tragödie Rick Daltons, dass er es nicht so weit gebracht hat wie Steve McQueen. Damit befindet sich Tarantinos Figur aber in guter Gesellschaft. Sie verkörpert jenen Typus von Darstellern wie zum Beispiel Ty Hardin, deren Starruhm kaum länger dauerte als die Laufzeit der alten TV-Serien, durch die sie für kurze Zeit ins Rampenlicht gerückt wurden. Die Liste ist lang. Wir werden noch sehen, wohin dies führt.

Der Mann an Rick Daltons Seite ist der Stuntman Cliff Booth. Brad Pitt spielt ihn mit unnachahmlicher Nonchalance und jener Coolness, die sein Buddy Rick Dalton, der im Privatleben zum Stottern neigt, nur in seinen Filmrollen verkörpern kann – sieht man einmal vom Filmende ab. Auch diese Figur ist voller Referenzen und Anspielungen, die sie allegorisch aufladen. 
In „Once Upon…“ ist Daltons Sidekick nur noch Chauffeur und Mädchen für alles. Filmjobs als Stuntman sind nach dem Ende von „Bounty Law“ selten geworden, denn über Booth schwebt der Verdacht, seine Frau umgebracht zu haben. Tarantino zeigt dazu lakonisch eine kurze, aber vieldeutige Szene auf einer Yacht. Booths Frau bricht einen Streit vom Zaun, der wiederum sitzt auf einem Stuhl, eine Harpune in der Hand, die lässig auf seine Frau gerichtet ist. Schnitt. 

Damit spielt Tarantino auf den Schauspieler Robert Wagner (u.a. TV-Serie „Hart aber herzlich“, 1979-1984) und den mysteriösen Tod seiner Frau Natalie Wood an, die 1981 während einer Bootstour ertrank. 2018 wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen und der mittlerweile 79-jährige Robert Wagner gilt nun als „Person of Interest“. 
Das muss man nicht wissen, aber es zeigt wieder einmal Tarantinos Vergnügen daran, in seinen Filmen ambivalente Referenzen zu platzieren, die nicht immer den Film weiterbringen, aber einen nicht geringen Grad an Interpretierlust bei den Medien generieren.
Wichtiger ist da schon, dass Brad Pitts Rolle eng an die Beziehung zwischen Burt Reynolds und seinem Stuntdouble Hal Needham angelehnt ist. Reynolds sollte in
„Once Upon…“ mitspielen, starb aber vor Beginn der Dreharbeiten. Quentin Tarantino selbst beschreibt die Figur des Cliff Booth als „indestructible, a World War II Hero and one of the deadliest guys alive (...) He could kill with a spoon, a piece of paper or a business Card.“
Auch hier werden wir sehen, wohin dies führt. 

Die Lust an der Länge – und die Frage nach der Wichtigkeit

„Once Upon a Time in Hollywood“ ist mit all diesen Querverweisen ein vielschichtiger Film geworden, der so tut, als müsse man kriminalistische Puzzlearbeit leisten. Ganz so schlimm ist aber nicht, etwas TV-Geschichte kann aber nicht schaden. Auch beim Hinsehen muss man Geduld mitbringen. Tarantinos Geschichte will einfach nicht den Gesetzen der Effizienz gehorchen, obwohl Kurt Russell als Off-Erzähler die Geschichte so stoisch und zackig kommentiert, als ginge es nur darum, die Ereignisse zügig zu der Nacht vom 8. auf den 9 August 1969 zu führen.
Es ist die Nacht, in der vier Anhänger des Sektenführers Charlie Manson auf dessen Geheiß in ein Haus am Cielo Drive eindrangen und dort Roman Polanskis schwangere Frau Sharon Tate (Margot Robbie) sowie ihre Freunde Jay Sebring, Abigal Folger (Erbin des gleichnamigen Kaffeeimperiums), den polnischen Schauspieler Wojciech Frykowski und den zufällig anwesenden Steven Parent ermordeten. Charles „Tex“ Watson (Austin Butler) massakrierte Tate mit 16 Messerstichen. Es war der Auftakt einer Mordserie, die erst am 16. August endete. Und ausgerechnet Rick Dalton wohnt nur eine Tür weiter.

Die später so genannten „Tate-LaBianca-Morde“ wurden in den USA als Wendepunkt der Hippie-Bewegung rezipiert. Nicht weil einige Aspekte der Manson Family einen gewissen Hippie-Lifestyle besaßen, sondern weil das Rock-Festival „Woodstock“ die Peace and Love-Philosophie der Blumenkinder als frohe Botschaft verkündete, während
fast zeitgleich die durch Sex und Drogen von einem wahnhaften kleinwüchsigen Mann manipulierten Mitglieder der „Family“ für eine blutige Dissonanz sorgten. Dies veränderte den Zeitgeist der Flower Power-Epoche genauso wie die zum Mythos gewordenen Rockmusiker. Auch Charlie Manson, der sich für Jesus Christus hielt, wurde zum Mythos, aber zu einem „Mythos des Bösen“, immer wieder medial durchgekaut und auch in der aktuellen und sehr sehenswerten zweiten Staffel von „Mindhunter“ ein begehrtes Filetstück für die Verhaltensforscher Tench und Ford.

Das ist nicht ohne Bedeutung für Quentin Tarantinos 164 Minuten langen Film, aber der Weg dorthin ist lang. Denn
„Once Upon…“ wird zunächst wie eine Komödie erzählt. Die beiden Buddys Rick Dalton und Cliff Booth bewegen sich dabei in einem Narrativ, das scheinbar nostalgisch einen Insiderblick hinter die Kulissen des mondänen Hollywood wirft und dies witzig-schlagfertig mit Collagen aus realen und fiktiven Film abschmeckt.
Dalton hat aber keine Nostalgie im Sinn, ihn beherrscht die Angst des Existenzkampfes und die Suche nach einer (filmischen) Identität. Booth dagegen fährt dagegen einen schrottigen Karmann Ghia, kommt mit dem aus, was er hat, und macht auch einen entspannten Eindruck, als er Bruce Lee (Mike Moh) auf dem Set von „The Green Hornet“ vermöbelt.

Man hat man dabei sehr lange den Eindruck, als würde „Once Upon…“ ziellos durch seine Handlung mäandern. Tatsächlich zeigen die vorzüglichen Bilder Robert Richardsons, der bei fast allen Filmen Tarantinos hinter der Kamera stand, aber eine kontemplative Reise, in der sich Tarantino alle Freiheiten eines Autorenfilmers nimmt. Dass Tarantino dabei beinahe kontrapunktisch die klaustrophobische Enge von „Reservor Dogs“ und „The Hateful Eight“ durchbricht und immer wieder in offenen Totalen die sonnendurchflutete Landschaft um Los Angeles zeigt, macht deutlich, dass Tarantinos Stil flexibler ist als vermutet und sich eher nicht auf wiederholende Ausdrucksmittel verlässt. 

Bei der Montage scheint Tarantino wie üblich weniger an einer Erzählökonomie interessiert gewesen zu sein als an seiner Freiheit, tun und lassen zu dürfen, was er will. Wichtiges von scheinbar Unwichtigem zu trennen und dort einen Schnitt zu setzen, wo ihn wohl viele Zuschauer antizipieren werden, ist daher auch in „Once Upon…“ nicht Tarantinos Ding. 
Diesen Mut zur Länge können sich nur noch wenige Regisseure leisten. Die erste Schnittfassung soll vier Stunden lang gewesen sein, man munkelt, dass Netflix eine Mini-Serie daraus machen wird. Langweilig - man ahnt oder hofft es - wird dieser Director’s Cut nicht sein.
In der kürzeren Kinoversion dürfen die Zuschauer immer noch eine gefühlte Viertelstunde dabei zuschauen, wie Booth seiner Pitbull-Hündin Randy füttert. Oder sie dürfen einfach nur zusehen und -hören, wie Booth seinen Wagen über die Highways von Los Angeles steuert und dabei Musik hört.
Die gibt es reichlich: von „Hush“ (Deep Purple) über „Hungry“ (Paul Revere & The Raiders) und „Mrs. Robinson“ (Simon & Grafunkel) bis zu José Felicianos Coverversion von „Califonia Dreamin‘“ ist der Sound of the Sixties im Film ständig präsent, während Tarantino dann doch seine Schlüsselszenen ansteuert, die angesichts des zuvor Gesehenen erstaunlich konzentriert sind.

Dazu gehört gleich zu Beginn eine Begegnung Daltons mit dem Agenten Marvin Schwarz (Al Pacino). Schwarz erzählt, dass er von Daltons Arbeit zwar begeistert sei, er es aber für karriereschädlich hält, dass der Ex-TV-Star nun als Schurke nur noch Prügelknabe für die neuen Stars sei. 
Man müsse mal über die Western nachdenken, die gerade in Europa gedreht werden...
Der fast devot stotternde Dalton (in der Synchronfassung wird er von Pacino geduzt) erlebt in dieser Analysesitzung sein persönliches Waterloo, aber Tarantino sorgt in der zweiten Hälfte des Films für ein Comeback, das zu den schönsten Tarantino-Szenen gehört, die ich kenne. Dalton wird für den Piloten der TV-Serie „Lancer“ angeheuert. Natürlich wieder als Schurke. Vor Beginn der Dreharbeiten führt er ein an Komik schwer zu überbietendes Gespräch mit dem achtjährigen Co-Star Trudi Fraser (Julia Butters). Die liest eine Walt Disney-Biografie, während Dalton einen Pulp-Westernroman hervorzieht. In einem kurzen Gespräch belehrt Trudi ihren wesentlich älteren, aber rhetorisch deutlich unterlegenen Kollegen, über das Berufsethos der Schauspielerei. Etwas später vergisst Dalton während des Drehs seinen Text, an sich eine Petitesse, die aber zu einem Wutanfall Daltons führt, der beinahe seinen Trailer zerlegt. Der Dreh wird fortgesetzt, Dalton spielt nun gemeinsam mit Trudi eine Szene, in der er nicht nur improvisiert, sondern mit seinem Spiel auch bei dem Regisseur Sam Wanamaker überbordende Begeisterung auslöst. Anschließend flüstert ihm Trudi ins Ohr, dass dies die beste schauspielerische Leistung gewesen sei, die sie bislang erlebt hat. DiCaprio spielt brillant, wie jemand brillant spielen kann, obwohl er sich fast schon aufgegeben hat.

Die Verzahnung dieser beiden Szenen muss natürlich auch im Kopf der Zuschauer stattfinden. Geschieht dies, wird er erkennen, dass sich „Once upon…“ nicht an vereinzelten Pointen und Dialogen und einigen klamaukigen Szenen entlanghangelt, sondern durch Langsamkeit und Verdichtung beim Zuschauen ein Gefühl für die erzählte Zeit herstellt, das beinahe sogartig ist und dadurch auch die Prägnanz der Schlüsselepisoden konzentrierter erleben lässt. Eben auch, weil die Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem eigentlich bedeutungslos ist, wenn man als Zuschauer den für Tarantino-Filme typischen Flow erlebt.
Wichtiges ohne das Beiläufige
kann es also nicht geben.
Das zeigt auch eine weitere Schlüsselszene. Nachdem sich Sharon Tate an einer Kinokasse als Star des gerade laufenden Films outet, um umsonst in die Vorstellung zu gelangen, zeigt Tarantino danach in einer langen, nur kurz unterbrochenen Sequenz, wie sich die Schauspielerin im Kinosessel räkelt und in einer Mischung aus Selbstverliebtheit und kindlicher Schlichtheit einige Szenen aus Phil Karlsons zweitklassiger Agentenparodie „The Wrecking Crew“ anschaut. Darunter auch ihre Martial-Arts-Szene, in der sie Nancy Kwan verprügelt. Wie zum Beweis der darstellerischen Professionalität Sharon Tates schneidet Tarantino eine kurze Szene in die Sequenz, einen Flashback, der zeigt, wie Tate von Bruce Lee trainiert wird.
Diese fast pedantische Aufmerksamkeit für die Figuren verknüpft die Szene mit der Dalton/Trudi-Episode und lässt die besondere Empathie aufblitzen, die Tarantino für seine Figuren entwickelt. Ob der Film bedeutend ist, spielt dabei eine geringere Rolle als die Hingabe derjenigen, die ihn gemacht haben.



Die Lust an der Grausamkeit – und die Frage nach der Bedeutung

„Once Upon…“ – so fangen Märchen an. Unschwer zu erkennen ist auch der referentielle Bezug zu Sergio Leone und damit auch der Bezugsrahmen, in dem sich Quentin Tarantino verortet. Gut, frei von Eitelkeit ist das nicht. Aber irgendwie ist das auch feine Ironie, denn Rick Dalton schafft dann doch noch seinen kleinen Durchbruch und reist mit Cliff nach Europa, um vier Filme zu drehen, darunter auch einen der von ihm so gehassten Spaghetti-Western – zwar nicht für Sergio Leone, aber immerhin mit der Italo-Western-Ikone Sergio Corbucci. Der Film „Nebraska Joe“ ist natürlich wieder eine Erfindung Tarantinos, aber immerhin folgt er in der fiktiven Zeitlinie des Films den realen Corbucci-Klassikern „The Mercenary“ und „The Great Silence“ – Dalton ist mit Franco Nero und Jean-Louis Trintignant auf Augenhöhe.
Zurück in die Staaten kehrt Dalton allerdings frisch verheiratet, die Dienst seines Freundes kann er sich nicht mehr leisten. Da Freunde ohne gemeinsames Besäufnis nicht auseinandergehen dürfen, gehen beide auf eine Sauftour und kehren danach zu Daltons Anwesen zurück. Es ist die Nacht vom 8. auf den 9 August 1969, Cliff steckt sich eine LSD-getränkte Zigarette an und geht mit Randy spazieren, während Rick die mittlerweile in einem Auto aufgetauchten Mitglieder der Manson-Family zunächst verscheuchen kann.
Danach dürfte in den Köpfen jener Zuschauer, die sich nicht zuvor spoilern ließen, ein eigener Film ablaufen. Die historischen Fakten sind bekannt, aber kann man sich darauf verlassen, dass Tarantino ein Reliable Narrator ist? In Cannes hat der Regisseur darum gebeten, auf keinen Fall das Filmende zu verraten. Das erinnert ein wenig an Alfred Hitchcock und dessen Marketingstrategien für „Psycho“. Nun, in Cannes reagierten die Kritiker verärgert. Verständlich, wer spoilert denn noch in einer Zeit, in der bereits Inhaltsangaben zu einem Film ein Shit Storm auslösen?
In „Once Upon…“ würde ein Spoiler, so wichtig er auch für den Kritikern sein könnte, einiges verderben. Allerdings wird Quentin Tarantinos ultra-brutales Filmende seine Fans nicht überraschen. Tarantino, der mit seiner Hommage die Ära zwischen dem Ende des klassischen Studiosystems, der zunehmenden Bedeutung des Fernsehens und dem „New Wave“-Kino der 1970er-Jahre in ein glanzvolles Licht getaucht hat, beschwört mit seinem Filmende noch einmal die Macht des Films herauf, die sogar die Realität bezwingen kann – vorausgesetzt man besitzt einen funktionstüchtigen Pitbull.
Das ist zwar nicht realistisch, aber authentisch, wenn man es mit Tarantinos Augen sieht. Und es ist Stil. Mit Sicherheit ist es ein naives Märchen, aber zumindest so lange man im Kino sitzt, glaubt man Quentin Tarantino aufs Wort. So gesehen ist „Once Upon a Time in Hollywood“ trotz finalem Blutrausch Tarantinos zärtlichster Film geworden.

Noten: BigDoc, Melonie = 1

Once Upon a Time in Hollywood – USA 2019 – Buch und Regie: Quentin Tarantino – Kamera: Robert Richardson – Schnitt: Fred Raskin – D.: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Timothy Oliphant, Dakota Fanning, Al Pacino, Bruce Dern. Mike Moh, Kurt Russell, Damian Lewis, Julia Butters, Michael Madsen, Clu Gulager u.a.