Sonntag, 4. August 2019

Der Name der Rose - die Serienadaption von Umberto Ecos Roman

Über dreißig Jahre nach Jean-Jacques Annaud Verfilmung des Umberto Eco-Bestsellers „Der Name der Rose“ hat sich nun der Serienmarkt an einer frisch aufgepeppten Version versucht.
Regisseur Giacomo Battiato erfindet das Rad zwar nicht neu, liefert aber eine gediegene Erzählung ab, die besonders in den letzten Episoden Fahrt aufnimmt. Das ist nicht immer stimmig, aber trotz gelegentlich hämischer Kritikerschelte kaum schlechter als Annauds Kultfilm. Dies liegt weniger an der sattsam bekannten Geschichte, sondern an den respektablen Darstellerleistungen.




Lachen ist gottlos

Worum es geht, weiß man bereits. Entweder als Leser von Umberto Ecos 1980 erschienenen Buch Il nome della rosa (Der Name der Rose) oder spätestens seit Jean-Jacques Annauds gleichnamiger und sehr erfolgreichen Verfilmung (1986). Der Kultkritiker Robert Ebert war allerdings mit Annauds Adaption nicht zufrieden: „What this movie needs is a clear, spare, logical screenplay.“ Außerdem war ihm alles zu dunkel…

Darüber kann man streiten. Nicht aber darüber, dass Annaud den komplizierten Roman und seinen Crime Plot so geschickt eindampfte, dass für lange Zeit das Bild eines rückständigen und brutalen Mittelalters verfestigt wurde, in dem Dummheit und Ignoranz herrschten und nicht nur Häretiker, sondern auch andere Abweichler sofort auf dem Scheiterhaufen abgefackelt wurden. Diese historischen Mythen wurden während der deutschen Romantik verfestigt und haben sich seither in den Köpfen festgesetzt. Trotz oder wegen dieser fetten Klischees war das Thema Mittelalter nach Annauds Kinoerfolg bei Film- und TV-Produzenten für lange Zeit angesagt und schenkte uns eine Reihe weniger ambitionierter TV-Mehrteiler. Nun also eine Neuauflage, die sich über sieben Stunden Zeit für eine Eco-Light-Version nimmt.

Die in Italien im Auftrag der Tele München Gruppe (TMG) und Rai Fiction produzierte Serie war zunächst bei Rai 1 zu sehen. Seit Mai 2019 ist sie bei SKY Deutschland im Portfolio. Die Produzenten ließen sich das achtteilige Spektakel einiges kosten, im Gespräch sind 26 Millionen Euro. TMG-Geschäftsführer H.L. Kloiber versprach eine „moderne und vielschichtige Interpretation von Ecos unvergleichlicher Geschichte“, SKY kündigte im aktuellen Branchen-Neusprech eine „der bekanntesten Content-Brands in faszinierender Neuauflage“ an.
Regie führte der 75-jährige italienische Regisseur und Drehbuchautor Giacomo Battiato (bekannt durch den ZDF-Vierteiler „Martin Eden“, 1979), das Drehbuch verfassten Andrea Porporati und Nigel Williams zusammen mit Battiato und seinem Hauptdarsteller und Executive Producer John Turturro („The Night Of“), der sich fast ein Jahr mit der Stoffentwicklung beschäftigte.


Natürlich steht auch in der achtteiligen Serie der Crime Plot erneut im Mittelpunkt.
„Der Name der Rose“ baut so eine Brücke zwischen der mitleidlosen Ignoranz einiger Klerikern und dem Wüten der katholischen Inquisition, die sogenannte Häretiker mitleidlos verfolgte. Dass auch Bücher für die Macht der Kirche gefährlich sein können, brachte Eco in seinem Roman mit einem verschollenen Buch des griechischen Philosophen Aristoteles symbolisch auf den Punkt, dem zweiten Band seiner Poetik. Dessen Botschaft war laut Umberto Eco einfach: Lachen ist gut, denn Jesus hat auch gelacht. Oder wie es John Turturro als William von Baskerville am Ende deutet: „Die Wahrheit lacht!“

Der blinde Benediktiner-Mönch Jorge von Burgos sieht dies anders: Lachen ist gottlos, es macht die Menschen zu Affen. Noch gefährlicher ist aber die befreiende Selbsterkenntnis, wenn Menschen über ihre Schwächen lachen können. 
Und ausgerechnet in seiner Abtei befindet sich die letzte und in Griechisch verfasste Abschrift der aristotelischen Abhandlung über die Komödie. Vernichten will Jorge sie nicht, aber lesen soll sie auch niemand. Und so vergiftet Jorge heimtückisch die Seiten an den Stellen, wo man die dünnen Seiten mit eigener Spucke umblättern muss. Es gibt zahlreiche Tote, ehe am Ende die labyrinthische Bibliothek und auch das Kloster in Flammen aufgehen. Das gefährliche Lachen verschwand damit zwar nicht, aber die Bücherverbrennung war eine allegorische Pointe, die Ecos eher pessimistisches Buch wohl auch im Sinn hatte. Dort, aber auch in der Serie, verliert die Hauptfigur am Ende den Glauben an eine rationale Ordnung der Welt.

Auf diese düstere Sichtweise lässt sich auch die Serie ein. Aktuell bei SKY gestreamt und auch auf DVD/Bluray erhältlich,
rekonstruiert „Der Name der Rose“ wesentliche Elemente aus Ecos Romans, räumt aufgrund der über sieben Stunden langen Erzählzeit einigen historischen Details aber mehr Raum ein. 

Wir sind im Jahre 1327 und erneut geht es um die unübersehbar an Sherlock Holmes orientierte Figur des Franziskanermönches William von Baskerville (John Turturro) und seinen „Watson“, den Novizen Adson von Melk (Damien Hardung, „Club der roten Bänder“). Beide werden in einem abgelegenen piemontesischen Kloster mit einer Reihe mysteriöser Morde konfrontiert. Baskerville, der eigentlich an einem religiösen Disput über die franziskanische Glaubenslehre teilnehmen soll, erhält vom Abt des Benediktinerklosters den Auftrag, die Hintergründe der Todesfälle aufzuklären. Doch bald zeigt sich, dass die großen politischen Fragen dieser Epoche nicht vor den Toren des Alpenklosters Halt machen.


Zum historischen Hintergrund der Geschichte gehört nämlich der Machtkampf während der Zeit des Avignonesischen Papsttums. Eine nicht ganz unkomplizierte Machtverschiebung. Historische Faktenfülle sollte man von der Serie daher nicht erwarten, dafür gibt es andere Quellen. Der Kampf zwischen der katholischen Kirche und dem Staat, historisch verkörpert durch Rom, die französische Krone, aber auch durch den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, wird in der TMG-Serie daher nur knapp angedeutet.
Der Machtkampf führte dazu, dass sich im 14. Jh. einige von Frankreich politisch protegierte Päpste im französischen Avignon niederließen. Immerhin ging um es darum, die politische Macht die Kirche zu brechen.
Während Baskerville und sein Adlatus gezwungen sind, die eskalierende Mordserie aufzuklären, tritt der Anlass ihre Reise beinahe in den Hintergrund. Es geht um den komplexen religiösen Diskurs über die Armuts-Hypothese der Franziskaner. Eine Delegation der Franziskaner soll mit hochrangige Kirchenvertretern in dem Kloster die beiderseitigen Positionen klären. Es geht dabei um nichts Geringeres als die Lehre des Franziskus von Assisi, die eine radikale Abkehr der Kirche von Reichtum und Macht zugunsten eines an der Armut orientierten Glaubensauftrags forderte. 
Für die Mächtigen und Reichen ein Affront.

William von Baskerville erhofft sich einen rationalen Diskurs, aber als sein alter Widersacher, der päpstliche Inquisitor Bernado Gui (Rupert Everett) mit einer Schar Soldaten auftaucht, geraten der scharfsinnige Franziskaner und seine Glaubensbrüder schnell in eine gefährliche Situation. Sie müssen sich nun entschieden von den sektiererischen Auswüchsen ihre Lehre abgrenzen, die zu Mord und Totschlag geführt hatten. Besonders extrem durch die militante Gruppe des Predigers Fra Dolcino, der 1307 öffentlich gefoltert und hingerichtet wurde und sich als Verfechter des Armutsdogma bekannte. Gui will dagegen die Franziskaner als geistige Urheber diskreditieren.
Das ist durchaus vergleichbar mit der medialen Verunglimpfung von Intellektuellen während der Hochphase der terroristischen RAF in Deutschland. Und wer's aktueller und eine Spuren zynischer mag, stelle sich vor, dass Öko-Terroristen in diesem Land Kohlekraftwerke in die Luft sprengen, dafür aber Klimaforscher und grüne Politiker in den Knast wandern, weil sie den Klimawandel beschreiben haben.



Passable Erzählung, exzellente Schauspieler

Wie diese Debatte hitzig aus dem Ruder läuft, erzählt Giacomo Battiato ziemlich spannend. So gelingt es, trotz einiger Längen eine Balance zwischen dem Crime Plot und den inzwischen nicht weniger gefährlichen Debatten herzustellen, in denen die Franziskaner verzweifelt versuchen, sich von den Morden und 
Plünderungen der Dolcianer zu distanzieren.
Rupert Everett liefert dabei als Inquisitor Bernardo Gui (den gab es tatsächlich) eine diabolisch gute Leistung ab – Gui ist ein sadomasochistischer Psychopath mit Hang zum Flagellantismus, scheint aber von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt zu sein. Rupert Everett verkörpert diese Ambivalenz grandios, besonders wenn er sich angeekelt und gleichzeitig lustvoll Schmerzen zufügt oder mit dem Messer ins eigene Fleisch schneidet.

Während der Inquisitor gnadenlos, zynisch und verschlagen die heimliche Kontrolle über das Kloster übernimmt und einen Schauprozess gegen Häretiker und ehemalige Anhänger des Fra Dolcino inszeniert, gerät nicht nur die Autorität des Abtes (Michael Emerson, „Lost“) in Gefahr. Ähnlich wie Jean-Jacques Annauds Verfilmung lässt die Serie dabei keine Gelegenheit aus, die Benediktiner als düsteren Haufen durchgeknallter und intriganter Freaks zu skizzieren. Der bei Annaud von Ron Perlman genial verkörperte Salvatore wird bei Battiato deutlich abstoßender, aber weniger mitreißend von Stefano Fresi verkörpert. Nicht nur dies, sondern auch andere kleinere und größere Gewaltszenen sorgen für den schaurigen Horror in der Serie, die dem Zuschauer wieder einmal ein genüssliches Schaudern über das ach so finstere Mittelalter erlaubt.
Immer mehr entpuppt sich das Kloster als Ort geheimnisvoller Machtspiele, in der auch Homoerotik wie gehabt nicht fehlen darf. Im zunehmenden Chaos wirkt ausgerechnet der Schurke Jorge von Burgos (James Cosmo, „Game of Thrones“) zunächst wie ein in sich ruhender Mann und weniger wie ein fieser Reaktionär. Das täuscht aber. 


In Bedrängnis gerät auch Baskervilles Novize Adson (im Roman der Ich-Erzähler), der sich einige grundsätzliche Fragen beantworten muss, nachdem er ein namenloses und offenbar schwer traumatisiertes Bauernmädchen (Nina Fortaras) kennengelernt und dabei erste sexuelle Erfahrungen gemacht hat. Damien Hardung überzeugt dabei durch eine glaubwürdige Performance zwischen Naivität, Neugier und Zweifel und sieht dabei ein wenig aus wie David Kross.

Wer sich nur Sean Connery in der Rolle des Franziskanermönches William von Baskerville vorstellen kann, muss sich an John Turturro erst gewöhnen. Connerys Interpretation war eher ironisch und unangreifbar angelegt, Turturro spielt den gebildeten und rhetorisch schlagfertigen Mönch deutlich geerdeter. Er weiß, dass er im politischen Machtkampf seiner Epoche ein Mann ist, der zwischen den Fronten aufgerieben werden kann. John Turturro schafft es zu zeigen, dass seine Figur eigentlich in die Renaissance gehört. Diese innere Zerrissenheit spielt er so überzeugend, dass man die intellektuelle Enge einer Epoche spürt, in der sein Charakter eigentlich nichts zu suchen hat.


Das alles lässt sich trotz anfänglicher Längen unterhaltsam anschauen. Denn auch ästhetisch hat die Serie einen guten Standard. Der TV-erfahrene Kameramann John Conroy („Luther“, „Broadchurch“) fängt gekonnt die geheimnisvollen Gemäuer, die winterlich kalte Landschaft und ausdrucksstark den labyrinthischen Bibliotheksturm ein, den Baskerville und Adson mit flackernden Fackeln heimlich erkunden.
Dennoch hätte eine Straffung der Serie gutgetan. Stattdessen wird die Einheit zwischen dem Ort der Handlung und der erzählten Zeit immer wieder durch Rückblenden aufgebrochen, in denen sogar Sebastian Koch als Adsons Vater und Baron von Neuenburg einen blutigen Kurzauftritt auf dem Schlachtfeld hat. Selten war eine belanglose Rolle so überbesetzt.
Diese Rückblenden sorgen überwiegend für viel Action. Offenbar sollte mit allen Mitteln ein Erzählvolumen für acht Episoden erreicht und auch der Actionanteil der Serie erhöht werden. Dazu passend, aber völlig überflüssig ist die Erfindung einer weiblichen Kriegerin, der Tochter des als Ketzer verbrannten Fra Dolcino. Margherita (Greta Scarona) ist mit Pfeil und Bogen unterwegs, um sich an Bernardo Gui für die Ermordung ihrer Familie zu rächen. Auch hier setzten die Produzenten auf den aktuellen, aber inzwischen ermüdenden Trend, unbedingt starke Frauen zu zeigen. In der Summe ärgerlich, weil man als Zuschauer die Absichten mühelos erkennt.
So verfehlen TMG, Rai und Giacomo Battiato die Gelegenheit, ein deutlich überzeugenderes Remake vorzulegen. „Der Name der Rose“ sorgt zwar für gepflegte Unterhaltung, im Rahmen des Formats auch gelegentlich für Tiefgang, verärgert aber durch seine spekulativen Flashbacks, einige überflüssige Nebenhandlungen und den Tribut an den Zeitgeist. Ansonsten bleibt es dem Zuschauer überlassen, den Gegenwartsbezug der Serie zu überdenken. John Turturro bilanziert das Ganze so: “Wir denken, vieles hat sich geändert
, aber so viel ist es nicht.“ 

Postskriptum: Das Neue muss das Alte sein

Es gibt eine schöne Metapher in der TMG-Serie: William von Baskerville wird während der detektivischen Ermittlungen die Brille gestohlen. Man mag meinen, dass dies inmitten des Chaos, das in der Benediktinerabteil herrscht, nur eine Randnotiz ist. Da liegt man falsch, denn der Franziskaner William bedient sich einer technischen Innovation, die sich erst Ende des 13. Jh. durchgesetzt hatte. Nur mit seiner Brille kann William die alten Bücher in der Bibliothek untersuchen. Eigentlich eine praktische Angelegenheit. Und modern auch, oder?
Da kennt man die Kulturgeschichte des Mittelalters schlecht, denn der Besitz eines derartigen Hilfsmittels war nicht unbedingt das, was man in dieser Epoche als gottgefällig bezeichnet hat. Neues konnte nur mit Akzeptanz rechnen, wenn es sich ausdrücklich auf Altes und Bewährtes bezog: sumus relatores et expositores veterum, non inventores novorum („Wir erzählen die Alten nach und legen sie aus, aber wir erfinden nichts Neues“) erklärte der französische Naturphilosoph Wilhelm von Conches (ca. 1080-1154) den Geist seiner Zeit.
Nur am Rande: Wilhelm von Conches war alles andere als ein verkrusteter Erzkonservativer, sondern eher ein Vorläufer der modernen Naturwissenschaften, ein Vordenker, der sich nicht mehr wortwörtlich an der biblischen Schöpfungsgeschichte orientierte. Die hielt er für eine nützliche Allegorie, an deren Stelle die von Gott gegebene Vernunft treten muss und kann.
Das führt wieder zu William von Baskerville, der diese Einschätzung der Vernunft, nicht aber den anti-modernistischen Reflex Conches teilt. So gesehen ist Williams Brille nicht einfach nur ein technisches Vehikel, sondern auch Ausdruck einer Geisteshaltung, die vorsichtig eine Nische zu erobern versucht, in der rationales und damit neues Denken einen Platz finden kann. Und das in einer Zeit, in der „modernitas“, also das Neue und Moderne, eher als Schimpfwort galt. Die dialektische Pointe: das alt Hergebrachte muss irgendwann selbst neu und modern gewesen sein. Nur wenige Denker des Mittelalters erkannten diesen Widerspruch. Aber trotz dieser Widersprüche gehört die Brille Williams
zu den technischen Errungenschaften einer Epoche, die nicht so finster war, wie sie später beschrieben wurde.

Spannend wird die Sache dadurch, dass für den mörderischen Jorge von Burgos das Alte (nämlich das Buch des Aristoteles) zum falschen Alten und damit erst recht zum falschen Neuen wird. Auch dieses Problem haben die Denker des Mittelalters erkannt, deshalb erklärten sie, dass es eigentlich um Gut und Böse geht, wenn man über Altes und Neues nachdenkt. 
Doch wer entscheidet, ob das Alte oder auch das Neue gut oder schlecht sind? Die Metaphysik?
Der unbedingte Fortschrittsoptimismus ist jedenfalls eine Erfindung der Neuzeit, frühestens entstand er während der Aufklärung. Und das zeigt, dass man Geschichten aus dem Mittelalter besser nicht so erzählt, dass sie auf unreflektierte Fragen unserer Zeit zu antworten haben.


Note: BigDoc = 3

Der Name der Rose – deutsch/italienische Koproduktion 2019 – acht Episoden (50-54 Minuten – Regie: Giacomo Battiato – Buch nach dem gleichnamigen Roman von Umberto Eco: Giacomo Battiato, Andrea Porporati, Nigel Williams, John Turturro – D.: John Turturro, Damian Hardung, Rupert Everett, Greta Scarona, Richard Sammel, Stefano Fresi, James Cosmo u.a.



Literatur

Aaron J. Gurjewitsch: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen (1972).