Samstag, 17. August 2019

Widows

Drei Gangsterbräute wollen den Männern endlich ein Schnippchen schlagen und planen im Alleingang einen großen Coup. Es war ein Jugendtraum von Steve McQueen, die 1983 und 1985 von ITV ausgestrahlte britische TV-Serie Widows“ von Lynda La Plante irgendwann zu verfilmen. 
Beim britischen Regisseur hatte die Serie in jungen Jahren einen mächtigen Eindruck hinterlassen. Nun also das Remake, das eigentlich keins ist, da AMC sich bereits 2002 an dem Stoff versuchte. Steve McQueens neuer Film ist sehenswert, kann aufgrund seiner Drehbuchschwächen aber nicht restlos überzeugen.



Überleben in einer Männerwelt

Es geht hektisch zu auf der Leinwand, als eine Gruppe von Gangstern nach ihrem letzten Coup von der Polizei verfolgt wird. Die Verfolgungsjagd endet in einer Halle, rasch soll das Fluchtfahrzeug gewechselt werden, doch alles endet im Kugelhagel der Cops. Das Fahrzeug wird durchsiebt, dann explodiert es in einem eigentlich viel zu großen Feuerball. Dies ist der Moment, in dem Veronica Rawlings (Viola Davis) zur Witwe wird.

Auch Alice (Elisabeth Debicki) und Linda (Michelle Rodiguez) sind Witwen. Ihre Männer sind bei dem Coup ebenfalls ums Leben gekommen. Viola wird Kontakt zu ihnen aufnehmen, nachdem ihr Jamal Manning (Brian Tyree Henry) die Rechnung präsentiert hat. Violas Mann Harry (Liam Neeson) hat ausgerechnet den farbigen Boss einer kriminellen Bande im denkbar schlechtesten Moment beklaut. Manning will Abgeordneter in seinem Bezirk werden - die Aussichten, sich als Politiker legal durch Korruption zu bereichern, scheinen ihm aussichtsreicher zu sein als das harte Geschäft auf der Straße. Für den Wahlkampf braucht er Geld. Nun will er von Harrys Witwe die zwei Millionen Dollar zurückhaben, die bei dem Heist erbeutet wurden und in den Flammen aufgegangen sind. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, setzt Manning seinen Bruder Jatemme (Daniel Kaluuya, „Get out“) auf Viola an. Und Jatemme ist wortwörtlich der Mann fürs Grobe – ein eiskalter Soziopath, dessen Pfad bald von Leichen gepflastert wird. Dies ist der Moment, der Viola klarmacht, dass sie den Job ihres Mannes zu Ende bringen muss, wenn sie überleben will. Und für den geplanten Raubüberfall braucht Viola die anderen Witwen. Und da ist auch noch das Notizbuch ihres Mannes, hinter dem bald auch die Mannings hinterher sein werden.



Zu viele Zutaten ergeben kein schmackhaftes Gericht

Fünf Jahre Zeit hat sich der englische Regisseur Steve McQueen für „Widows“ genommen. Für das Sklavendrama „12 Years a Slave“ hatte der mit „Shame“ (2011) bekannt gewordene Autorenfilmer 2014 den Oscar für den Besten Film erhalten. „Widows“ soll nun die Erfolgsgeschichte des farbigen Regisseurs weiterschreiben, und das gelang dem im November 2018 an den Start gegangene Heist-Thriller scheinbar spielend. Denn „Widows“ erntete auf Festivals mehr als ein Dutzend Nominierungen, Viola Davis gewann als Best Actress den Black Film Critics Circle und McQueen gelang der Sprung in die Top Ten List 2018 einiger renommierter englischsprachiger Zeitungen. Auch die Kritiker jubelten. Eigentlich konnte nichts schiefgehen.

Doch leider ist „Widows“ kein sonderlich guter Film geworden. Richtig schlecht ist er allerdings auch nicht. Und das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem ambitionierten Film widerfahren kann. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass „12 Years a Slave“ in unserem Filmclub recht ungnädig aufgenommen wurde. Zu langweilig, zu klischeehaft. Aber die schlechten Bewertungen lösten vor fünf Jahren bei uns beinahe Reuegefühle aus, war der Film doch politisch so korrekt, dass es schwerfiel, sich dem Hype zu entziehen.

Zeitgeist und Political Correctness sind aber komplizierte Zutaten für einen Film. Es ist wie beim Kochen: stimmt das Mischungsverhältnis der Zutaten nicht, ahnt man zwar, was für ein tolles Gericht das Ganze hätte werden können, richtig schmecken tut es einem dennoch nicht. Und so kämpft „Widows“ mit dem Problem, dass zu viele Zutaten in den Topf sollten und wohl auch mussten. Das lag wohl zum einen an den hochgesteckten Ambitionen des Regisseurs, der seinen Film als Post-MeToo#-Werk definierte. Folgerichtig wurden starke Frauenrollen, gleichzeitig aber auch Themen wie Kriminalität und Korruption, unfähige Cops und amoralische Politiker, dann auch noch Rassismus und die wirtschaftlichen Probleme Chicagos in den filmischen Tiegel geworfen, um aus der chemischen Reaktionsbildung das epische Portrait einer Stadt gewinnen zu können. Aber „Widows“ ist nicht „The Wire“.

Und während sich die Witwen auf einen Coup vorbereiten, der in Harry Rawlings begehrtem Notizbuch bis ins Detail ausgearbeitet wurde, erzählt Steve McQueen auch noch die Geschichte des irischen Lokalpolitikers Jack Mulligan (Colin Farrell), der unbedingt in das South Side Council gewählt werden will. Das passt zwar in den Plot, weil Jack und Harry den Raubüberfall auf Mannings geplant haben, um den politischen Gegner der seit Jahrzehnten mächtigen und einflussreichen Mulligans auszuschalten. Aber Farrells Figur bleibt über weite Strecken seltsam unbestimmt. Ob Jack wirklich der Protagonist einer neuen, ehrlichen Politik in der South Side werden will oder die Philosophie seines rassistischen und machtgeilen Vaters Tom (Robert Duvall) fortsetzen wird, bleibt ähnlich nebulös wie Duvalls Figur, die nicht über das Klischee des bösen alten weißen Mannes hinauskommt. Duvall spielt sehr emotional gegen seine stereotype Rolle an, bleibt dabei aber eine flachgezeichnete Figur, dessen Quintessenz auf das pure Überleben hinausläuft. Nicht nur hier bleiben die politischen Ambitionen McQueens lediglich eine Behauptung.


Am Script gescheitert. Und das Ende ist trostlos.

Nicht sonderlich glaubwürdig auserzählte Storylines, zu viele dürftig angerissene Themen und zu viele an der Oberfläche verharrende Charaktere zeigen, dass das Script aus dem Ruder gelaufen ist. McQueen wollte unbedingt eine weibliche Autorin und traf mit Gillian Flynn nicht die schlechteste Wahl. Die 48-jährige Schriftstellerin wurde mit „Gone Girl“ weltberühmt und schrieb auch das Filmskript für David Finchers gleichnamige Verfilmung. Ziemlich originell: Flynn wurde von einigen Kritikern Misogynie vorgeworfen, doch die Autorin und selbsterklärte Feministin sah die Darstellung der Frauen in ihren Büchern mit anderen Augen: „"I've grown quite weary of the spunky heroines, brave rape victims, soul-searching fashionistas that stock so many books. I particularly mourn the lack of female villains – good, potent female villains... Libraries are filled with stories on generations of brutal men, trapped in a cycle of aggression. I wanted to write about the violence of women", interpretierte Gillian Flynn ihren Fokus in einem autobiografischen Aufsatz.

Diese Intention ist zumindest aufgegangen. Viola Davis spielt den Leader of the Gang sehr wuchtig und mit professioneller Kälte, die man ihr dank ihrer exzellenten schauspielerischen Fähigkeiten auch abkauft. Auch die anderen Frauen, besonders Elisabeth Debicki, die inzwischen als Edelnutte ihren Lebensunterhalt verdient und unerwartete Schießkünste an den Tag legt, erhalten gut skizzierte Profile. Besonderen Eindruck hinterlässt dabei die Cynthia Erivo als Belle, eine physisch extrem präsente Frau, die als Fluchtfahrerin von Violas Team angeheuert wird.

Dennoch überwiegt der Eindruck, dass das von Steve McQueen und Gillian Flynn erarbeitete Drehbuch der Themenvielfalt irgendwann nicht mehr gewachsen ist. Zu viele Flashbacks müssen mühsam die Backstorys der Figuren erklären, sie stören auch den Erzählrhythmus. Der Coup der Frauen ist zwar erfolgreich, geht aber zu glatt und recht spannungsarm über die Bühne. Dass dann ausgerechnet der brutale Jatemme aus dem Nichts auftaucht (wieso eigentlich?) und den Frauen die Beute abnehmen kann, bevor er selbst von ihnen aus dem Weg geräumt wird, ist rein handlungslogisch nicht nachvollziehbar. Und der Ausgang des Wahlkampfs in der South Side wird nur beiläufig erwähnt, auch die politischen Strippenzieher, die zuvor aufgebaut wurden, verschwinden sang- und klanglos aus der Handlung.

Dies könnte man noch gelassen ignorieren. Den größten Fehlgriff leisten sich McQueen und Flynn aber mit der Rolle des vermeintlichen Gangstergenies Harry Rawlings. Kein Zuschauer, der bis drei zählen kann, wird vermuten, dass Liam Neeson für eine Rolle gecastet wurde, in der er nach gefühlten fünf Minuten tot ist und danach nur noch in einigen sentimentalen Flashbacks auftaucht. Auch deshalb ist der zentrale Plot Twist in „Widows“ nur heiße Luft, ebenso wie das actionreiche Filmende, das beinahe eine Lustlosigkeit an den Figuren signalisiert. Dass die traumatische Ehegeschichte von Viola und Harry auch als Geschichte von Verrat, Täuschung und Desillusionierung kein friedvolles Ende nehmen wird, war leicht zu erahnen – was sich aber dann tatsächlich ereignet, ist aus psychologischer Sicht schlechtes Storywriting.

Unterm Strich ist „Widows“ eine sehenswerte Mischung aus Heist-Movie und Neo-Noir geworden, was überwiegend dem guten Ensemble, allen voran Viola Davis, zu verdanken ist. Der Überlebenskampf dieser Notgemeinschaft, deren Mitglieder sich nicht einmal sonderlich mögen, wird stimmig erzählt und wirkt keineswegs so, als wolle sie irgendwie verkrampft dem aktuellen Trend nach starken Filmfrauen hinterherhecheln. 

Die „organisch in die Handlung eingebetteten Kommentare zu Politik, Geschlechterbeziehungen, Ethnien und Klassen“ (Anke Westphal, epd-film) sind dagegen eher misslungene Notizen. Zu flüchtig, zu stereotyp. Man entdeckt sie nur, wenn man sie unbedingt finden will. Das erfordert einen größeren Erzählrahmen und ist wohl eher eine Angelegenheit für Serien. Und auch für Frauen im Gangstermilieu hat es schon vor langer Zeit bessere Blaupausen gegeben. Dabei denke ich nicht zuerst an Quentin Tarantinos „Jackie Brown“, sondern eher an John Cassavetes wunderbaren Film „Gloria“ (1980) mit Gena Rowlands in der Hauptrolle. Daran gemessen ist Steve McQueen noch nicht ganz so weit, um Steven Spielberg und Martin Scorsese abzulösen.

 

Noten

BigDoc=3,5

Widows - USA/GB 2018 - Regie: Steve McQueen - Buch: Steve McQueen, Gillian Flynn - Laufzeit: 130 Minuten - FSK: ab 16 Jahren - D.: Viola Davis, Elisabeth Debicki, Cynthia Erivo, Michelle Rodiguez, Colin Farrell, Robert Duvall, Daniel Kaluuya u.a.

Kritiken

  • It’s entertaining enough for popcorn — and gratifying, too, to watch these smart, strong women step into roles they’re so often left to support from the sidelines, while men have all the contraband fun. If only the execution of it didn’t feel like such a crazy-quilt patchwork of other, better films, and so jaggedly stitched together. C+ (Leah Greenblatt, Entertainment)
  • In der Karriere dieses Regisseurs ist es ein weiterer wichtiger Schritt: Nach dem Erfolg von „12 Years a Slave“, einem unterfinanzierten Projekt, beweist er nun, dass er auch dem Action-Kino seinen Stempel aufdrücken kann. Nun steht ihm der Himmel offen. In Hollywood könnte er Spielberg und Scorsese zugleich ersetzen (Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau).

Quellen

„I Was Not a Nice Little Girl…“ (Gliian Flynn, 2015)