Sonntag, 8. März 2020

Unterleuten - Das zerrissene Dorf

Goldfarbene Felder, aber immer noch ein Land in der Strukturkrise. Matti Geschonneck erzählt in dem ZDF-Dreiteiler von einem Dorf mitten in Brandenburg, das in eine schwere Krise gerät. Erst gab es die Treuhand, nun fallen Investoren in Unterleuten ein, die einen Windpark bauen wollen.
Die Verfilmung von Julie Zehs gleichnamigen Roman wurde als TV-Meilenstein angekündigt. „Unterleuten“ ist tatsächlich ein sehenswerter Dreiteiler geworden, gespielt vom Who is Who der deutschen Schauspielergarde. Ein düsteres Gesellschaftsdrama und ein Spiegelbild der Kleinkariertheit, das allerdings eine Frage nicht beantwortet.





Von Klimakrise keine Rede

Schaut man sich die drei Teile der Miniserie „Unterleuten – Das zerrissene Dorf“ an, staunt man über etwas, das so gut wie nie zu Wort kommt: Wie soll die Energiewende gelingen, wenn die Menschen regenerative Energieträger wie den Wind komplett ignorieren und alle, die Windräder in die Landschaft stellen wollen, als Sendboten des Teufels bekämpfen?
In der kleinen Dorfgemeinde Unterleuten im idyllisch gefilmten Brandenburg wird über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über die Frage aller Fragen. Das ist der dramaturgische Kniff einer Serie, in der die nicht ausdiskutierte Klimafrage dazu instrumentalisiert wird, um die tiefen Verwundungen nachzuzeichnen, die sich nach der Wende im Osten unseres Landes bislang nicht beseitigen ließen.

„Unterleuten“ ist die Verfilmung des 650 Seiten starken gleichnamigen Romans von Juli Zeh, der 2016 von der Kritik trotz einiger Gegenstimmen
gefeiert wurde. Das Buch galt als unverfilmbar, nun aber haben Drehbuchautor Magnus Vattrodt und Regie-Ikone Matti Geschonneck („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) das Unmögliche gestemmt, einiges gestrichen und eingedampft und die Geschichte in der Gegenwartsebene belassen, ohne in Rückblenden auf die Hintergründe der Figuren einzugehen. Die werden nur dezent angedeutet, aber die inhaltliche Fokussierung auf das Hier und Heute lässt genug übrig, um die Dilemmata der Dorfgeschichte aufzuzeigen. Und die werden von einem brillant aufspielenden Cast so gespielt, dass man keine Mühe hat, das überdosierte Seelengift zu schmecken, dass die Herzen der Menschen krank werden lässt.


Es geht um Geld und Macht

Alles beginnt damit, dass Arne Seidel (Jörg Schüttauf), der pragmatische Bürgermeister von Unterleuten, bei einer Bürgerversammlung Anne Pilz („Pilz wie der Champignon“) vorstellt, die für die Vento Direct in Unterleuten einen Windpark mit zehn Windrädern bauen will. Mina Tander spielt die Geschäftsfrau als gerissene und zynische Strategin, Schüttauf den Bürgermeister als leutseligen Mann, der erkennt, dass die Gewerbesteuer seine kleine abgewirtschaftete Gemeinde vor dem Untergang bewahren könnte. Doch die meisten Bürger von Unterleuten gehen schon bei der Erwähnung des Wortes „Windrad“ auf die Barrikaden.

Aber nicht alle. Da sind noch die, die den Windpark begrüßen. Edle Motive haben sie nicht, bestenfalls ambivalente. Da ist Rudolf Gombrowski (Thomas Thieme), dessen familiärer Landbesitz in der DDR der Kollektivierung zum Opfer fiel. Nach der Wende hat er den alten Besitz der Familie zurückerhalten und in eine GmbH überführt, die Ökologika. Als alleiniger Geschäftsführer und wichtigster Arbeitgeber der Gemeinde ist er der mächtigste Mann in Unterleuten – und er wittert ein todsicheres Geschäft mit regelmäßiger Rendite.

Aber nicht nur Gombrowski will den Windpark. Auch der windige Investor Konrad Meiler (Alexander Held) will ihn. Aber dazu benötigt er Grund und Boden. Den brauchen alle, die in das große Geschäft einsteigen wollen. Gombrowski fehlen zwei Hektar, um überhaupt an der Ausschreibung teilnehmen zu können, Meiler sucht sie ebenfalls, um als Strippenzieher ein Stück aus dem Kuchen schneiden zu können. Einen Großteil des Landes besitzt er bereits.
Das bringt Linda Franzen ins Spiel, die mit ihrem Frederick (Jacob Matschenz) nach Unterleuten gezogen ist, um dort ein Reitgestüt nebst Reitschule zu bauen. Eigentlich will sie von Meiler die Wiese vor ihrem Haus kaufen, dann aber entdeckt sie zufällig, dass ihr ein Teil der Schiefen Kappe gehört, und als Besitzerin der begehrten zwei Hektar ist Linda Franzen nun mitten drin im Spiel um Geld und Macht. Miriam Stein spielt die junge Frau als freundlich lächelnde, aber eiskalte Geschäftsfrau, die mit großer Virtuosität sowohl Gombrowski als auch den cleveren Meiler raffiniert manipuliert.


Alteingesessene und Zugezogene: ein düsteres Gesellschaftsdrama

Das hört sich nach Weekly Soap à la Dallas an. Und ein gutes Stück von diesem Intrigantenstadl ist in „Unterleuten“ mit seinem Cast, der aus fast zwanzig Haupt- und Nebenfiguren besteht, auch zu sehen. Es wird manipuliert und gelogen, eingeschüchtert und bedroht. Doch zu einer niederschwelligen Trivialisierung lässt es der Grimme-Preisträger und mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Matti Geschonneck nicht kommen. Denn in „Unterleuten“ geht es eigentlich nicht um den Windpark, sondern darum, wie in einer Gesellschaft egoistischer Eigensinn und ideologische Verbohrtheit für den Niedergang des Gemeinsinns sorgen.

„Unterleuten“ ist daher ein düsteres Gesellschafts- und Charakterdrama geworden, in dem beeindruckend jene Verblendung nachgezeichnet wird, die in weiten Teilen unsere gegenwärtige Gesellschaft widerspiegelt. Es wird nicht mehr kommuniziert, sondern selbstbewusst die Wahrheitsfrage beantwortet, bevor man überhaupt ins Gespräch gekommen ist. Die Menschen in Unterleuten hassen Windräder, aus welchen Gründen auch immer.
Andere Figuren des Dreiteilers sind da schon etwas explizierter. 
Etwa der Alt-Kommunist Kron (Hermann Beyer), der sich gegen den Windpark richtet, um seinem Todfeind Gombrowski eins auszuwischen. Außerdem ist der Windpark für ihn ein Symbol des verachteten Kapitalismus.
Und da ist der Ex-Professor und Mitarbeiter einer Umweltbehörde Dr. Gerhard Fließ, der mit seiner Frau Jule und Baby Sophie ein Zugezogener ist und eine aussterbende Vogelart durch die Windräder bedroht sieht. Ulrich Noethen spielt den Ökologen auf faszinierende Weise als arroganten und immer militanter auftretenden Besserwisser, der sich im Alleinbesitz der Wahrheit glaubt und von seiner moralisch sehr wendigen Frau (Rosalie Thomass) aufgehetzt wird. Jule ist als emotionsgesteuerte Opportunistin das Spiegelbild jenes Typus Mensch, der sofort in den Kampfmodus übergeht und sachliche Argumente an sich abperlen lässt – eine der unangenehmsten Figuren in „Unterleuten“.

Und mittendrin ist da noch Charly Hübner, der mit einer wuchtigen Präsenz den Automechaniker Bodo Schaller spielt, dessen Geschichte viel mit den düsteren Geheimnissen von Unterleuten zu tun hat. Etwa mit dem mysteriösen Tod eines Mannes, der sich einst gegen Gombrowski auflehnte und danach tot im Wald gefunden wurde. Schaller ist
vordergründig ein brutaler, aggressionsbereiter Mann, der schon mal Autoreifen anzündet, um mit dem schwarzen Qualm die Familie Fließ zu terrorisieren. Immerhin ist er der Mann fürs Grobe, der für Gombrowski die Sachen erledigt, die dieser lieber nicht tun möchte. Charly Hübner ist auf irritierende Weise der Mittelpunkt der Serie. Zunächst ein Unsympath, der dann aber zögernd seine Gefühle freilegt. Eine exzellente Performance, die seinen illustren Kollegenkreis fast in den Schatten stellt. Schaller ist ein Mann, der wenig redet, mit seiner Tochter Miriam (Nina Gummich) und seinen Gefühlen ringt, nicht das Geringste mit Ökologie und Kapitalismuskritik am Hut hat und dabei doch so authentisch wirkt, dass es unter die Haut geht.

„Unterleuten“ zeigt auch am Ende, dass Matti Geschonneck und sein Autor Magnus Vattrodt vor dem Hintergrund einer idyllisch gefilmten Dorfsaga weniger vom Windpark erzählen wollten. Der ist eher ein McGuffin, ein Katalysator, der das Thema der Serie anheizt. Und dabei geht es um in die offenliegende Verfasstheit einer multipluralen Gesellschaft, die zwar diverse konkurrierende Lebensentwürfe ermöglicht, aber die Fähigkeit einzubüßen droht, jenseits der Egoismen einen Gesellschaftsvertrag zu entwickeln, der das große Ganze nicht aus den Augen verliert.
Von dieser demokratischen Streitkultur sind die Menschen in Unterleuten fast ausnahmslos meilenweit entfernt. Dumpfe Vorurteile ersetzen nüchterne Argumente, wütender Hass generiert fast aus dem Stand und ohne jegliches Nachdenken bescheuerte Freund-Feind-Stereotypien. Bildung schützt nicht vor Dummheit und am Ende bleiben zerstörte Existenzen als Opfer schäbiger Intrigen und widerwärtiger Intrigen zurück.
„Jeder glaubt sich im Recht. Jeder hat seine Gründe“, erklärte Matti Geschonneck der Süddeutschen. „Ein Dilemma unserer kostbaren, fragilen Demokratie. Ich verstehe jeden Einzelnen, zumindest die in Unterleuten.


Achaische Gestalten

Ein Meilenstein der TV-Geschichte ist „Unterleuten“ nicht ganz geworden. Das liegt daran, dass die Serie die alternative Energieindustrie dämonisieren muss, um die die Triebkräfte der Condition humana freizulegen. Dass die Betreiber regenerativer Technologien nicht bedingungslose Gutmenschen sind, sondern sich mit unterschiedlichen Motiven den kapitalistischen Marktgesetzen stellen, ist ein Gemeinplatz. In Geschonnecks Geschichte fallen sie aber wie Heuschrecken in ein Land ein, in dem wunderbare Bilder goldfarbener Getreidefelder gefilmt wurden, das unter seiner Oberfläche aber immer noch ein infrastruktureller Krankheitsfalls ist. 

Irgendwie erinnert das sehr stark an die Post-Wendezeit mit ihren Traumata. Das ist klug gemacht. Es ist aber trotzdem zu befürchten, dass das von den Windpark-Investoren entworfene Bild in der ZDF-Serie sich als stereotypes Bild in den Köpfen einiger Zuschauer festsetzen wird. Und die, die schon heute eine klimaneutrale Umwelt wollen, aber das Windrad vor ihrer Haustür bekämpfen, werden sich von der Geschichte Unterleutens eher bestätigt fühlen. Allerdings ist dies Matti Geschonneck klar gewesen. Seine Bewunderung für die „archaischen Gestalten“ des Romans hat er in eine beeindruckende Geschichte verwandelt - allerdings mit winzigen Webfehlern. 


Noten: Melonie = 1, BigDoc = 2

Unterleuten – Das zerrissene Dorf – ZDF 2020 – 3 Teile, ca. 90 Minuten – Regie: Matti Geschonneck – Drehbuch: Magnus Vattrodt – nach dem gleichnamigen Roman von Julie Zeh – Darsteller: Thomas Thieme, Charly Hübner, Miriam Stein, Hermann Beyer, Arne Seidel, Ulrich Noethen, Alexander Held, Mina Tander, Rosalie Thomass, Frederick Wachs.