Samstag, 28. November 2020

The Walking Dead – World Beyond – ein lupenreiner Flop

Es möge keiner sagen, dass das Sujet einer Zombie-Apokalypse per se auserzählt ist. Sowas haben Kritiker bereits vor Jahrzehnten von den Western behauptet, doch aller Unkenrufe zum Trotz hält sich das Genre. Es gibt sogar sehenswerte Westernserien wie „Godless“.
Tatsächlich hängt alles von der Qualität einer Erzählung ab. Ist die Story gut, dann ist die Serie gut. Eine einfache Formel. Wie man eine Geschichte richtig vor die Wand fährt, gehört dagegen in jedes Filmseminar. Damit die Macher von morgen etwas lernen. „World Beyond“ ist idealer Lehrstoff.


Himmel, was war das denn?

Verstörend für Serienmacher ist es, wenn man die bereits beim Staffelstart mauen Quoten innerhalb kürzester Zeit halbiert. „World Beyond“ toppte dies locker und stürzte bis zu den beiden Schlussfolgen der ersten Staffel sogar von 1,6 Mio. auf 0,6 Mio. Zuschauer ab. Fast zwei Drittel der Zuschauer gingen also verloren. Damit wurde die AMC-Serie zu einem Unterhaltungsartikel für nerdige Randgruppen, die den Hals nicht vollbekommen.
Man muss nicht lange nach Argumenten suchen, um die Gründe zu finden. Es waren vor allen Dingen die schlechten Drehbücher, die der Serie den Garaus bereiteten. Nun hoffen ja viele Macher, dass die Professionalität im Writer’s room dank seines Teambuildings und seiner sujeterfahrenen Autoren einen bestimmten Standard nicht unterschreiten kann. „World Beyond“ hatte auch damit nicht die geringsten Schwierigkeiten. Vielmehr wurden die bereits in meiner ersten Kritik angesprochenen Problemfelder sogar intensiviert.

Denn tatsächlich gab es die sujeterfahrenen Autoren gar nicht! Ben Sokolowski (Episode 2: „The Blaze of Glory“ und zusammen mit Maya Goldsmith Episode 9: „The Deepest Cut“) sammelte bislang nur bei „Arrow“ und „The Flash“ umfangreiche Erfahrungen – aber weniger als Autor, sondern als Co-Executive Producer. Sinead Daly („Episode 4: The Wrong End of a Telescope“) war in anderen Genres unterwegs (“Blue Bloods“, „Raised by Wolves“). Über Rohit Kumar (Episode 5: „Madman Across the Water“) erfährt man in der IMDB so gut wie nichts. Maya Goldsmith hat wenigsten Meriten in „How to Get Away with Murder“ und Pretty Little Liars“ erworben – aber auch sie als Co-Executive Producer und nicht als Autorin! Das war auch ihr Job bei „World Beyond“, nur durfte sie diesmal auch beim Script ran. Episode 6 „Shadow Puppets“ war allerdings nicht einmal so übel. Elisabeth Padden ist Schauspielerin und hat nur einmal (!) für „Altered Carbon“ ein Drehbuch geschrieben – in „World Beyond“ war sie für Episode 8 „The Sky is a Graveyard“ verantwortlich. Im Ernst: Expertise sieht anders aus. Die Ergebnisse fielen entsprechend enttäuschend aus.

„…die Dialoge der von Scott M. Gimple und Matthew Negrete geschriebenen Auftaktepisode sind leider zu oft trivial und humorbefreit, dafür aber voller klischeehafter Kalendersprüche. (…) Das ist ärgerlich und noch schlimmer: es ist mutlos,“ schrieb ich über „Brave“, die erste Folge der Serie. 

Besser wurde es nicht. Iris (Alyah Royale) entwickelte sich im Laufe der Odyssee einer Gruppe von Jugendlichen
zum moralischen Zentrum, das nicht nur den Mitstreitern, sondern auch den Zuschauer nervtötend die ungeheuere Bedeutung des Vorhabens pädagogisch belehrt. Aufgebrochen und unfreiwillig betreut von zwei Erwachsenen ist eine kleine Gruppe Jugendlicher aufgebrochen, um den Vater von Iris und ihrer Schwester Hope (Alexa Mansour) aus den Fängen der ominösen Civic Republic Military (CRM) zu befreien. Auf ihrer Reise durch Amerika werden die zuvor gut behüteten Kids mit den harten Realtäten einer Postapokalpse konfrontiert. Richtig erzählt, könnte Iris eine tragfähige Figur werden, zumal Alyah Royale das Beste aus ihrer Rolle macht. Auch das Thema ist vielversprechend, aber Iris wurde von der Scriptwritern gezwungen, nicht nur während der Handlung, sondern auch im Off pausenlos über Sinn, wahre Werte, Solidarität und Mut zu monologisieren. 

Das war leider eine Mischung aus pädagogischen Idealen und trivialen Kalendersprüchen. Und sorry: so sprechen Kids oder junge Erwachsene nicht. Erst recht nicht mitten in einer Zombie-Apokalypse. Stattdessen hätte man sich an die einfache Filmformel halten können: Lasst Handlungen sprechen, nicht Worte.
Passend ergänzt vom ebenfalls redseligen Elton Ortiz (Nicholas Kantu), dem intellektuell angehauchten, aber physisch schwachen Think Tank der Gruppe, führte das fade Konzept stattdessen dazu, dass sich die Scriptwriter eine Reihe moralisch ambivalenter Situationen ausdachten, in denen sich die hehren Grundsätze bewehren mussten. Mutlose wurden zu Kämpfern, Verstörte zu Erlösten. Und anschließend wurde viel darüber geredet.
Leider verstärkte sich dabei der Eindruck, dass die Showrunner Scott M. Gimple und Matthew Negrete ihre Autoren aus purer Einfallslosigkeit zu dieser endlosen Wiederholung des Floskelhaften antrieben. Vermutlich sollte eine Coming-of-Age-Geschichte wie „Stand by me“ erzählt werden, aber dazu gehören ein Feeling für Ironie und Humor und gute Dialoge. So aber waren jene Figuren am spannendsten, die kaum zu Wort kamen.


„It’s more of the same, stupid!“

So lautete ein weiteres Zwischenfazit meiner ersten Rezension. Und tatsächlich wurde neben den überwiegend drittklassigen Scripts auch die simpel gestickte narrative Struktur zu einem weiteren Fallstrick. In den ersten sieben Episoden passierte nämlich so gut wie gar nichts. Die von Powerfrau Huck (Annet Mahendru) und Felix (Nico Tortorella) betreute Gruppe musste sich stattdessen mit Trivialitäten herumschlagen: Wie baue ich ein Boot, um einen Fluss zu überqueren? Wie komme ich durch einen Müllplatz mit brennenden Autoreifen, ohne von den Untoten gefressen zu werden? Wie überlebe ich, wenn ich zu ängstlich und gehemmt bin, um Zombies zu töten.

Auch die Schurken rekapitulierten lediglich die bekannte TWD-Philosophie. Nicht die Walker, sondern der Mensch ist des Menschen wahrer Feind. Warum das CRM die Campus-Colony komplett massakriert hat, verfing sich in einigen dunklen Andeutungen von Elisabeth Kublek (Julia Ormond), die offenbar im Auftrag unbekannter Mächte handelt. Und die
gehen gnadenlos über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Es scheint, als wolle das CRM hochbegabte Menschen einsammeln, um die menschliche Zivilisation am Leben zu erhalten. Aber wenn die Verantwortlichen davon ausgehen, dass die Menschheit mangels Nachwuchs in 15 Jahren aussterben wird, ist ein Genozid an Unschuldigen kein probates Mittel, um dies zu verhindern. Natürlich wurde die Auflösung des Rätsels in die nächste Staffel verschoben, aber wirklich brennend interessiert ist man nicht, auch wenn spekuliert wurde, dass Andrew Lincoln in seiner Rolle als Rick Grimes einen Gastauftritt hat. Hat er nicht. Charismatische Schurken gab es in der Mutterserie, aber die Figur der Elisabeth Kublek kann weder den Govenor noch dem charismatischen Negan das Wasser reichen.

Um die narrative Diät etwas schmackhafter zu machen, griffen die Showrunner pausenlos auf Flashbacks zurück, um den Figuren wenigstens interessante Backstorys zu verpassen. Das funktionierte streckenweise ganz passabel, etwa wenn Schicht für Schicht das Kindheitstrauma des schweigsamen Silas (Hal Cumpston) freigelegt wurde, der in Notwehr seinen Vater tötete und nun glaubt, dass er aufgrund seiner Aggressivität eine Gefahr für die Gruppe sein könnte.
Aber als durchgehendes narratives Prinzip wirkt dies auf Dauer ermüdend und formelhaft. Und da diese Form des Character Buildings gelegentlich sogar spannender war als die Haupthandlung, führte einem dies nur ernüchternd vor Augen, wie kraftlos die Episoden 1-7 trotz gelegentlicher Zombieeinlagen eigentlich waren.

Um so mehr überraschten die letzten drei Episoden, in denen tatsächlich etwas passierte. Nämlich als mit dem Magier Tony Delmado (Scott Adsit) und seinem Neffen Percy (Ted Sutherland) ein Ganovenpärchen auftauchte, das die Gruppe gekonnt abzockte. Tony entpuppe sich als redseliger Entertainer, der sarkastische Percy bekam sogar vernünftige Texte ohne öde Kalendersprüche. Dann plagten beide nach dem erfolgreichen Coup doch das schlechte Gewissen, alle rauften sich zusammen und zusammen mit den beiden Neuankömmlingen, einem Truck und genügend Benzin konnte die Gruppe hoffen, nun schneller das Ziel zu erreichen: den geheim gehaltenen Standort der CRM. Dann aber wurde Tony brutal ermordet, Percy war verschwunden und Silas wurde zum Hauptverdächtigen der Schandtat und prompt trotz einiger Einwände von der Gruppe verstoßen.
Das wurde spannend erzählt, auch weil ein Mitglied der Gruppe von den Autoren kurz danach als Verräter und tatsächlicher Mörder geoutet wurde. Und das sorgte für Suspense und für ein manierliches Staffelfinale mit etlichen unerwarteten Wendungen. Aber alles hat seinen Preis.  Die letzten beiden Episoden „The Deepest Cut“ und „In This Life“ demonstrierten aufgrund des unverhofften Qualitätssprungs, wie müde sich „World Beyond“ zuvor über die Runden geschleppt hatte.


Sorgen muss man sich nicht machen: das Ende naht

Denn nach der zweiten Staffel wird das Spin-off beendet. Und so wird „World Beyond“ als Experiment das Franchise wohl keinen Schritt weiterbringen. AMC und seine Macher dürfte vielmehr die Frage beschäftigen, ob weitere Spin-offs mit ähnlichen Quoten Sinn machen. Man darf skeptisch sein, denn „World Beyond“ zeigte zu offensichtlich, was man falsch machen kann. Wenn man nämlich nicht bereit ist, in gute Autoren zu investieren, wird eine im Kern nicht einmal schlechte Idee fast folgerichtig vor die Wand gefahren. Und da der Fisch am Kopf zu stinken beginnt, stehen automatisch auch die beiden Showrunner Scott M. Gimple und Matthew Negrete im Fokus der Kritik.

Möglicherweise gibt es auch ökonomische Gründe für das Scheitern. „World Beyond“ ist erkennbar billig produziert worden. Aufwendige Settings waren nicht erforderlich, da die Reisegruppe meistens durch menschenleere Landschaften wandert. Trotzdem war zu erkennen, dass die Macher bemüht waren, die Serie mit netten visuellen Einfällen und einigermaßen originellen Pre-Title-Sequenzen aufzupeppen. Aber das allein trägt keinen schwachen Plot, der erst am Ende sein Potential abruft.

Quotentechnisch wurde „World Beyond“ zum Totalflop, auch die Quoten von „Fear The Walking Dead“ schrumpften in diesem Jahr mit beharrlicher Konsequenz. Irgendwie ist es traurig, wie aus dem Franchise, einem Meilenstein der jüngeren Seriengeschichte, ein Auslaufmodell wurde, dessen Macher mit großspurig angekündigten Spin-offs nach einer Kehrtwende suchten, aber alles noch schlimmer machten. Der Mutterserie sind die tragenden Charaktere abhandengekommen. Wenn die Figuren nicht umgebracht wurden, haben sie als Darsteller das Weite gesucht. Die Spin-offs suchten nach interessanten Charakteren, brachte sie wie in „Fear the Walking Dead“ aber um, kaum dass sie gefunden wurden.

Vielleicht gehört es zum Schicksal jeder guten Serie, irgendwann zu ermüden. Allerdings zeigen exzellente Showrunner, dass ein befriedigendes Ende möglich ist. Große Serien wie „Breaking Bad“ und „The Wire“ haben dies erfolgreich vorgeführt. Und dass man aus einer Schieflage herauskommen kann, wenn man sich auf bewährte Erzählmittel besinnt, führt gerade ganz aktuell „Star Trek: Discovery“ vor. Dort erzählen die Macher ihre Geschichten wieder im vertrauten Stil der 1980er und 1990er Jahre, aber halt mit guten Skripts, viel Humor und mit den modernen Mitteln der Technik von heute. Es funktioniert.


The Walking Dead: World Beyond – AMC Networks 2020 – Showrunner: Scott M. Gimple und Matthew Negrete – 10 Episoden – D.: Aliyah Royale, Alexa Mansour, Hal Cumpston, Nicolas Cantu, Nico Tortorella, Annet Mahendru, Julia Ormond.