Samstag, 12. Dezember 2020

Mank - David Finchers Film hält sich nicht immer an die Fakten

Nach Alfonso Cuaróns „Roma“ präsentiert Netflix mit „Mank“ exklusiv einen weiteren Kunstfilm der Extraklasse und unterstreicht damit seine Ambitionen, erlesenen Meisterwerken einen Platz im Pantheon der großen Filmemacher zu verschaffen.
Wow, dieser Teaser liest sich wie Werbung. Ist es aber nicht. Fincher liefert zwar ein genaues Bild des Studiosystems Hollywoods in den 1930er Jahren ab, erzählt dabei aus seiner Sicht, wie 1940 das Drehbuch für Orson Welles „Citizen Kane“ entstanden ist und demontiert ziemlich lässig Filmmogule wie Louis B. Mayer, den Studioboss von MGM. Aber „Mank“ - visuell zweifellos ein Meisterwerk - gerät als Period Drama auf die schiefe Bahn. Fincher schreibt einen Teil der Geschichte und ihrer Geschichten nämlich neu, um seine eigene Botschaft verkünden zu können.
„Mank“ soll eine Eloge auf die Drehbuchautoren sein, ist aber ausgerechnet dort nicht historisch korrekt, wo es um die Titelfigur geht – den Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz.

Eine Mise en scène wie beim Altmeister

Was „Roma“ und „Mank“ verbindet, sind Bilder in prachtvoller Schwarz-Weiß-Ästhetik. „Mank“ sieht so wunderschön und old-fashioned aus, dass man sich fragt, wozu eigentlich der Farbfilm erfunden wurde. Dabei hat Fincher die eleganten Bilder seines Kameramannes Erik Messerschmidt („Gone Girl“, „Mindhunter“, „Fargo“, „Raised by Wolves“) mit extrem hoher Auflösung produziert, dann aber fast die gesamte Schärfe digital herausrechnen lassen, um ein weicheres Bild zu erhalten. Auch der Ton wurde das Opfer einer Mimikry: digital hochwertig produziert, wurde er einer Rosskur unterzogen, bis er sich anhörte wie in den Filmen aus der Goldenen Ära des Hollywood-Kinos.

In der ersten Einstellung schieben sich wie in einem klassischen Hollywoodfilm die Credits vor einen schwarz-weiß-grauen Himmel, um in den Wolken zu verschwinden. Dann senkt die Kamera ihren Blick und erfasst zwei Autos in einer kargen Landschaft. Wir sind im Jahre 1940 in der Nähe von Victorville, einer Stadt im San Bernardino County, das im US-Bundesstaat Kalifornien liegt. Der Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) wird auf seine Ranch gefahren, um in aller Abgeschiedenheit das Drehbuch für einen Film zu schreiben, den Orson Welles nach seiner legendären Hörspieladaption von H.G. Wells Science-Fiction- Roman „Der Krieg der Welten“ drehen will. Das Hörspiel hatte 1938 eine Massenpanik ausgelöst, weil die Zuhörer glaubten, einer Invasion der Marsianer beizuwohnen. Nun hat das 25-jährige Genie von den Studios eine Carte blanche erhalten – er darf machen, was er will, egal mit wem und über wen. 

Statt der ursprünglich zugesagten 90 Tage hat Mankiewicz nur 60 Tage Zeit, um das Script zu für einen Film zu schreiben, der später den Titel „Citizen Kane“ erhielt und sich bis heute in den Top 10 der besten Filme aller Zeiten hält. Für den alkoholkranken Schreiber, dessen rechtes Bein nach einem schweren Autounfall eingegipst ist, keine denkbare Zukunft, sondern ein Job. Der große Wurf ist von einem Kinonovizen wie Orson Welles schließlich nicht zu erwarten. Zudem soll Mankiewicz nicht einmal in den Credits genannt werden.
Begleitet von seiner Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins), der Mank die Regieanweisungen und Dialoge diktieren wird, der Krankenschwester Fräulein Freda (Monika Gossmann) und dem servilen Produzenten und Autoren John Houseman (Sam Troughton) schleppt sich der Autor ins Haus und lässt sich wie Marcel Proust sofort im Bett nieder. Und Proust hat schließlich seine Suche nach der verlorenen Zeit auch im Bett beschrieben. Eine schöne Bildmetapher.

Erik Messerschmidts Kamera und David Finchers Mise en scène gestalten diese nicht sonderlich aufregende Szene so, wie es Kameramann Gregg Toland in einer berühmten Szene aus „Citizen Kane“ tat. Tiefenscharf und natürlich als Plansequenz. Und selbstverständlich schaut die Blickachse aus leichter Untersicht auf das eingegipste Bein von Mankiewicz, dahinter sieht man Houseman telefonieren, neben ihm steht Rita Alexander und links im Bild Fräulein Freda, während die Kamera langsam auf den Kranken abschwenkt, dem man das Telefon übergibt, derweil im Hintergrund die Krankenschwester in der Küche verschwindet. Nun endlich kann sich der Autor mit Orson Welles (Tom Burke) austauschen.

Um bei diesen Bildern innerlich vor Glück zu jubeln, bedarf es mehrerer Dinge. Zum einen muss man „Citizen Kane“ aus dem eff-eff kennen, dann sollte man Andre Bazins Buch über Orson Welles (1958) lesen, und selbstverständlich auch Bazins Masterpiece „Qu’est-ce que le cinéma?“ (1975). Letzteres gibt es noch bei Amazon, die Ausführungen des französischen Filmkritikers und -theoretikers über Welles muss man sich allerdings antiquarisch besorgen. 
Aber gerade sie sind es, die erklären, warum Orson Welles mithilfe von Gregg Toland mit nur einem einzigen Film die Grundlagen des modernen Kinos erfand und die Filmmontage by the way komplett revolutionierte: durch Plansequenzen (lange, ungeschnittene Einstellungen), mit Weitwinkel-Objektiven (Tiefenschärfe) und einer inneren Montage (découpage en profondeur), mit der Darsteller und Gegenständen in einer räumlichen Achse so angeordnet werden, dass das Geschehen ganzheitlich in Raum und Zeit präsentiert und nicht wie in der klassischen Montage durch viele Einstellungen zergliedert wird.

Und so ist die erste Szene in David Finchers Film Hommage und Plagiat zugleich. Ihr Vorbild ist eine dank Bazins Analyse berühmt gewordene Szene aus „Citizen Kane“: der Selbstmordversuch von Kanes zweiter Frau. In einer perfekten Choreographie nimmt dort ein riesiges Glas und ein Medizinfläschchen auf dem Nachttisch ein Viertel des Bilds ein, während der von Orson Welles gespielte Kane sich am anderen Ende der Raumachse mit Gewalt Zutritt zum Schlafzimmer verschaffen will.

„Sinn durch Stil“, nannte Bazin diese Kameraeinstellung: Die Bildtiefe und die innere Montage bestimmen den Sinn des Drehbuches und nicht umgekehrt. 
„Sagen wir, um es einfach auszudrücken, dass diese synthetische Sprache realistischer ist als der traditionelle Schnitt. Realistischer und zugleich geistig anspruchsvoller (…) Indem er seine Freiheit und seine Intelligenz benutzen muß, stößt der Zuschauer direkt, allein durch die Struktur ihrer äußeren Erscheinung, auf die Zweideutigkeit der Existenz der Realität“ (Bazin: Orson Welles, S. 131).

Ob Welles geahnt hat, dass er eine neue Filmontologie erschaffen hatte? Groß genug war sein Ego. Allerdings setzte er auch andere Stilmittel ein: zum Beispiel die non-lineare Erzählweise, dank der Ideen Gregg Tolands auch Stilmittel der deutschen Expressionismus. Denn Welles war kein Purist in eigener Sache, ein Kritiker erkannte in Welles Stil sogar einen handfesten Eklektizismus. Und es gab auch nicht pausenlos Plansequenzen in „Citizen Kane“, denn Welles erweis sich auch als Meister der Zergliederung. So wurde schon mal mitten im Satz geschnitten, nach einem gewaltigen Zeitsprung wurde der Satz dann Jahre später beendet. Ein gewaltiges Werk, das mit einer bitter-süßen Pointe endete, denn eigentlich geht in „Citizen Kane“ um ein Geheimnis, nämlich was Kanes letztes Wort „Rosebud“ bedeutet. Klar, dass auch „Mank“ ein Geheimnis auf seine Aufklärung wartet.

Eins sollte man aber wissen: der von Andre Bazin, dem geistigen Ziehvater der Nouvelle Vague, als traditionell bezeichnete Montagestil der großen Studios war 1940 erst ein Dutzend Jahre alt und das evolutionäre Ergebnis einer rasanten Anpassung an den Tonfilm. Er hatte der Professionalität der Studiofilme neue Standards verpasst und eine Grammatik des Kinofilms erschaffen, die es möglich machte, den Zuschauern Geschichten zu erzählen, die weltweit von allen verstanden wurden. 

Das war keine humanitäre Geste. In der „Goldenen Ära“ wurden Filme wie Industrieprodukte am Fließband hergestellt, für die Eroberung der Weltmärkte brauchte man Standards. Kein Wunder, dass in Finchers Film der MGM-Boss Louis B. Mayer während einer Debatte über Adolf Hitler und Deutschland ungerührt feststellt: „Auf so einen großen Markt verzichtet man nicht.“

„Citizen Kane“ provozierte dagegen einen ästhetischen Gewöhnungsschock. Die Kritiker jubelten, aber an der Kasse floppte der Film. Allerdings nicht nur wegen seiner innovativen Stilmittel, sondern auch weil Welles‘ Feinde aus allen Rohren feuerten, um den Film zu verhindern.
Für das Verständnis von „Mank“ ist Finchers raffiniertes Entree in den Film durchaus belangreich, auf den ersten Blick wohl aber nur für cineastische Nerds. Alle anderen, die sich nicht mit Filmtheorie und der Bildästhetik in „Citizen Kane“ beschäftigt haben, werden Finchers Einfall eher als belanglos einschätzen. Aber das stilistische Plagiat zeigt zum einen, dass Fincher seine filmtheoretischen Hausaufgaben erledigt hat, und zum anderen demonstriert es die unbändige Lust an einer Übercodierung, die seinen Film von der ersten bis zur letzten Einstellung beherrscht. Ständig gibt es Anspielungen, ständig tauchen wichtige Figuren des Showbiz auf, die bereits vor 90 Jahren nicht jeder kannte. „Mank“ ist sozusagen ein Babuschka-Puppe, die von außen nett anzuschauen ist, die in ihrem Inneren aber immer kleiner werdende Puppen versteckt. Erst die letzte gibt den Blick auf die Bedeutung frei. Oder auch nicht.

„Nur ein Autor!“

Danach geht es in „Mank“ weniger um die Ästhetik von Welles‘ berühmtem Film, auch der Regisseur ist kaum zu sehen, und wenn, dann hat er einen Tobsuchtsanfall. Fincher interessiert sich vielmehr für den Skandal, den Orson Welles‘ Film auslöste. Und er will die Geschichte eines Autors erzählen, weil zu selten Geschichten über Drehbuchautoren erzählt werden. Wie in „Citizen Kane“ geschieht dies mit Rückblenden: genau datierte Textinserts, die wie Regieanweisungen in einem Filmscript aussehen, sollen dabei helfen, sich nicht in den Zeitlinien zu verirren.

Finchers Geschichte führt den Zuschauer dabei bis ins Jahr 1930 zurück. Und dabei nimmt der Regisseur wie auch andere Filmemacher zuvor (etwa wie Billy Wilder mit „Sunset Boulevard“ oder die Coen-Brüder in „Barton Fink“) das legendäre Studiosystem Hollywoods inmitten der schweren Weltwirtschaftskrise aufs Korn. „Mank“, das zeigt sich rasch, will auch ein politischer Film sein. Und dafür hat David Fincher gründlich recherchiert. Möglicherweise auch sein Vater, denn das Drehbuch für „Mank“ hat der 2003 verstorbene Jack Fincher bereits 1992 verfasst.

Aber „Mank“ funktioniert nicht aufgrund des Insiderwissens der Finchers, sondern weil der Film einen hervorragenden Hauptdarsteller besitzt. Gary Oldman spielt den deutsch-jüdischen und in Berlin geborenen Autor als grandiosen Literaturkenner und sarkastischen Intellektuellen, der auf keiner Party der Studiobosse die Gelegenheit auslässt, politische Themen scharf zu kommentieren, auch wenn er bereits besoffen ist. Vielleicht auch, weil er besoffen ist. Tendenziell scheint Mankiewicz ein Linker zu sein, vermutet man jedenfalls, auch wenn er unterm Strich dem Studiosystem perfekt zuarbeitet.
Wer gut ist, kann Kohle machen. So erhielt Manks Kollege Ben Hecht ein Telegramm, in dem Mank das ‚System‘ auf den Punkt brachte: „Will you accept three hundred dollars to work for Paramount Pictures. All expenses paid. The three hundred is peanuts. Millions are to be grabbed out here and your only competition is idiots. Don’t let this get around.“
Diese zynische Arroganz spiegelt den brutalen Wettbewerb im Studiosystem wider und Fincher machte im einem Interview mit „The Atlantic“ klar, dass auch in der gegenwärtigen Filmindustrie genug Idioten unterwegs sind, die Autoren und Regisseuren das Leben vergällen. Oldmans Spiel zeigt diese Facetten auf und mit dieser Performance spielt er sich in der Rolle des der Not und der Notwendigkeit gehorchenden Trinkers vermutlich wieder zu einer Oscar-Nominierung durch.

Das eigentliche Thema von „Mank“ wird in einer kurzen Szene deutlich. Irgendwann stolpert Mankiewicz Anfang der 1930er Jahre leicht angesäuselt in eine Filmlocation. Unter einem Zelt sitzen Louis B. Mayer und sein Produktionsleiter Irving Thalberg. Sie schauen zu, wie sich William Randolph Hearsts Protegé Marion Davies in einer Hauptrolle schlägt. Man unterhält sich kurz, dann fragt Thalberg den MGM-Boss: „Wer war das?“ „Nur ein Autor“, antwortet Mayer. Mankiewicz wird aber auf diesem Set den Medien-Tycoon William Randolph Hearst (Charles Dance) kennenlernen und danach in den inneren Kreis der Mächtigen aufgenommen.

Der echte Mankiewicz hatte sich diese Sonderstellung erarbeitet, weil er seinen Job beherrschte. Vor seiner Arbeit für Orson Welles hatte er u.a. für George Cukors „Dinner at Eight“ (1933) das Script verfasst. Die von David O. Selznick produzierte Komödie begeisterte sogar Theodor W. Adorno und seine Frau Gretel, und das will schon etwas heißen, denn der deutsche Vordenker der Frankfurter Schule war alles andere als hollywood-affin. Adornos Begeisterung lag wohl auch an Mankiewiczs bis heute gefeierten Dialogen. 

Das erfährt man in Finchers Film nicht. Stattdessen nimmt sich der Regisseur sehr viel Zeit, um Manks Beziehungen zu den Größen des Showbiz unter die Lupe zu nehmen. Und Fincher lässt dabei nichts aus, um das Hollywood der 1930er Jahre in seinem Glanz und Elend vorzuführen.
Man muss als Zuschauer schon gewaltig aufpassen, wenn en passant Berühmtheiten wie David O. Selznick oder Josef von Sternberg in den Szenen auftauchen und ebenso schnell wieder verschwinden. In diesen Szenen hat „Mank“ einen anekdotischen Charme. Kenner der Filmgeschichte werden dagegen auch in kleinen Details Anspielungen entdecken, die einiges über das System ‚Hollywood‘ verraten. Mitunter wirkt der Film dabei etwas überladen. Stichwort: Übercodierung.

Alles nur wegen Upton Sinclair

Es dauert also etwas, bis sich das nächste Thema des Films entblättert. Dabei geht um den realen Skandal, den „Citizen Kane“ auslöste. Und mehr noch um seine Hintergründe. Zunächst der Skandal: Orson Welles wurde bereits vor der Premiere seines ersten Films vorgeworfen, dass er mit der Figur des Charles Foster Kane den Medienmogul William Randolph Hearst diskreditieren wollte. Sicher auch wegen der politischen Ambitionen des erzkonservativen Hearst.
Hinzu kam, dass die Figur des von Orson Welles gespielten Charles Foster Kane Parallelen zu Hearsts Privatleben andeutete, besonders zu seiner über 30 Jahre andauernden Affäre mit der Schauspielerin Marion Davies. Hearst hatte also mehrere Gründe, um den Kinostart des Films mit allen erforderlichen Mitteln zu verhindern. Tatsächlich war es aber nicht Orson Welles, der sich an Hearst rächen wollte - das will Fincher zeigen - sondern sein Autor Herman J. Mankiewicz, der Hearst als Blaupause für die Figur des Charles Foster Kane benutzte.

Nach und nach rücken die Finchers in weiteren Rückblenden die entscheidenden Figuren dieser komplizierte Affäre ins Zentrum der Handlung. Dazu gehören Louis B. Mayer, der Boss von MGM, der sich unterwürfig bei dem Investor Hearst einschleimt, aber dessen politische Überzeugungen weitgehend teilt. Fincher führt ihn als zynischen Lügner vor: Louis B. Mayer bringt MGM durch die Wirtschaftskrise, indem er seinen Mitarbeitern, der „Familie“, mit einer leutseligen Rede einen Lohnverzicht abschwatzt, aber die versprochenen Nachzahlungen nicht leistet.

„Es war noch nicht einmal das Erbärmlichste, das ich gesehen habe“, erklärt Mankiewicz Mayers Rede vor seinem Staff seinem Bruder Joe (Tom Pelphrey). Und dieser Mayer ist es, der Mankiewicz „die Magie des Films“ klarmacht: „Das ist ein Geschäft, beim dem der Käufer nur Erinnerungen bekommt. Was er gesehen hat, gehört immer noch dem Verkäufer.“

Und da ist natürlich auch William Randolph Hearst (Charles Dance ist eine interessante Besetzung, wenn man an seine Rolle in „Game of Thrones“ denkt), der in den 1920er und 1930er-Jahren der einflussreichste Medienmogul seiner Zeit war, ehe er Ende der 1930er Jahre in beachtliche finanzielle Schwierigkeiten geriet. Der erzkonservative Hearst liebäugelte eine Zeitlang mit den deutsche Nazis, war dann aber der Erste, der über den Holocaust berichtete. 

Und schließlich ist da noch Manks Nemesis, die ihre Rolle als Rachegöttin eigentlich gar nicht übernehmen möchte. Es ist Marion Davies (Amanda Seyfried), jene Schauspielerin mit einem enormen Talent fürs Komödiantische, die gleichzeitig aber auch Hearsts Geliebte war – und der will die junge Frau eher in aufgeblasenen Historienschinken sehen.

Zwischen Mankiewicz und der intelligenten und selbstbewussten Schauspielerin entwickelt sich eine fragile Freundschaft (Manks Frau wird dies als „platonische Liebe“ bezeichnen), die „Mank“ zu den schönsten Szenen verhilft. Die zerbrechliche Beziehung der beiden gerät in Gefahr, als sich Mank für sein Script die Rolle eine völlig talentlose Schauspielerin ausdenkt, die Kanes zweite Frau wird. Und prompt erkannten die Kritiker nach der Premiere des Films die Anspielung. Nur hatte die erfolgreiche Marion Davies nicht das Geringste mit ihrem fiktiven und ziemlich dilettantischen Alter Ego zu tun – in Finchers Film ein moralischer Fehlgriff Mankiewiczs, den seine fiktive Figur bereits innerlich quält, bevor sie auf der Leinwand erscheint. Aber er ändert seine Pläne nicht.

Aber was bewegte Mankiewicz zur Attacke auf Hearst? Zumindest aus Sicht der Finchers war es die widerwärtige Manipulation des Wahlkampfs während der kalifornischen Gouverneurswahlen im Jahr 1934. Gegen den konservativen Amtsinhaber Frank Merriam trat für die Demokraten der sozialistische Schriftsteller Upton Sinclair an, der in seinem ersten Roman „The Jungle“ die Arbeitsbedingungen in der amerikanischen Fleischindustrie angeprangert hatte und seitdem als „Nestbeschmutzer“ (Muckraker) galt. Für das kapitalistische Hollywood war Sinclair bereits zwei Dekaden vor der McCarthy-Ära ein kommunistischer Systemfeind. Die Kampagne „Stop Sinclair“ wurde besonders von Hearst, aber auch von den MGM-Studios unterstützt.

In „Mank“ wird gezeigt, dass Mankiewicz offen mit Upton Sinclair sympathisierte, der aus heutiger Sicht eher sozialdemokratische Positionen vertrat. Der Bruch mit dem System ist endgültig, als Mankiewicz entdeckt, dass Louis B. Mayer und besonders Irving Thalberg für Hearsts Kampagne einen Propagandafilm mit gekauften Schauspielern zusammengeschnitten hatten, der Sinclair als Kommunisten entlarven sollte.
Die sogenannte Fake-Newsreel hat es tatsächlich gegeben. So zeigte Thalbergs Film ein Heer von Arbeitslosen, die Richtung Kalifornien aufbrechen. Bilder einer Invasion, die beweisen sollten, was Sinclair heimlich im Sinn hatte. Die Aufnahmen stammten allerdings aus altern MGM-Filmen und das Ganze war auch deshalb zynisch, weil Louis B. Mayer das Kind ukrainischer Einwanderer war und nun zusammen mit Thalberg gegen Immigranten hetzte.


Noch in der Wahlnacht setzt der angeschickerte Mankiewicz eine gewaltige Geldsumme auf Sinclair (der Autor war nicht nur Alkoholiker, sondern auch ein zwanghafter Zocker). Vergeblich, denn Sinclair verliert die Wahl. Und Mankiewicz sein Geld. Die Stunde für seine Rache schlägt dann sechs Jahre später in Victorville.

In „Mank“ scheint es Fincher also um populistische Medienstrategien zu gehen, die auf systematischen Lügen basieren. Sie ermöglichen es dem Film, zwischen dem reaktionären Hollywood und dem Trump’schen Lügenregime eine Verbindung herzustellen. Überdeutlich wird dies in einem Dialog zwischen Mayer und Mankiewicz. „Wenn man den Menschen auf emotionale Weise vermittelt, was sie wissen müssen, dann kann man erwarten, dass sie das Richtige tun!“, erklärt Mayer. Der fiktive Mankiewicz kontert dies so: „Wenn man den Menschen
etwas Unwahres lange und laut immer wieder einredet, dann werden sie es glauben.“

Sicher geht es Fincher dabei um Politik, die Analogie bietet sich an. Aber noch mehr um seine Hauptfigur. Mankiewicz wird von Fincher zum Weißen Ritter stilisiert, dessen rigider Moralismus zwangsläufig zu einer Abrechnung mit dem System führen muss. Aber Fincher braucht diesen Weißen Ritter auch aus anderen Gründen. Und damit schleichen sich historische Ungenauigkeiten in den Film ein.
Tatsächlich gab es eine Reihe von Autoren, die sich der Anti-Sinclair-Kampagne öffentlich verweigerten, Mankiewicz war allerdings nicht darunter. Glaubt man dem Filmkritiker Matthew Deesem und der Mankiewicz-Biografin Sydney Ladensohn („The Brothers Mankiewicz“), war der Drehbuchautor auch kein Linker, sondern auf verdrehte Weise konservativ. Auch für die von Fincher unterstellte Sympathie mit Upton Sinclair gibt es keinen Beweis. Als Isolationist lehnte Mankiewicz sogar ein militärisches Engagement der USA während der Zweiten Weltkriegs ab und bezeichnete sich möglicherweise scherzhaft als ein Ultra-Lindbergh (der Atlantiküberflieger bekannte sich während des Zweiten Weltkriegs zu anti-semitischen und rechtsextremen Positionen).

Es stimmt also einiges nicht in „Mank“. Aber Fincher ist ein guter Erzähler und er erkannte, dass sein Weißer Ritter nicht also zu sehr strahlen darf, bevor es zum großen Finale kommt. So wird Manks Motivation für den Rachefeldzug erschüttert, als er erkennt, dass Marion offenbar Hearst lieben gelernt hat und sie ihm die fatale Verzerrung ihre Figur in „Citizen Kane“ bereits vergeben hat, bevor das Ausmaß des Schadens erkennbar wird. Der war für die reale Marion Davies nicht unerheblich, ihr Image litt gewaltig. 
Mank hielt aber an seiner Erfindung fest.
Interessant ist, dass Hearst zumindest in Finchers Film kein klischeehafter Schurke ist. Er respektierte Mankiewicz auf eine Weise, die den Autor widerwillig, aber sichtbar bewegt. Mankiewicz wird dies klar, als er erfährt, dass Hearst ihn weniger für seine Scripts mochte, sondern wegen seiner intellektuellen Schärfe, was historisch übrigens korrekt ist.

Aber die Sinclair-Affäre hat Mankiewicz in seinem Innersten getroffen, so erzählt es jedenfalls der Film. Dies ist der Auslöser für eine Schlüsselszene. Mank platzt betrunken in ein Festessen und erinnert Hearst in einer wirren Rede über Cervantes und Don Quijote an sein moralisches Versagen in der Sinclair-Affäre. Mank vertreibt alle Gäste, nachdem er sich vor dem Gastgeber buchstäblich ausgekotzt hat. Es ist Hearst, der dem Autor danach die Fabel vom „Affen des Leierkastenmanns“ erzählt: der Affe verfällt dem Wahn, dass er es ist, der entscheidet, wann der Leierkastenmann zu spielen beginnt.

Die Beziehung zwischen den beiden Kontrahenten gehört zu den spannenderen Teilen der Story, was in nicht geringem Maße auch Charles Dance zu verdanken ist, der den Tycoon keineswegs als eindimensionalen Schurken spielt. So ist „Mank“ trotz aller historischen Verzerrungen ein fulminantes Charakterdrama geworden, dass Glanz und Elend der „Goldenen Ära“ aufleben lässt und Mankiewicz die Rolle als streitbarer Don Quijote zuweist, der den Mächtigen folgenlos die Leviten liest.
Anders formuliert: Mankiewicz war politisch eine ambivalente Persönlichkeit. Zwar wird die Anti-Sinclair-Kampagne in „Mank“ weitgehend historisch korrekt erzählt, aber die Rolle, die Mankiewicz dabei spielte, entspricht nicht den historischen Fakten, sondern dramaturgischen Notwendigkeiten. Man kann auch sagen: Manks Heldenrolle ist erfunden. Als Weißer Ritter funktioniert die fiktive Hauptfigur des Films trotz ihrer menschlichen Schwächen aber blendend. Und einige Quelle weisen darauf hin, dass bereits Jack Fincher erkannte, dass dieser dramatische Input und die Stilisierung der Hauptfigur notwendig waren, um die Story zu ihrem Hauptthema zu führen.

Wer hat „Citizen Kane“ geschrieben und wer eigentlich „Mank“?

Sehen wir uns die nächste Babuschka-Puppe an. Sie gibt in „Mank“ eine Antwort auf die Frage, wer für den künstlerischen Impact von „Citizen Kane“ verantwortlich ist. Anders gefragt: Wer hat das Drehbuch geschrieben?
Typisch für die Rezeption des Films in den 1970er Jahren war Peter Buchkas kommentierte Orson Welles-Filmografie (1977) in der Hanser-Filmreihe. Herman J. Mankiewicz taucht gar nicht erst auf, er wird nur am Ende des Buches als Co-Autor des Regisseur erwähnt. Eigentlich erstaunlich, denn sechs Jahre zuvor hatte die bekannte US-Filmkritikerin Pauline Kael für „The New Yorker“ einen ellenlangen und teilweise sehr spannenden zweiteiligen Artikel über „Citizen Kane“, Orson Welles und Mankiewicz geschrieben. In „Raising Kane“ kam Kael zu dem Schluss, „that Welles didn’t write (or dictate) one line of the shooting script of Citizen Kane.“
Der Aufsatz schlug Wellen, hatte allerdings einen Haken: Kael hatte lediglich John Houseman und Mankiewiczs Sekretärin Rita Alexander interviewt, nicht aber Welles persönlich oder zumindest einige seiner Mitarbeiter. Pikant an der Sache war auch, dass auch Houseman sich eine kreative Rolle am Script zuschrieb. 
Welles selbst äußerte sich 1972 in einem Interview mit Peter Bogdanovic anders. Er habe mit Mankiewicz wesentliche Elemente der Storyline und der Figuren entwickelt. Und nachdem Mankiewicz den lästigen Houseman aus seinem Schlafzimmer in Victorville vertrieben hatte, schrieben Welles und sein Autor jeweils ihre eigene Drehbuchversion: „I used what I wanted of Mank’s and, rightly or wrongly, kept what I liked of my own.“

1978 erschien dann Robert L. Carringers Artikel „The Scripts of Citizen Kane”, in dem der Autor klarstellte, dass Welles‘ Beitrag nicht nur substantiell bedeutend war, sondern auch definitiv. Soll heißen, dass die kreativen Entscheidungen allein vom Regisseur getroffen wurden. Zudem gab es ein Telegramm von Houseman, in dem dieser Mankiewicz den Erhalt der „cut version“ bestätigte und dass er auch viele neue Szenen von Welles erhalten habe: „I like all Orson’s scenes…“ (vgl auch: James Naremore (2004): Orson Welles’s Citizen Kane: A Casebook. Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung, in der auch Bogdanovics Interview enthalten ist, allerdings nicht Pauline Kaels Arbeit).

Der von langer Hand vorbereitete große Krach zwischen Orson Welles und Herman J. Mankiewicz erreicht in Finchers Film seinen Höhepunkt, als der Autor einen Platz in den Credits einfordert. Für Fincher ist das entscheidend: “Credit is like the distilled version of importance.” Mankiewicz kann sich zwar durchsetzen, aber Welles zertrümmert aus Wut einige Möbel. Das wiederum ist ein hübscher Gag, weil sich Mank sofort Notizen macht, um den Wutausbruch in das Script einzubauen. Tatsächlich spielte Welles dann mit Verve einen Wutausbruch Kanes so nachdrücklich, dass er abschließend ekstatisch ausrief, in dieser Rolle zum ersten Mal etwas Authentisches gefühlt zu haben.

Muss man das als Zuschauer wissen? Das hängt davon ab, wen man fragt. Der Kritiker einer großen deutschen Wochenzeitung hat in seiner Rezension über die Titelfigur so geschrieben, als sei Finchers Film historisch authentisches Referenzmaterial. So einfach ist das aber nicht.

Ich selbst will über David Finchers Gründe etwas spekulieren. Fincher hat mit der Umsetzung eines alten Drehbuchs seines Vater (das er garantiert in den letzten Jahren generalüberholt hat) nicht nur dem Autoren Jack Fincher ein Denkmal gesetzt, sondern auch allen toten und lebenden Autoren der Filmgeschichte.
Diesen Teil von Finchers Eloge kann ich übrigens gut nachvollziehen, denn mich hat es schon immer geärgert, dass große Regisseure ihren Ruhm ungern teilen. Wer weiß schon, dass es ein gewisser Frank Nugent war, der für John Ford einige der wichtigsten Drehbücher geschrieben hat – von „Fort Apache“ bis „Donovan’s Reef“?

Offenbar gehörte Jack Fincher aber zur Kael-Fraktion, was Fincher auch einräumte. Am Clou des Plots hat er trotzdem nichts geändert. „Mank“ ist in Teilen also ein Fake. Gefühlt sind 50% des Films historisch korrekt, 50% dagegen erfunden. Höflicher formuliert: David Fincher hat die subjektive Sicht seines Vaters übernommen und für den Filmautoren Herman J. Mankiewicz ein Denkmal gebaut, das nur funktionieren kann, wenn ein anderes Denkmal dekonstruiert wird. Orson Welles wird allein schon durch seine fast vollständige Abwesenheit in Finchers Film vom Sockel gestoßen, damit Mankiewicz seinen Platz als Weißer Ritter einnehmen kann. Er nimmt ihn stellvertretend für alle Autoren ein, die ignoriert werden, während die Produzenten und Regisseure den Ruhm einstreichen, den sie ohne die Genies mit ihren Notizblöcken und Schreibmaschinen nie und nimmer erlangt hätten.
Dass Fincher damit auch eigene Erfahrungen mit der Filmindustrie abarbeitet, ist schwer zu übersehen. Denn auch Regisseure werden über den Tisch gezogen. Fincher hat es bis heute 20th Century Fox nicht verziehen, dass sein Film „Alien 3“ neu geschnitten wurde.

Trotz dieser offensichtlichen Uusammenhänge erklärte Fincher in einem Interview, dass er überhaupt nicht daran interessiert gewesen sei, wer eigentlich das Drehbuch für „Citizen Kane“ geschrieben hat. “What interested me was, here’s a character who, like a billiard ball or pinball, sort of bounced around in this town that he, by all accounts, seemed to loathe doing a job that he seemed to feel was beneath him. And then for one brief, shining moment, he stood his ground because—and I feel that this is entirely due to Welles—he was given an opportunity to do his best work.”

1942 spielt dann während der Oscar-Verleihung in „Mank“ Folgendes ab: „Gewinner des Besten Originaldrehbuchs … Herman J. Mankiewicz.“ (Applaus) „… und Orson Welles.“ Der Nachsatz wird vom Applaus verschluckt. Gary Oldman darf als Herman J. Mankiewicz dann am Ende vor die Kameras der Presse treten und die Frage nach der Autorenschaft beantworten: Natürlich habe Welles keine Zeile geschrieben.
„If you ask me, what my acceptance speech might have been. Well here it goes: 'I am very happy, to accept this award in the manner how the script has been written. Which is to say: in the absence of Orson Welles.'“
Warum Welles trotzdem als Autor genannt wird? „Das, mein lieber Freund“, antwortet Mankiewicz, „ist die Magie des Kinos.“

Der Zuschauer nimmt dabei eine undankbare Rolle ein. Er erfährt, dass Herman J. Mankiewicz das Drehbuch für „Citizen Kane“ allein geschrieben hat, was mit mehr als hoher Wahrscheinlichkeit nicht wahr ist. Meine Position dazu ist klar: dramaturgische Ausschmückungen und Auslassungen sind in einem Biopic oder einem Period Drama schwer zu vermeiden. Sie sollten aber die Geschichte nicht umschreiben, auch wenn die Absicht nobel ist. Nicht nur, weil der Zuschauer seine vermeintlichen Erkenntnisse für bare Münze hält, sondern weil dies die Glaubwürdigkeit des Kinos beschädigt. In „Mank“ wird Orson Welles‘ künstlerische Leistung marginalisiert, was auf traurige Weise die von Häme und Missgunst motivierten Attacken fortsetzt, denen Orson Welles in den 1940er Jahren ausgesetzt war.

Aber Fincher hat eine Hintertür offengelassen. Setzen wir also die Babuschka-Puppen endgültig zusammen und kehren zu ersten Szene zurück. Sie ist – wie gesagt – eine Hommage, mit der Fincher dann doch Orson Welles und sein visuelles Genie gebührend würdigt.

 

Noten: BigDoc = 2 


Mank – Netflix 2020 – Regie: David Fincher – Buch: Jack Fincher – Kamera: Erik Messerschmidt – Länge: 131 Minuten – D.: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Charles Dance, Lily Collins, Arliss Howard, Tom Pelphery, Tom Burke, Sam Troughton, Ferdiand Kingsley, Monika Gossmann, Bill Nye.