Donnerstag, 24. Dezember 2020

The Midnight Sky - ein düsteres Weihnachtsgeschenk von NETFLIX

Es gibt einige Filme, die man sich zu Weihnachten eigentlich nicht anschauen will. Alle Menschen sind tot. Die wenigen Überlebenden werden es bald sein. Und ein alter sterbender Mann unternimmt alles, um ein letztes Gespräch mit seiner Tochter zu führen, die mit einem Raumschiff von einer Jupiter-Mission zurückkehrt.
Selten war eine Dystopie unspektakulärer. Dafür ist sie ehrlich. „The Midnight Sky“ ist sicher nicht George Clooneys eindrucksvollster Film, aber sein konsequenter Minimalismus und der völlig Verzicht auf ein tröstendes Ende lassen eine existenzielle Skepsis spüren, die am Ende ohne eine sedierende Botschaft auskommt. Ein überraschend düsteres Weihnachtsgeschenk von Netflix.


Eine letzte Mission

George Clooney werden die meisten nur als Schauspieler kennen. Als Regisseur hat er sich mit Filmen wie „Confessions of a Dangerous Mind“, „Good Luck and Good Luck“, „The Ides of March“ und zuletzt „Suburbicon“ sehr viel Respekt verschafft, auch weil er konsequent am Mainstream vorbeisteuerte und mit beinahe stoischer Konsequenz auf intellektuell strapazierende und politisch relevante Themen setzte. Mit der Verfilmung von Lily Brooks-Daltons Roman „Good Morning, Midnight“ liefert Clooney nun einen Science-Fiction-Film ab, der eigentlich eine Dystopie ist. Und die wiederum ist eigentlich das Drama eines Mannes, der zeitlebens mit einem Minimum an Gefühlen ganz gut über die Runden kam. Nur nicht ganz am Ende.

Hektisch geht es nur am Anfang zu. Eine globale Katastrophe schüttelt die Erde durch, weltweit sterben alle Menschen. Jene, die in der astronomischen Forschungsstation Barbeau Observatory im Nordosten Kanadas gelebt und gearbeitet haben, brechen mit Helikoptern auf, um zu ihren Familie zurückzukehren. Oder sie fliehen mit ihren Familien, um wenigstens gemeinsam in ihrer Heimat zu sterben. Zurück bleibt nur der fast 70-jährige Wissenschaftler Augustine Lofthouse (George Clooney), der all dies nicht hat, weder Heimat noch Familie. Lofthouse hat stattdessen Krebs, aber im Jahre 2049 halten ihn moderne medizinische Behandlungstechniken am Leben. Ohne sie würde er innerhalb weniger Tage sterben.

Martin Ruhes Kamera (der Deutsche arbeitete mit Clooney in „The American“ zusammen und wurde durch sein Shooting für „Harry Brown“ bekannt) zeigt am Anfang einige Stillleben: leere Räume mit großen Panorama-Fenstern, durch die man in die endlosen polaren Eislandschaften blicken kann. Und einen alten Mann, der vor Monitoren sitzt, gelegentlich Schach spielt und seine chemotherapeutische Behandlung selbst erledigt. „The Midnight Sky“ unternimmt in diesen Szenen alles, um jeden Anflug von Handlung zu vermeiden. Dies etabliert eine hoffnungslose Grundstimmung, die bis zum Ende des Films nachwirkt.

Die Eremitage des alten Mannes findet ein Ende, als die Küche brennt. Zuvor gab es schon Hinweise darauf, dass sich ein weitere Person in der leeren Station aufhält. Nun entdeckt
sie Lofthouse : unter einem Tisch hockt zusammengekauert ein kleines Mädchen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Das passt Lofthouse nicht in den Kram. Aber Iris (Caoilinn Springall) sucht die Nähe des alten Mannes, spricht aber so gut wie nie, und die Chemie des Schweigens passt dann doch ganz gut zu den beiden.

Eine letzte Mission hat der alte Mann. Er will unbedingt Kontakt zu dem Raumschiff „Aether“ aufnehmen. Das befindet sich auf dem Rückflug vom neu entdeckten Jupitermond K-23. Rückblenden zeigen, dass Lofthouse ein berühmter Astronom mit dem Schwerpunkt Exoplaneten gewesen ist. Sie zeigen auch, dass er fast autistisch sein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet hat und auch dann gesprächsunfähig blieb, als ihn seine Freundin verließ.

K-23 sieht man dagegennur im Traum der Astronautin Sully (Felicity Jones, u.a. „Rogue On“, in „On the Basis of Sex“ als Ruth Bader Ginsburg) – der Jupitermond ist offenbar ein idealer Kandidat für eine Besiedlung durch Menschen. Er hat eine sauerstoffreiche Atmosphäre und eine reichhaltige Vegetation. Riesengroß steht der Jupiter über dem Horizont, der Himmel reflektiert die Farben des Giganten und ist rot. Sully träumt, dass die „Aether“ ohne sie losfliegt und sie verzweifelt durch große Felder mit unbekannten Pflanzen rennt, ohne das Drama verhindern zu können.
Alles nur ein Traum. Tatsächlich ist die „Aether“ mit Sully aufgebrochen, um zur Erde zurückzukehren. Nun ist das Team um Commander Adewole (David Oyelowo, in „Selma“ als Martin Luther King) in einem Funkloch gelandet, denn jeder Kontakt zur Erde ist abgebrochen. Ein Meteorregen hat das Schiff getroffen und Radar und Sendemasten getroffen, das reicht zunächst für eine Erklärung der versagenden Kommunikation.

Durch das All und durch das polare Eis

„The Midnight Sky“ ist mit „Gravity“ und „The Revenant“ vergleichen worden. Und tatsächlich hat Clooneys Film mit dem SciFi-Drama von Alfonso Cuarón einiges gemeinsam. Etwa die spektakulären Verwüstungen, die in „Gravity“ durch Weltraumschrott ausgelöst werden, während in „The Midnight Sky“ ein Hagel aus kleinen und großen Meteoren drei Astronauten zwingt, sich in ihre Raumanzüge zu zwängen, um die Schäden zu reparieren. George Clooney, der in „Gravity“ (2013) den Supporting Actor neben Sanda Bullock gab, hat nach eigenen Aussagen eine Menge von Cuarón gelernt. Der tödlich endende Außeneinsatz generiert genug Production Values, um zu zeigen, wo der Hauptteil des 100 Millionen US-Dollar teuren Produktionsetats zum Einsatz gekommen ist. Er ist auch die einzige Szene, die nicht überrascht und daher nicht restlos überzeugt in einem Film, der sich einem stereotypen Plot verweigert.

Die Parallelen zu „The Revenant“ lassen sich erkennen, wenn Clooney das Thema des Überlebenskampfes in einer feindlichen Natur aufgreift, sowohl im ganz und gar nicht leeren Weltall als auch in den feindlichen Eiswüsten des Nordpols. Denn in „The Midnight Sky sieht sich Lofthouse gezwungen, die sichere Station mit der kleinen Iris zu verlassen, um mit einem Schneemobil die nördlich gelegene Wetterstation Lake Hazen zu erreichen. Dort gibt es stärkere Sendeanlagen.
Doch der Höllentrip durchs ewige Eis fordert seinen Tribut. Lofthouse verliert nach einem Einbruch der Eisdecke sein Schneemobil, aber auch seine medizinische Ausrichtung. Dies ist sein sicherer Tod. Trotzdem marschiert er mit Iris zu Fuß, um sein Ziel zu erreichen. Eigentlich ein unmögliches Unterfangen.

Clooneys Film hat ein Gespür für das Allegorische. Während die Crew der „Aether“ einen paradiesischen Mond verlässt, müssen sich Lofthouse und Iris durch eine tödliche Landschaft begeben, die eher zu einem unwirtlichen Exoplaneten passen würde und weniger zur Erde. Aber das ist ein Irrtum. Martin Ruhe zeigt dies in eindrucksvollen Bildern von gewaltigen Eisstürmen, die alles in ein so undurchdringliches Weiß hüllen, das jegliche Orientierung verhindert. Dass wir ein falsches Bild von unserem durchaus tödlichen Heimatplaneten haben, demonstrierte die erste Staffel AMC-Serie „The Terror“ auf ähnlich konsequente Weise.

Clooney spielt den sterbenskranken Wissenschaftler mit riesigem Rauschebart und äußerster Zurückhaltung und drängt sich dabei nicht in eine Heldenfigur. Auch die junge Caoilinn Springall muss muss mit minimalen Mitteln zurechtkommen. Sie füllt ihre Rolle fast ausschließlich durch ihre Mimik aus, was ihr bemerkenswert gut gelingt.

Auch die Astronauten an Bord der „Aether“ sind keine Helden, die Ingenieurin Maya (Tiffany Boone) muss sich sogar vor ihrem Spaziergang im Weltall mehrfach übergeben, bevor sie sich in die Leere wagt. Ansonste sind alle Profis, die unaufgeregt tun, was getan werden muss. Der Regisseur George Clooney hält diese Tonalität aufrecht und verzichtet dabei weitgehend auf konstruierte psychologische Dramen innerhalb der Crew.
Dies gilt für die Figur der Sully, die vom Kommandanten der „Aether“ ein Kind erwartet, ebenso wie für die Crewmitglieder Sanchez (Demián Bichir, u.a. „The Bridge“) und Mitchell (Kyle Chandler, u.a. „Manchester by the Sea“), die knapp konturiert werden und sich am Ende dafür entscheiden, mit einer Raumfähre auf die Erde zurückzukehren. Mitchell, weil er es seiner Frau versprochen hat, und Sanchez, weil er das beim Außeneinsatz getötete Crewmitglied in der Heimat beerdigen will und seinen Freund nicht einsam sterben lassen will. Beide werden vermutlich nicht einmal den Eintritt in die verstrahlte Erdatmosphäre überleben. Die moralisch motivierten Entscheidungen versteckt Clooney hinter dem stoischen Pragmatismus der Weltallprofis. Ein Understatement mit Methode.

Eine Elegie ohne viele Worte

Aber was hat uns „The Midnight Sky“ eigentlich zu sagen, abgesehen von der völlig illusionsbefreiten Darstellung einer Postapokalypse und der unübersehbaren Fragilität der menschlichen Spezies in einer bedrohlichen Natur? Es ist weniger das Drama, denn Clooney verweigert sich weitgehend, aber nicht vollständig, einem konventionellen Plot, bei dem man stets weiß, was als Nächstes passieren wird. Dass sein Film eine konsequent naturalistische Agenda hat, ist stilistisch erwähnenswert, aber auch nicht der Clou des Ganzen. 
Das ist auch nicht das ökologische Drama, denn die Ursachen des globalen Massensterbens bleiben bis zum Schluss unklar. Dies zeigt auch der Verzicht auf ökologische Botschaften: „Wir haben sie in den letzten Wochen nicht gut behandelt“, erklärt Lofthouse Sully, was mit der Erde geschah.

Die vermeintliche Geheimnistuerei und wohl auch Clooneys minimalistische Erzählbereitschaft brachte den einen oder anderen Kritiker auf die Palme. Den Figuren fehle die psychologische Tiefe, wurde gemault, außerdem deute der Film gewaltige Themen an, ohne sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Zudem sei der Film wissenschaftlich betrachtet ein Katastrophe. Bei Rotten Tomatoes gab es daher lediglich ein sehr bescheidenes Rating von 5.9/100.

Die Einwände haben ihre Berechtigung. Der neue Jupitermond ist ein unglaubwürdige Erfindung, bereits die Voyager 2 hätte ihn 1979 bei ihrem Vorbeiflug am Jupiter entdeckt. Doch auch „Gravity“ hatte einige Macken, aber weder in Cuaróns noch in Clooneys Film beschädigen sie die Essenz der Geschichte.

Bevor Lofthouse doch noch eine Verbindung zur „Aether“ herstellen kann, machte eine bruchstückhafte Rückblende deutlich, dass Sully seine Tochter ist. Seine letzte Mission war es also, ihr Leben zu retten. Sie solle dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen ist. 
Das ist sozusagen „Apollo 13“ – nur auf den Kopf gestellt.
Diesen Plot Twist konnte man zwar erahnen, aber es ist Clooneys Abwendung von psychologischen Deutungen und Projektionen, die seinen Film so ehrlich machen. Es ist auch trotz einige Weltraumspektakel die von einem gleichmäßigen Pacing vermittelte Ruhe des Films.
Aber die minimalistischen Auskünfte und Erklärungen der Hauptfigur zeigen, dass das eigentliche Thema des Films die Sprachlosigkeit im Angesicht des unausweichlichen Endes ist. Lofthouse hat am Ende genauso wenig zu sagen wie seine fast stumme Begleiterin. Er hat aber getan, was er tun musste, ohne die Fehler, die er in jungen Jahren begangen hat, reparieren zu können.
In „The Midnight Sky“ tröstet den Zuschauer also keine dramatische Rettung in letzter Minute. Der Film ist eine Elegie des Schweigens. Wer in unseren kritischen Zeiten genau hinhört, kann ebenfalls entdecken, dass uns immer häufiger die Worte fehlen. George Clooney hatte seinen ruhigen melancholischen Film bereits vor Beginn der Pandemie abgedreht. Aber wer will, kann im Nachgang durchaus entdecken, was das Verschwinden des Vertrauten und die Fragilität des Menschen in „The Midnight Sky“ uns zu sagen haben.


Noten: BigDoc = 1,5


The Midnight Sky – Netflix 2020 (ab 23. Dezember) – Regie: George Clooney – Buch: Mark L. Smith – nach dem Roman „Good Morning, Midnight“ von Lily Brooks-Dalton – Kamera: Martin Ruhe – D.: George Clooney, Caoilinn Springall, Felicity Jones, David Oyelowo, Tiffany Boone, Demián Bichir, Kyle Chandler u.a.