Freitag, 27. November 2020

Luther – Season 5 - die neue Staffel ist ein Blutbad


ZDFneo erledigte seinen Job mit äußerster Konsequenz: die fünfte und vorerst letzte Staffel der beliebten Cop-Serie wurde mitten in der Nacht versendet und gleichzeitig in der Mediathek geparkt. Eine Serie, die zuvor in Deutschland mehr als nur eine kleine Fangemeinde erreichte.
Bei der Erstausstrahlung auf BBC One pulverisierte „Luther“ vor zwei Jahren alle vorherigen Quoten und erreichte knapp 10 Mio. Zuschauer. In Deutschland musste man zwei Jahre warten und sicher hätte man zumindest auch dank der Fans von Idris Elba überdurchschnittliche Quoten erreichen können. Herausfinden wird man das nun nicht mehr.


Überdreht und blutig

Vermutlich war den Programmplanern die fünfte Staffel einfach zu blutig. Folgerichtig handelte man trotzdem nicht: Die Altersfreigabe der Serie begrenzte der Sender auf 16 Jahre. Ein Witz angesichts der zahllosen Folterszenen. Auch die Abscheulichkeiten eines irren Serienkillers dürften für ein erwachsenes Publikum die Grenze der Zumutbarkeit rasch erreichen. In der letzten Episode stapft DCI Luther (Idris Elba) dann durch ein Meer verstümmelter und entstellter Leichen. Grand Guignol à la BBC. Wenn es also einen Content gibt, der ab 18 Jahren freigegeben sollte, dann ist es diese Staffel. So gibt es „Luther“ in der Mediathek tagsüber für registrierte Zuschauer mit Ausweisnummer zu sehen. Abends ab 20.00 Uhr können dann die Kids uneingeschränkt zuschlagen.

Vier Jahre hatte man auf die Fortsetzung der Geschichte gewartet, neun Jahre auf die Rückkehr der von Ruth Wilson brillant gespielten Psychopathin Alice Morgan. Auf die muss man aber zunächst etwas länger warten. Dies liegt am verschachtelten Plot, den Showrunner und Autor Neil Cross sich ausgedacht hatte. Gleich zu Beginn wird Luther entführt und vom Superschurken George Cornelius (Patrick Malahide) entführt und grausam gefoltert. Der befindet sich auf der Suche nach seinem entführten Sohn und ist fest davon überzeugt, dass Luther etwas mit der Sache zu tun hat. Aber dann stellt sich heraus, dass Alice den Sohn des Bandenbosses in Gewahrsam genommen hat, nachdem Cornelius die extrem gefährliche Frau bei einem Diamantendeal ausgetrickst hatte. Nun steckt Luther dank seiner Ex-Geliebten mittendrin im Schlamassel.
Gleichzeitig ist ein weiterer Fall zu lösen. In London geht ein Serienkiller um, dessen Vorliebe darin besteht, seine Opfer zu stechen. Später schält er ihnen auch die Augen aus den Höhlen und die Anzahl der Opfer nimmt rasend zu. Die Identität der Täters wird schnell gelüftet. Es handelt sich um den bekannten Herzchirurgen Jeremy Lake (Enzo Cilenti), der emsig damit beschäftigt ist, seine zahlreichen Kindheitstraumata zu kompensieren. Seine Frau, die im pathologischen Sinne extrem sadistische Psychotherapeutin Vivien (Hermione Norris), scheint noch eine Spur irrer zu sein, denn die Therapieversuche mit dem eigenen Gatten bestehen darin, ihn zur Mäßigung zu motivieren. Er soll nur dann zu töten, wenn es absolut risikofrei ist.

 

Verschmähte Liebe

„Luther“ war nie eine Serie für Zartbesaitete. Die Obsessionen und die Fetischfixierung der Killer, die von Luther verfolgt wurden, lag deutlich über dem Level des Nordic Noir und erst recht über dem des biederen Tatort, der auf dem Sendeplatz um 20.00 Uhr deutlich weniger Freiheit besitzt. In der fünften Staffel der BBC-Serie scheint sich Showrunner Neil Cross nach langer Pause aber eine Art von Triebabfuhr verschaffen zu wollen. Das Narrativ entlädt mit ungeheurer Wucht eine Welle der Gewalt, die aber die Spannung der Geschichte nicht steigert. Dafür sind die Figuren zu holzschnittartig gezeichnet. So kann das kaputte Serienkiller-Pärchen bestenfalls als Persiflage durchgehen: zynisch-arrogante Exemplare der britischen Upper Class, die sich für intelligent genug halten, um den Cops eine lange Nase drehen zu können.
Überhaupt scheinen der Londoner Polizei die Mittel auszugehen. Der von Patrick Malahide etwas interessanter gespielte Bandenboss Cornelius scheint seine Schreckensherrschaft des organisierten Verbrechens weitgehend unbelästigt ausüben zu können. Als die Sache aus dem Ruder läuft, bittet Luthers Vorgesetzter Martin Schenk (Dermot Crowley) Cornelius in einem höflichen Vieraugen-Gespräch, es nicht zu weit zu treiben. Zu einer konzertierten Polizeiaktion kann er sich erst aufraffen, als alles zu spät ist. 
Natürlich ist das dem Script geschuldet, denn die Titelfigur der Serie soll schließlich wieder einmal mitten in einer Vendetta am Rande der Legalität landen. So wird Luther wie Gary Cooper in Fred Zinnemanns „High Noon“ zum Lone Ranger, der nur von seiner Kollegin DC Catherine Halliday (Wunmi Mosaku) ein wenig unterstützt wird.

Der eigentliche Kick der Serie wird durch die Rückkehr von Alice Morgan (Ruth Wilson) ausgelöst, die nach Staffel 2 nun wieder zum Main Cast der Staffel gehört. Die Elternmörderin, die sich während des Rachefeldzugs gegen Cornelius eine Ladung Schrot einfing, taucht bei Luther auf und sucht nach einem sicheren Unterschlupf. Und wieder ist Luther hin- und hergerissen und kann seine Gefühle nicht sortieren. In bemühten Rückblenden wird deutlich, dass sich Luther nicht für ein Leben mit Alice entscheiden konnte, weil er sich für einen unersetzbaren Verbrechensbekämpfer hält. Und so schwankt Luther zwischen gelegentlich zynischer Distanz und emotionaler Loyalität hin und her.

Auch hier hat sich Neil Cross bemüht, dem Affen ordentlich Zucker zu geben, etwa wenn Alice von Cornelius‘ Laufburschen entführt wird und die Gangster im Auto eigenhändig und ohne Hilfsmittel ausschaltet. Cross bietet den Fans der fiktiven Killerin also alles, was sie sich wünschen, auch dann, wenn Alice mit einem raffiniert ausgeklügelten Rachemord den Sohn des Bandenboss während einer Willkommensparty ermordet, indem sie ihm eine Hutnadel durchs Ohr ins Gehirn treibt. Cross nimmt sich die Zeit, um zu zeigen, wie viel Kraft dazu erforderlich ist und wie lange es dauert, bis das Opfer endlich tot ist.
Andere Szenen leiden an maßloser Übertreibung, zum Beispiel, wenn es Alice nicht gelingt, mit einer riesigen Maschinenpistole Cornelius aus nächster Nähe zu verfehlen.
 Doch Cross will mehr als ein paar Gore- und Fishing for compliments-Effekte und so schreibt er Luthers zweifellos ambivalente Beziehung zu Alice in ein romantisches Psychodrama um, um zu zeigen, dass die Psychopathin aus tiefstem Herzen eine liebende Frau ist, die leider das Pech hat, dass es die Titelfigur ist, die völlig empathiefrei ist und damit unfähig zur Liebe. Und so richtet sich der Zorn von Alice Morgan auf Luther, was nicht nur zu einem absurden und überflüssigen Mord führt, sondern auch zu einem enttäuschenden und selbstzerstörerischen Cliffhanger.
Wäre dies das Ende der Geschichte, müsste man von einem Desaster sprechen. Aber Idris Elba scheint die von ihm gespielte Figur zu lieben und spricht von einem Kinofilm. Und in dem könnte die Geschichte ein plausibles Ende finden. Mit Alice.


Luther – GB 2019 – BBC – 4 Episoden – Showrunner, Autor: Neil Cross – D.: Idris Elba, Ruth Wilson, Steven Mackintosh, Dermot Crowley, Patrick Malahide, Wunmi Mosaku, Enzo Cilenti, Hermione Norris u.a.
 

ZDFneo hat die vier Episoden zu zwei Folgen mit einer Gesamtlänge von ca. 200 Minuten umgeschnitten. Luther in der Mediathek.