Dienstag, 4. Juni 2024

Dune – Part Two - ein kompliziertes Vergnügen

Fast drei Jahre hat es gedauert, bis Denis Villeneuve den zweiten Teil des ersten Teils auf die Leinwand gebracht hat. Gut, dies ist eine gestelzte Beschreibung, aber sie soll jene Zuschauer, die nicht zu den enthusiastischen Herbertians gehören, daran erinnern, dass wir bislang ‚nur‘ die Verfilmung des ersten Buchs der Trilogie sehen konnten.

Das wird nicht reichen. Es wäre tragisch, wenn erneut ein Filmemacher über den Prolog nicht hinauskommt. Denn die Essenz der Geschichte, die Frank Herbert eigentlich erzählen wollte, findet man in „Dune Messiah“ (Der Herr des Wüstenplaneten) und „Children of Dune“ (Die Kinder des Wüstenplaneten), dem zweiten und dritten Teil der Trilogie. Dort wird die Geschichte des gescheiterten Imperators, Madhi und Messias Paul Atreides erzählt, der auf dem Höhepunkt seiner Macht depressiv darüber nachdenkt, ob er ein neuer Adolf Hitler geworden ist.

Dies war nur der erste Schritt

Könnte Villeneuve angesichts dieser düsteren Aussichten die Geschichte nicht zu Ende erzählen, würde das Dune-Projekt als ein wahnsinnig gut gefilmtes Heldenepos in die Geschichtsbücher des Kinos eingehen. Es geht aber nicht um Helden, sondern um deren Scheitern. Dies wird in „Dune – Part 2“ nur dezent angedeutet. Zu dezent aus meiner Sicht.

Die Romane und Erzählungen des 1986 verstorbene Dune-Schöpfers Frank Herbert sind Teil eines gewaltigen Roman-Imperiums, das Frank Herbert Sohn Brian Herbert und der Science-Fiction Schriftsteller Kevin J. Anderson geschaffen haben. Mit Sequels und Prequels oder eingeschobenen Romanen ist ein Erzählkosmos entstanden, der auch im Serienformat kaum zu bewältigen ist. Denis Villeneuves Wunsch, wenigstens die Trilogie verfilmen zu können, deutet an, dass bereits dies eine gewaltige Herausforderung ist.

Allerdings eine, deren Realisierung man sich nur wünschen kann. Absehen von zwei Miniserien sind die meisten Versuche einer Verfilmung aller Romane der Trilogie gescheitert oder konnten wie im Falle von David Lynch den Regisseur nicht zufriedenstellen. Lynch scheiterte am Budget und an der mangelhaften Technik. Villeneuve hat diese Probleme nicht.
Die Effekte, über die er im zweiten Teil verfügen konnte, verdanken sich dem Einspielergebnis des ersten Teils. An ihrer technischen Machbarkeit besteht kein Zweifel. Und da „Dune – Part Two“ mittlerweile mehr als 700 Mio. US-Dollar eingespielt hat, besteht auch in Hinblick auf das Budget kein Zweifel, dass dem ersten Schritt weitere folgen werden.

Nicht nur visuell ein grandioses Worldbuilding

„Dune – Part Two“ ist in Sachen Worldbuilding und dessen Visualisierung erneut eine beeindruckende Erfahrung. Und so sieht man in „Dune – Part Two“ nicht nur Paul Atreides‘ ersten Ritt auf einem gigantischen Sandwurm, sondern im Schlachtengetümmel zwischen den Fremen und den Kaiserlichen Sardaukar mitsamt der Harkonnen-Krieger auch unzählige Sandwürmer, die von Fremen geleitet durch die Sanddünen gleiten und die Feinde in Angst und Panik fliehen lassen.
Auch in weniger spektakulären Szenen wird die Ästhetik von Arrakis, dem Wüstenplaneten von Greig Fraser mit eleganten Bildern eingefangen. Etwa wenn Paul und Chani in den Dünen einen der arrhythmischen Tänze aufführen, mit denen man sich die Sandwürmer vom Leibe hält. Bilder voller Poesie. Wenn aber die Harkonnens ihre Armee aufmarschieren lassen, geschieht dies mit einer Leni Riefenstahl-Ästhetik, die dem Sujet gerecht wird. Allerdings kann man gerade solche Bilder auch affirmativ konsumieren. Und das ist ein grundsätzliches Problem, wie wir sehen werden.

Visuell zieht der Film den Zuschauer in das immersive Worldbuilding Villeneuves immer stärker hinein. Die endlose Wüste von Arrakis und ihre Bewohner wurden von Greig Fraser so grandios gefilmt, dass man wider alle Vernunft beinahe glaubte, echte Sandwürmer gesehen zu haben. Visuell spektakulär waren auch die Kämpfe der Fremen mit den Soldaten der Harkonnen. Die Überlegenheit der Verteidiger gegen die Invasoren gelingt, weil die Fremen die Möglichkeiten, die ihnen die Wüste bietet, mit tödlicher Perfektion wahrnehmen. Oft findet das Töten blitzschnell und geräuschlos statt, wenn nicht gerade Hans Zimmers Score sperriger Score das Geschehen kommentiert.

Dass der Cast nicht schlechter sein würde als im ersten Teil, war zu erwarten. Trotzdem überraschte die tiefschwarze Performance von Austin Butler („Elvis“), der als Feyd-Rautha den jüngsten Neffen des Baron Harkonnen so überzeugend als furchterregenden Psychopathen spielte, dass Stellan Skarsgard und Dave Bautista in ihren Schurkenrollen beinahe harmlos wirkten.
Eher zerbrechlich wirkte der 81-jährige Christopher Walken in der Rolle des Imperators Shaddam IV. Immerhin hat Walken eine Szene, in der er zynisch erklärt, dass er Leto I. Atreides zusammen mit den Harkonnen deshalb vernichtete, weil der Herzog mit dem Herzen regiert habe. Kälter kann eine Definition von Empathie nicht ausfallen.

Religion und Macht

Ethisch ist die Entwicklung der galaktischen Zivilisation in Frank Herberts Trilogie nämlich eine einzige Katastrophe. Im Zentrum der menschlichen Zivilisation steht ein zynischer Imperator, der in einem feudalistischen System mit raffinierten Intrigen seine Macht gegenüber den „großen Häusern“ verteidigt. Der technische Fortschritt wurde durch „Butlers Jihad“ und die Vernichtung aller Computer und aller KI-Systeme limitiert. Politische Emanzipation und ein Hauch von Gewaltenteilung existieren nicht einmal mehr als Wörter oder Ideen. Und im Rankespiel der Macht haben blutrünstige Psychopathen die besten Chancen auf Erfolg. Mittendrin versucht ein matriarchalischer Frauenorden, die Bene Gesserit, seit tausenden von Jahren den Kwisatz Haderach zu züchten. Einen Übermenschen mit hellseherischen Fähigkeiten. Natürlich soll der alles anders und besser machen. Um seine Vorherrschaft zu sichern, infiltrieren die Bene Gesserit andere Kulturen mit fiktiven Religionen, um sie auf den Messias einzustimmen. Dazu gehören auch die Fremen, besonders die Fundamentalisten unter ihnen..

Der mythische Erlöser könnte nach dem vernichtenden Angriff der Harkonnen auf das Haus Atreides der überlebende Sohn des ermordeten Herzog Leto I. Atreides sein. Der junge Paul (Timothée Chalamet) dürfte aber eigentlich gar nicht existieren, denn die Bene Gesserit hatten ein anderes Züchtungsprogramm mit Pauls Mutter im Sinn. Nun ist Paul nach dem Massaker zusammen mit seiner Mutter Lady Jessica (Rebecca Ferguson) in die Wüste geflohen, wo es ihnen trotz einiger Widerstände gelingt, sich dem Wüstenvolk der Fremen um Stilgar (Javier Bardem) anzuschließen. Dort verliebt sich Paul in das Fremenmädchen Chani (Zendaya), in deren Visionen Paul auf jegliche Form von Macht verzichten sollte. Paul ist jedoch zerrissen. Denn einerseits will er sich an den Harkonnen rächen, andererseits hat er quälende Visionen eines Heiligen Kriegs, der in seinem Namen geführt werden wird und der Milliarden Tote fordern wird. Das erschreckt ihn.

Das Dilemma des Films: „Dune – Part 2“ ist zu dialogarm, um das Verhältnis von Religion und Macht verständlich zu analysieren. Und auch, um zu zeigen, in welche Katastrophe der vermeintliche Held sehenden Auges hineinläuft. Villeneuve hat es angekündigt: „Offen gesagt hasse ich Dialoge“, bekannte er in einem Interview.

Tobias Rapp (SPIEGEL) hat zwar Recht, wenn er die Dialektik der Macht als das Schlüsselthema des Films beschreibt. Aber um in den wenigen reflektierenden Dialogszenen, die Paul mit Chani, seiner Mutter oder mit Stilgar führt, den Zuschauer klarer mit diesem Thema zu konfrontieren, hätte schlicht und ergreifend mehr diskutiert werden müssen. So rauschen die wenigen Andeutungen inmitten grandios gefilmter Bilder am Zuschauer vorbei. Und die für Frank Herbert essentielle Verbindung von Religion und Macht konnten somit nur die verstehen, die die gesamte Trilogie gelesen hatten.

Das alles ist keine neue Debatte. Sie tauchte bereits bei der Rezeption der Romane auf. Ein Problem, das Timothy O’Reilly in seinem Buch „Frank Herbert“ in Hinblick auf den Leser als Herausforderung so beschrieb: Wenn Paul Atreides zeigen soll, wie gefährlich der Glaube an einen Messias und an Superhelden sei, warum beschrieb Herbert ihn so überzeugend in seiner Rolle als Messias? O’Reillys Erklärung: Zum einen, weil Pauls Rolle erst in den beiden Folgeromanen dekonstruiert wird, zum anderen, weil der „Muad’Dib“ zunächst den Leser restlos überzeugen sollte, bevor dieser mit Pauls dunkler Seite konfrontiert wird.
Dies sei auch der Grund dafür, so O’Reilly, dass Herbert seine Figur bereits früh etwas an sich zweifeln lässt. Aus der Sicht des Autors wird sie dadurch charismatischer und paradoxerweise als vorausschauend wahrgenommen – bis der Leser damit konfrontiert wird, dass der vermeintliche Held doch eher ein unschlüssiger Grübler ist, der nicht wirklich weiß, was er tun soll. Anders formuliert: je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall.

Vergesst es: Paul Atreidis ist kein Held

I had this theory that superheroes were disastrous for humans, that even if you postulated an infallible hero, the things this hero set in motion fell eventually into the hands of fallible mortals" (Frank Herbert).

Dies gehört gehört zu den Kernaussagen in Herberts Erzählkosmos: Paul ist kein Held. Selbst unfehlbares Wissen bewahrt einen Messias nicht davor, im schlimmsten Fall ganze Zivilisationen zu zerstören Der einzige männliche Überlebende, der bei den Fremen „Lisan al-Gaib“ (Mahdi) heißt, sich selbst „Muad’Dib“ nennt und nach einigen Monaten von den Fremen als Mahdi gefeiert wird, weiß sogar, dass er einen beispiellosen Genozid auslösen wird, der in seinem Namen geführt wird. Dies schärft aber nicht sein Urteilsvermögen. Denn noch schwebt diese Vision als Konjunktiv über Paul, denn Frank Herberts Kosmos ist nicht deterministisch. Aber in den meisten Visionen einer möglichen Zukunft erkennt Paul, dass er zum größten Schlächter aller Zeiten werden wird, wenn die Fremen in seinem Namen in den Krieg ziehen. Er wird, besser gesagt: kann es trotzdem nicht verhindern. Und nimmt die Schuld an: Hitler "killed more than six million. Pretty good for those days. (…) I've killed sixty-one billion, sterilized ninety planets, completely demoralized five hundred others. I've wiped out the followers of forty religions..."

Timothée Chalamet spielt dies bislang hervorragend. Er legt seine Figur dissoziativ an, als mitreißenden Führer, dann wieder als Figur, die mehr Hamlet ähnelt, Shakespeares melancholischen Zweifler. Vor diesem tragischen Hintergrund ist - ironisch betrachtet - Stilgar die heimliche Hauptfigur in „Dune – Part Two“. Er ist der Prototyp eines religiösen Fundamentalisten, den keine Zweifel plagen und der genau weiß, was zu tun ist, als ihm Paul als Mahdi den Befehl gibt: „Führe sie ins Paradies!“

Diese Verwendung religiöser Themen ist keine Schwachstelle des Films, aber ein Problem. Bücher und Filme bieten einen Kontext an, der unterschiedliche Deutungen zulässt, wenn formale und inhaltliche Attribute richtig beschrieben werden. Beispiel: Eine falsche Beschreibung würde behaupten, dass die beiden „Dune“-Filme uns davon überzeugen sollen, dass nur der Dschihad eines übermenschlichen Erlösers die verderbte Menschheit retten kann.
Das ist sicher überspitzt, aber weltanschauliche und religiöse Projektionen sind gar nicht so selten, besonders in unseren Zeiten, in denen ein globaler Kulturkampf für permanente Erregungszustände sorgt. So regten sich islamische Journalisten über Villeneuves Film auf -
und zwar wegen kultureller Aneignung. Dies funktioniert nur, wenn man die Fremen der islamisch-arabischen Kultur zuordnet. Jüdische Medien haben ganz andere Probleme. Für sie sind die Fremen erkennbar Juden, die leider nicht vorurteilsfrei dargestellt werden. Beides sind moderate Versuche, eine völlig andere Debatte in einer Filmkritik fortzusetzen. Bitte setzen, falsches Thema! 

Es gibt natürlich immer wieder Strategien, mit denen versucht wird, sich eine Deutungshoheit zu verschaffen. So hat man ein ungutes Gefühl, wenn Begriffe wie Mahdi (im Islam kein unumstrittener Begriff), Jihad und Paradies für eine abstruse Interpretation eines Films sorgen können, etwa dann, wenn der Freiheitskampf der Fremen von einigen Zuschauer auf eine Weise glorifiziert wird, die Schlimmes erwarten lässt. Diese radikalen Lesarten erinnern daran, dass Tolkiens Bücher sowohl von Hippies als auch von Rechtsextremisten mit Begeisterung gelesen wurden.

Grundsätzlich sind darartige Projektionen in Serien, Filme und fiktionalen Bücher nie ganz zu vermeiden. Woke Verbote sind aber keine Lösung, weil sie grundsätzlich die Gleichberechtigung unterschiedlicher Meinungen nicht tolerieren. Genau wie die religiösen Ideologen es tun. Man darf also gespannt sein, wie Denis Villeneuve die äußerst komplizierte Geschichte der Folgeromane erzählen will. Hält er sich eng an die Romane, dann werden sich die meisten Zuschauer auf einige heftige Schockmomente einstellen müssen.

Noten: BigDoc = 2,5, Melonie: 3, Klawer = 4,5

Dune – Part Two – USA 2024 – nach dem Roman “Dune” von Frank Herbert – Regie: Dernis Villeneuve – Buch: Denis Villeneuve, Jon Spaihts – Kamera: Greig Fraser – Musik: Hans Zimmer – Laufzeit: 166 Minuten – FSK: ab 12 Jahren – Darsteller: Timothée Chalamet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Javier Bardem, Josh Brolin, Austin Butler, Dave Bautista, Christopher Walken, Stellan Skarsgard.