Sonntag, 9. Juni 2024

The Walking Dead: The Ones Who Live - ein ordentlicher Abschied von Rick und Michonne

Eines der letzten ungelösten Rätsel war das Schicksal von Rick Grimes. Andrew Lincoln, der Hauptdarsteller der Zombie-Serie The Walking Dead", wollte aussteigen, sagte aber für ein bis zwei Kinofilme zu, um die Geschichte vernünftig zu beenden.

Aus den Kinofilmen wurde nichts, aber das Spin-Off „The Ones Who Live” beantwortet nun nicht nur die Frage nach Ricks Schicksal, sondern trennt sich auch von einigen langweiligen Klischees. Die Episoden wirken frisch und was Showrunner Scott M. Gimple und seine als Executive Producer beteiligten Stars gemeinsam austüftelten, ist auch psychologisch plausibel. Dass die Hauptfigur demontiert wird, verblüfft zunächst. Fans der ersten Stunde werden trotzdem auf ihre Kosten kommen.

Konzentriert erzählte Geschichte

"We get to start over. We're the ones who live" stellen Judith und Rick Jr., die Kinder von Rick Grimes und Michonne, in der allerletzten Episode der Serie “The Walking Dead” (TWD) fest. Klingt trivial, denn wer sonst als ein Lebender kann sich Gedanken über die Zukunft machen?
Ganz so trivial ist es dann doch nicht, denn Judith und R.J. wissen nicht, ob ihr Vater noch lebt und der Schlusssatz bekommt dadurch eine subtile Bedeutung: die Ungewissheit spielt keine Rolle mehr. Es muss weitergehen.

Ganz so pragmatisch sieht es Michonne nicht, die (wie auch Daryl Dixon) immer noch hingebungsvoll nach Rick sucht. „The Ones Who Live” wird davon erzählen, dass die Motivation, so etwas zu tun, gewaltig mit der Realität zusammenprallen kann. Das sechsteilige TWD-Spin-Off, das ursprünglich als Film geplant war, macht seine Sache dabei erstaunlich gut. Auch weil die Macher neue Stilmittel ausprobieren, etwa wenn Rick und Michonne die Geschichte im Off kommentieren, oder wenn Showrunner Scott M. Gimple gelegentlich non-linear erzählt.

Klar wird auf jeden Fall, dass Rick Grimes nach der Explosion auf der Brücke von Jadis Stokes (Pollyanna McIntosh) zur Civic Republic Military (CRM) nach Philadelphia gebracht wird. Dort leben Hunderttausende scheinbar selbstbestimmt, während die CMR die Außenbereiche schützt. Zusammen mit Portland in Oregon und Omaha in Nebraska bilden die drei Städte die „Allianz der Drei“. In Portland und Omaha scheint man aber nicht zu wissen, wo der Dritte im Bunde angesiedelt ist.

Eine schräge Konstellation, denn das CMR scheint im Kollektiv an Paranoia zu leiden und verhindert mit großer Brutalität, dass jemand sie lokalisieren kann. So kehrt eine Spezialeinheit, die rote Streifen an der Uniform trägt, meist blutüberströmt von den Einsätzen zurück.
In Philadelphia wird Rick zunächst als Rookie eingesetzt. Das bedeutet: sechs Jahre lang Untote ins Jenseits zu befördern, um sich dann in der Stadt niederlassen zu dürfen. Fluchtversuche scheitern, beim letzten verliert Rick seine linke Hand. Trotzdem wird er zum Protegé eines Offiziers. Lieutenant Colonel Donald Okafor (Graig Tate) erkennt in Rick das Potenzial, das CRM von innen heraus zu reformieren. Zusammen mit Sergeant Major Pearl Thorne (Lesley-Ann Brandt) bilden die Drei bis zu Okafors gewaltsamen Tod ein subversives Trio.

Das wird konzentriert erzählt, viel Zeit bis zum Zusammentreffen von Michonne und Rick vergeht also nicht. Bereits in Episode 1 „Years“ stehen sich die beiden gegenüber und fallen sich in die Arme. Gefahr droht aber von Jadis (Pollyanna McIntosh spielte bislang in drei Serien mit - ein Rekord), die Michonne erkennt und Rick ankündigt, alle in Alexandria Lebenden umzubringen, falls er und Michonne fliehen. Dies riskieren die beiden dann doch, aber zu Michonnes Entsetzen lehnt Rick es ab, mit ihr nach Alexandria zurückzukehren.

Warum ein Held weinend kollabiert

Bislang profitierten die meisten Spin-Offs von der Konzentration der Story auf wenige Schlüsselfiguren, also völlig anders als die zuletzt überbordenden Casts der Mutterserie. Der dramatische Konflikt in „The Ones Who Live” bekommt dank weniger Figuren einen guten Fokus. Erzählt wird, dass das auch für die Härtesten das Survival of the Fittest auf Dauer nicht zu ertragen ist.
Im Spin-Off wird nämlich schnell klar, dass Rick Grimes ein gebrochener Mann ist. Das war nicht zu erwarten und Andrew Lincoln performt das sehr gut und
Danai Gurira ist einfach nur großartig als desillusionierte und wütende Frau, als sie das Ende ihres Plans erkennt. Es stellt sich heraus, dass einige von Ricks Flashbacks keine waren, sondern Träume, die Rick peu à peu verloren hat. Nun kann er  weder von seinem toten Sohn Carl träumen noch von Michonne – alle sind verschwunden. Diese schwere Traumatisierung, mit der Rick nicht fertig wird, können auch seine fadenscheinigen Ausreden nicht länger kaschieren. In Episode 4 „What We“ bricht Rick zusammen und gesteht Michonne, dass er es nicht ertragen könne, sie endgültig zu verlieren. So wie seine Träume und Visionen. Aber weit entfernt von ihr und seinen Kindern könne er wenigstens glauben, dass es allen gut geht. Wer supercoole und eindimensionale Superhelden in dieser Serie sucht, wird so schnell nicht fündig.

Was Scott M. Gimple mit seinen beiden Hauptfiguren macht (Danai Gurira und Andrew Lincoln waren an einigen Scripts beteiligt), ist TWD pur. So wie in den frühen Jahren werden existentielle Grenzen ausgelotet und nicht immer ist es schön, was dabei herauskommt. Es ist aber auch ein allerdings ein interessanter Kommentar, in dem sich einige Zuschauer, wenn sie denn wollen, wiedererkennen können. Denn auch sie wurden im Laufe der Zeit in TWD mit Entwicklungen konfrontiert, die fragwürdig waren – solange, bis die Serie auf traumatisierende Weise implodierte. Auch Rick ist traumatisiert, kann aber am Ende die Verdrängung verdrängen. Erzählenswert ist so eine Geschichte allemal. Hardcore-Fans wird das vielleicht nicht begeistern. Immerhin wird am Ende nicht nur das CRM zur Strecke gebracht, sondern es werden auch die Hintergründe aus „World Beyond“ enthüllt.

„The Ones Who Live” – dazu gehören am Ende auch Rick und Michonne. Und das ist eine durchaus positive Bilanz, denn die Geschichte ist zu Ende erzählt und eine Erzähllücke wurde sehr überzeugend beseitigt, was zumindest die letzten treuen Fans der Mutterserie zufriedenstellen wird.

Ein Kampf gegen die Selbstverzwergung?

Es geschah am 23. Oktober 2016: über 17 Mio. Zuschauer sahen die Erstausstrahlung der Episode „The Day Will Come When You Won’t Be“. Der Titel hatte prophetische Qualitäten. Nach dem mörderischen Wüten des Oberschurken Negan und dem Tod von zwei Schlüsselfiguren war die Schmerzgrenze bei den Fans erreicht. Nur noch 11 Mio. wollten sehen, wie es in der 7. Staffel weitergeht. Die, die ausharrten, halbierten sich im Jahr darauf – und zwar so lange, bis sich die 11. und letzte Staffel im Schnitt nur noch 1,5 Mio. Zuschauer anschauen wollten.

Erinnern wir uns: in den Jahren 2012-2016 explodierte TWD. Nicht nur in den USA, sondern auch global war TWD ein Quotenhit, der im Vergleich zu anderen als erfolgreich bezeichneten Serie das Zehn- oder Zwanzigfache einfuhr. Man sollte sich zumindest daran erinnern, dass TWD nicht ein banale Zombieserie war, sondern Fernsehgeschichte geschrieben hatte. Philosophen, Soziologen, Historiker und Filmkritiker schrieben über TWD, das sich zu einer dystopischen Mythologie entwickelte. Die Macher prahlten, dass sie Stoff für 20-30 Episoden hätten. 2011 kam dann das Ende für die Mutterserie, nicht aber für das Franchise, denn trotz der lausigen Quoten und angesichts der unterschiedlichen Vermarktungsformen lohnte es sich offenbar, weiter und immer weiter zu von den wankenden und schwankenden Untoten zu erzählen.

Von „The Walking Dead: The Ones Who Live” wurde im Vorfeld offenbar viel erwartet. Vielleicht auch, weil die Publikumslieblinge Andrew Lincoln als Rick Grimes und Danai Guira als Katana-Schwert-Expertin Michonne im Mittelpunkt der Story standen.
Beide dürften sich über den Job gefreut haben, denn nach ihrem Ausstieg aus TWD war es um ihre Karriere schlecht bestellt. Hauptdarsteller Andrew Lincoln wurde nach 2010 nur 1x für einen Film gecastet. Aber die 11 Mio. US-Dollar, die er mit TWD verdient hatte, dürften für's Erste reichen. Danai Guira soll Gagen zwischen 35.000-50.000 US-Dollar erhalten haben.

Warum bereits ein neues Spin-Off geplant wird, erschließt sich aus ökonomischen Gründen trotzdem nicht. Denn die Quoten sind schlecht. Ein Vergleich der Spin-Offs:

  • „Fear The Walking Dead“ (2015-2023) von 7,61 Mio. auf 0,49 Mio. abgestürzt.
  • „The Walking Dead: World Beyond” (2020-2021) von 1,6 Mio. auf 0,4 Mio. abgestürzt.
  • Tales of the Walking Dead” (2022): im Schnitt nur 0,4 Mio.
  • The Walking Dead: Dead City” (2023): Die Geschichte von Negan und Maggie sprach im Schnitt 0,7 Mio. Fans an. Eine zweite Staffel ist in Arbeit.
  • „The Walking Dead: Daryl Dixon” (2023): Publikumsliebling Norman Reedus konnte im Schnitt nur 0,65 Mio. Neugierige anziehen. Auch hier soll eine zweite Staffel folgen.

Das alles hängt kaum mit dem Crash der Mutterserie zusammen.
Offenbar ist das Sujet auserzählt, auch wenn die Kritiker besonders auf die letzten Spin-Offs positiv reagierten. Immerhin lag „The Last Time“, die sechste und letzte Folge des Spin-Offs „The Walking Dead: The Ones Who Live”, bei der Erstausstrahlung am 31.5.2024 mit 0,8 Mio. Zuschauern etwas über dem Schnitt.

Trotzdem hat AMC in diese Serie fast 14 Mio. US-Dollar pro Episode investiert. Die Mutterserie soll dagegen weniger als Mio. pro Episode gekostet haben. Ein Kampf gegen die Selbstverzwergung? Das tut man nicht, wenn man kein profitables Invest erhält. Wie AMC aber mit seinem Zombie-Franchise Profite erwirtschaftet, konnte der Rezensent nicht herausfinden. Es sei denn, die weltweiten Streaming-Lizenzen werfen genug ab. Stimmt das? Nun, Amazon kassiert für die neue Serie einen Bruchteil dessen, was aktuelle Top-Serien kosten. Es bleibt alles ein Rätsel.

Noten: BigDoc = 2,5

The Walking Dead: The Ones Who Live” – USA 2024 – Streaming: AMC (Network), Magenta TV, Amazon Video – Showrunner: Scott M. Gimple – 6 Episoden – D.: Andrew Lincoln, Danai Guira, Lesley-Ann Brandt, Pollyanna McIntosh.