Donnerstag, 15. März 2012

Die eiserne Lady


Großbritannien 2011 - Originaltitel: The Iron Lady - Regie: Phyllida Lloyd - Darsteller: Meryl Streep, Jim Broadbent, Alexandra Roach, Harry Lloyd, Olivia Coleman, Anthony Head, Richard E. Grant - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 105 min.

Dass Meryl Street für „The Iron Lady“ ihren dritten OSCAR erhielt, ist zweifellos die berechtigte Würdigung einer grandiosen darstellerischen Leistung.  Die 63-Jährige spielt seit geraumer Zeit mit subtilen Performances ihre jüngeren Kolleginnen mühelos an die Wand und auch ihr jüngster Film ist großes Star-Kino, das sich darum bemüht, die Schwächen des filmischen Konzepts auszubügeln. Leider ist die Lebensgeschichte der berühmt-berüchtigten Vorreiterin des britischen Neo-Liberalismus über weite Strecken dann doch nur eine belanglose Nummernrevue geworden.

Das Beste sieht man gleich am Anfang. In einer zeitlich nicht näher verorteten Gegenwart sitzt Margaret Thatcher mit ihrem Ehemann Denis (eindrucksvoll: Jim Broadbent, Another Year, zuletzt Harry Potter and the Deathley Hallows: Part 2) am Frühstückstisch. Man liest Zeitung und Denis soll sich gefälligst nicht so viel Butter auf den Toast schmieren. Alles ist etwas kühl, aber dennoch herzlich, wenn man den gehörigen Schuss Understatement abzieht. Upper-Class-Rituale eines eingespielten Paares. Dann der Schnitt auf die Totale.
Die Kamera zeigt nun eine alte Frau am Frühstückstisch, allein, um Contenance bemüht. Ihr Mann: eine Halluzination, bereits 1983 verstorben. Die ehedem mächtigste Politikerin des 20. Jh. ist dement.

Der dramatische Konflikt von Phyllida Lloyds Biopic wird in der Eingangsszene festgezurrt und er besitzt durchaus eine narrative Logik. Später wird uns der Film zeigen, dass die Führerin der britischen Konservativen Partei und Premierministerin von 1979-1990 zeit ihres Lebens eine Frau gewesen ist, die es gewohnt war nach vorne zu schauen. Sich nicht in der Vergangenheit aufzuhalten, so erzählt uns "The Iron Lady", sondern das Mögliche aus dem Bestehenden und Gegenwärtigen herauszudestillieren – natürlich hin zum Positiven – ist für sie Programm. Aber wenn der Film als Narrativ ähnlich wie in Ken Russells grellem „Mahler“ (GB 1974) eine Serie von Flashbacks aneinanderreiht, dann ist dies nicht nur ein Rückgriff auf gängige Erzählmuster des biografischen Films. Thematisch erhält der Film durch seinen Beginn, der seinen Ursprung in eben jener Frühstücksszene hat, seine Eindeutigkeit: Margaret Thatchers Lebensphilosophie wird quasi konterkariert. Denn immer weiter geht ihr Blick zurück, bis an die Anfänge ihrer politischen Karriere und ihrer Ehe. Der vertraute Blick nach vorne ist verstellt, er gibt nichts mehr her. Das könnte spannend sein, aber man versteht bald: hier ist nicht die Auseinandersetzung mit einem politischen Leben geplant, sondern das große Charakterdrama, in dem die Szenen einer Ehe zum finalen Zustandsbericht eines einsamen Lebens führen.

Das Biopic als Nummernrevue
Natürlich sind Biopics immer etwas problematisch, wenn es um noch lebende Zeitgenossen geht.
Zu frisch ist das Faktische im Gedächtnis abgelegt und jede Aussparung und Verkürzung muss notwendigerweise auf Unmut beim informierten Zuschauer stoßen. Zumal die Konsequenzen aktueller politischer Entscheidungen meistens nicht in vollem Umfang absehbar sind. Der weniger gut Informierte will wenigstens schlüssige Informationen, bevor er sich den künstlerischen Aspekten zuwendet. So bewegen sich Biopics häufig zwischen Schulfunk und Drama.
Andererseits ist die filmische Biografie ein Kinogenre par excellence: Politiker, Künstler, Gangster, Sportler gehören seit Beginn des Kinos zu den beliebtesten Themen und so verwundert es auch nicht, dass dieses Sujet gleich eine Reihe von Subgenres herausgebracht hat. Sportler-Biopics wie „The Fighter“ gehören aufgrund ihres authentischen und dramatischen Potentials nach wie vor zu den beliebtesten Exemplaren ihrer Art.
Vielleicht ist gerade der Wunsch, dem  Fiktionalen mithilfe eines authentischen Stoffes ein besonderes Qualitätssiegel zu verliehen, auch Ausdruck eines Bedürfnisses nach Realismus, aber damit auch nach Deutung und Erklärung des Historischen. Im günstigsten Fall erfährt man dann auch wirklich etwas, in minder schlimmeren Fällen bloße Außenansichten und wenn es richtig übel wird, werden Ideologie und Mythologisierung aufgetischt. Tatsächlich scheinen Biopics erhebliche ästhetische und formale Herausforderungen zu stellen, die aber dann auf erheblichen Widerstand stoßen, wenn die Balance zwischen Drama und solider  Darstellung des Faktischen nicht stimmt. Eben dies ist in "The Iron Lady" der Fall.

Die Flashbacks der „eisernen Lady“ erzählen von den Erinnerungen an die Luftschlacht um England und wie hingetupft erscheint die prägende Beziehung zu ihrem Vater, einem konservativen Lokalpolitiker, den die junge Margaret vergöttert. Dass Menschen sich nicht auf den Staat verlassen dürfen, sondern das, was in ihnen steckt, mit harter Arbeit aus sich herausholen können, wenn sie denn nur wollen, erscheint ihr plausibel.
Ein Studienplatz in Oxford markiert den Beginn des Aufstiegs. Und nach ersten Gefechten in der Lokalpolitik wird die „Krämerstochter“ aus dem britischen Mittelstand in die hermetisch erscheinende politische Obersicht eindringen: eine Männergesellschaft, die die konservativen Grundtugenden des Polit-Rokkies anfangs als weibliche „Haushaltwirtschaft“ belächelt. Nach einer gescheiterten Wahl für einen Parlamentssitz heiratet Margaret den wohlhabenden Geschäftsmann Denis Thatcher, der gleich zu Beginn das Primat des Politischen vor dem Privaten akzeptieren muss. Und sie macht es wahr: später wird Margaret Thatcher nicht einmal die Abwesenheit ihres Mannes bemerken, der eine lange Geschäftsreise unternommen hat.

In diesen Szenen erzählt Phyllida Lloyd nicht ganz ungeschickt die Geschichte von der Durchsetzungskraft einer politisch engagierten Frau in einer Männergesellschaft, aber leider wird alles Weitere dann als Nummernrevue inszeniert, die auch formal zeigt, dass der Film die Distanz zu den Ereignissen „da draußen auf der Straße“ nicht überwinden kann. Wenn Thatcher als Premierministerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt ist, zeigt Lloyd das radikal umgestrickte Großbritannien nur aus kühlem Sicherheitsabstand: Inflationsbekämpfung, Deregulierung und Privatisierung tauchen als Worthülsen in Reden und Kabinettssitzungen auf, der Kampf gegen die Gewerkschaften bildet lediglich den filmischen Fundus für einige Redeschlachten mit aufgebrachten Labour-Abgeordneten, während die Proteste auf der Straße und der Bergarbeiterstreik 1984/85 durch Einspieler aus alten Nachrichtensendungen repräsentiert werden.
Und anders als in gelungenen Beispielen dieses Genres fehlt der herausfordernde Gegenspieler als reflexiver Korrektor. Eisern ist die Dame, wenn es um Grundsätze geht, und eisern ist sie, wenn sie Männer wie ungezogene Jungs abkanzelt, etwa ihren Lord President, den sie während einer Kabinettssitzung eines Rechtschreibfehlers überführt. Aber so sind die politischen Gegner Thatchers in "The Iron Lady" nunmal, auch jene in den eigenen Reihen: irgendwie Abziehbilder und meistens namenlos. Die Anekdote tritt an die Stelle der politischen Revision und was die Poll Tax ist, die letztlich zu ihrem Niedergang führt, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen: die Verbindung zwischen Privatem und Öffentlichen wird im Film zwar pausenlos penetriert, bleibt - gemessen am Ergebnis - aber nur eine Behauptung. Wie man diesem Genre mit biografischen Episoden und trotz einer formalen Konzentration auf dialoglastiges Zimmertheater eine enorme Spannung und ein gewaltiges Informationsbenefit abringt, zeigt uns aktuell ein Biopic der ganz anderen Art, nämlich David Cronenbergs „A Dangerous Method“ (USA, D 2011).
Biopics haben ja alle eine Tendenz zur Episoden-Haftigkeit und zur Nummernrevue, aber in „The Iron Lady“ werden uns politische Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wie Abrissblätter eines Tageskalenders präsentiert. Nie wird greifbar, was sich in Großbritannien tatsächlich verändert hat, und für Zuschauer ohne explizite Kenntnisse der jüngeren Geschichte wird die Verweildauer an der Oberfläche in „The Iron Lady“ wohl zum Dauerzustand. Politische Reflexion sieht anders aus, aber das will der Film auch nicht sein.

Nur ein privates Drama
Eine Schlüsselszene zeigt, worum es wirklich geht: als die alte Margaret mit ihrem Arzt spricht, verneint sie entschieden dessen Frage, ob sie denn Halluzinationen habe, und die Frage nach ihren Gefühlen beantwortet sie damit, dass es ihr um Gedanken und Ideen gehe. Bereits in der Demenz gefangen, zeigt uns Lloyd ihre Hauptfigur als stoisch verhärtete Person, die immer noch alles den idealistischen Prägungen ihre Jugend unterordnet, aber wirklich interessiert ist die Regisseurin nur an den privaten Konsequenzen dieser Axiome.
„The Iron Lady“ ist kein politisches Biopic, es hält als Subtext vielmehr das Protokoll einer gescheiterten Ehe bereit. Die Heimsuchungen und Halluzinationen der alten Frau sind die späten Reflexe auf eine Entwicklung, die in tiefe Einsamkeit geführt hat, und in der der tote Denis als lakonischer Stichwortgeber zunächst wie ein guter Freund erscheint, sich dann aber in einen quälenden Dämon verwandelt. Margaret wird am Ende der Tortur verzweifelt die Lautstärke von Fernseher und Radio aufdrehen und alle Küchengeräte anstellen, um durch den Lärm den Geist aus dem Reich der Toten zu bannen. Fast scheint es ein lakonischer Kommentar Phyllida Lloyds zu sein: erst die Krankheit zwingt die harte Frau zum Blick zurück.
Die hingestreuten politischen Fragmente und Einspieler bleiben aber weiterhin an der Oberfläche und eine fatale Oberflächlichkeit erreicht der Film dann endgültig bei der Darstellung des Falklandkrieges. „The Iron Lady“ zeigt uns eine Frau, die prinzipienfest handelt und als toughe Lady gnadenlos ein argentinisches Kriegsschiff versenken lässt.  Formal schiebt Lloyd mehrfach Zwischenschnitte auf eine emotional tief bewegte Frau ein, die sich diese Entscheidung hart abringt. Diese Montage ist aber nur eine Behauptung: Tatsächlich war die Aktion militärisch sinnlos und tatsächlich gewann Thatcher dank ihrer martialischen Haltung ihre gründlich lädierte Popularität bei den Wählern vorübergehend zurück.

Das alles ist aufgrund der nuancierten Spielweise von Meryl Streep und Jim Broadbent streckenweise nicht übel, vermag aber emotional und erst recht intellektuell nicht wirklich zu berühren. Zu ärgerlich ist der Rückzug ins Private, der erzähltechnisch natürlich eine perfekte Positionierung des Stars und eine tolle One-Woman-Show erlaubt. Noch ärgerlicher fallen einige stilistische Patzer ins Gewicht, etwa die pathetische Filmmusik, die sogar vor melodramatischen Operneinlagen nicht zurückschreckt. Das hat inhaltlich den einen oder anderen plausiblen Grund und ist möglicherweise aber ironisch gemeint, aber auch hier geht der Schuss gründlich nach hinten los und sorgt für einige Peinlichkeiten hart am Rande der Verpilcherung.
Der entscheidende Plot Point des Films ist konsequenterweise dann schließlich der Sieg Margaret Thatchers über ihren halluzinierten Mann, dem sie symbolisch die Koffer packt und dem sie dann aber vergeblich nachruft, er möge doch bleiben. Das ist natürlich grandios gespieltes Theater, das aber erkennen lässt, dass wir vorher nur Zettelkastenbilder eines politischen Lebens gesehen haben. Die fehlende Dialektik des Films verstellt konsequent den Blick auf eine Frau, die die britische Europafeindlichkeit gründlich definierte und deren moralisches Sendungsbewusstsein die Briten in eine schöne neue und deregulierte Welt führte, in der man heute etwas mehr als nur moralische Willensstärke benötigt, um „etwas aus seinem Leben zu machen“.

Noten: BigDoc = 4