Mittwoch, 15. März 2017

The People v O. J. Simpson: American Crime Story

Der Mordprozess gegen den ehemaligen NFL-Football-Star und späteren Filmschauspieler O. J. Simpson war zwei Jahre eines der spektakulärsten Medienereignisse in den USA. Die Kameras waren live im Gerichtssaal, der Prozess wurde zum Fanal. Am Ende ging es de jure zwar um zwei Morde, de facto aber um Rassismus. FX hat aus der Geschichte, die ihre politische Brisanz nicht eingebüßt hat, eine zehnteilige Miniserie gemacht, die zu Recht mit Preisen überhäuft wurde.

Der mittlerweile 70-jährige O. J. Simpson schmort immer noch in einem Gefängnis in Nevada. In einigen Monaten darf er mit seiner vorzeitigen Entlassung rechnen. Verurteilt wurde er 2008 wegen bewaffnetem Raub. Ziemlich drakonisch, das Strafmaß, 33 Jahre Haft konnte man durchaus als Nachschlag betrachten. 1995 wurde Simpson von einer mehrheitlich schwarzen Jury vom Vorwurf des Doppelmordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Bekannten Ronald Goldman überraschend freigesprochen. Die Öffentlichkeit spaltete sich in zwei Lager: Weiß vs Schwarz. Ein Großteil der Medien hatte dagegen einen Schuldspruch vorformuliert - zu erdrückend waren die Indizien, die gegen den populären NFL-Star sprachen. Eine Blutspur führte vom Tatort in seine Wohnung.


Die FX-Serie basiert auf dem Buch The Run of His Life: The People v. O.J. Simpson (1997) von Jeffrey Tobin. In zehn Kapiteln wird minuziös ein Gerichtsdrama nachgezeichnet, das mit den Ermittlungen am Tatort und Simpsons live im TV übertragener Flucht in einem weißen Bronco beginnt und mit einem sensationellen Freispruch endet, der nicht mehr über Schuld oder Unschuld entscheiden wollte, sondern darüber, ob ein schwarzer Mann vor einem US-Gericht überhaupt ein gerechtes Verfahren erhalten kann.



Alles nur Show?

95 Millionen Amerikaner saßen vor ihren Bildschirmen, als Simpson von einem Bekannten in seinem Bronco beinahe ziellos über die Highways transportiert wurde. Cuba Gooding Jr. spielt den Verfolgten. Er fuchtelt mit einem Revolver herum, droht mit Selbstmord, während Polizeiautos in einer Kolonne dem Verdächtigen folgen und die Kamerateams in ihren Hubschrauber das Spektakel aus der Vogelperspektive filmen.
 

Cuba Goodings Herausforderung war nicht gering. Er musste die Hauptfigur des Mordprozesses authentisch spielen, andererseits sollten auch die Facetten eines Charakters deutlich werden, die mehr als nur ambivalent waren. O. J. Simpson war als Sportler nicht nur ein Nationalheld für die schwarze Bevölkerung. Die sportliche Legende wurde durch zahlreiche TV- und Filmauftritte überhöht. Jenseits des Mythos war Simpson ein enorm charismatischer, aber auch ein cholerischer, arroganter Zeitgenosse, der seinen sozialen Status auf seine Weise interpretierte: ein Farbiger, der in einem weißen Villenviertel lebt, befindet sich jenseits aller Rassenkonflikte. „I’m not black – I’m O.J.“

Goodings Interpretation ist durchaus sehenswert, obwohl der charismatische Teil nicht erscheint. Sein „O.J.“ ist ein Chamäleon, ein Mann zwischen suizidaler Verzweifelung und übel gelaunter Selbstsicherheit, der schon mal sein Staranwälte zusammenfaltet, wenn ihm danach ist. Und nie weiß man, was Show und was ehrlich ist. Man weiß aber eins: die Show beherrscht er aus dem eff-eff.

Dabei ist Cuba Goodings Figur nicht einmal der Star der Serie. Die wahren Hauptfiguren sind die Anwälte Simpsons und die Vertreter der Staatsanwaltschaft. Sie spiegeln in „The People v O. J. Simpson“ die Besonderheiten des amerikanischen Rechtssystems wider, in dem hart und erbittert um den wahren Richter gerungen wird, die Jury. Sie demonstrieren auch, dass es in einem Prozess, der gleichzeitig ein gigantisch übersteigerter Medienevent war, der öffentliche Druck geradezu vernichtend auf alle Akteure wirken kann. Doch den bekamen eher die Ankläger zu spüren.


O. J. Simpson hatte dagegen eine Handvoll abgebrühter Profis angeheuert: sein „Dream Team“. Robert Shapiro, der „Boss“, wird von John Travolta mir maskenhaftem und wie aus Stein gemeißelten Gesicht als abgezockter, aber auch narzisstischer Stratege gespielt, der den Gerichtssaal meiden und lieber Deals mit den Anklagevertretern aushandeln möchte. In allgemeinem Gerangel um die Leitung des Teams wird er bald in die zweite Reihe befördert. 

Die Strategie entwickelt nun Johnnie Cochran (Courtney B. Vance), ein farbiger Anwalt und Bürgerrechtsaktivist, der rasch das Potential des Verfahrens erkennt. Er verlagert das Verfahren mitten hinein in die Rassismusdebatte und entzieht sein Team damit einer aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung mit den Indizien. Cochran nimmt nicht nur das LAPD aufs Korn und zermürbt die Anklage mit kleinteiligen Hinweisen auf den schlampigen Umgang mit den am Tatort gesicherten Beweisen, sondern setzt aus vielen kleinen Details die Hypothese einer Verschwörung zusammen, die von einer durch und durch rassistischen Polizei inszeniert wurde.


Und tatsächlich wird es gelingen. „The People v O. J. Simpson“ rekonstruiert das Courtroom-Drame akribisch, was auch nicht schwer gewesen ist. Man musste sich halt nur die Aufzeichnungen der Live-Übertragungen anschauen.
Und so kommt es in der neuen FX-Serie natürlich auch zu der berühmten „Handschuh-Probe“, bei der Simpson dem Gericht und der Jury genüsslich demonstriert, dass ihm die am Tatort gesicherten Handschuhe des mutmaßlichen Täters gar nicht passen.
Die FX-Serie lässt keinen Zweifel daran, dass dieser strategische Fehler auf das Konto des farbigen Co-Anklägers Christopher Dardens (Sterling K. Brown) ging, der alle Warnungen der leitenden Staatsanwältin Marcia Clark (Sarah Paulson) in den Wind schlug. Es war die erste Wendemarke in dem Prozess.




American Crime Story

„The People v O. J. Simpson“ ist der erste Teil einer vierteiligen Anthologie, der weitere abgeschlossenen Miniserien folgen sollen: u.a. über die Folgen des Hurrikans Katrina. Eine weitere True Crime-Staffel wird sich mit dem Mord an dem Modedesigner Gianni Versace beschäftigen und die vierte Staffel soll den Sexskandal um den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton beleuchten – ein vierteiliges Panoptikum des amerikanischen Rechtssystems.

Für die erste Season „The People v O. J. Simpson“ waren die American Horror Story-Showrunner Ryan Murphy und Brad Falchuk als Executive Producer verantwortlich. Murphy und Falchuk und das Autorenteam Scott Alexander und Larry Karaszewsk („Big Eyes“, 2014) erzählen die O. J. Simpson-Crime Story ohne stilistische Mätzchen als breit und ausführlich angelegtes amerikanisches Sittengemälde. Es legt gleich mit den ersten Bilder den Finger auf die Wunde. Die erste Episode beginnt mit Docu Footage, das die Misshandlung des Afroamerikaner Rodney King durch vier Beamte des LAPD zeigt, die anschließenden Rassenunruhen und schweren Ausschreitungen. Kurz folgt danach der Freispruch für die vier Schläger. Drei Jahre später beginnt der Prozess gegen O. J. Simpson.


Damit stecken die beiden Showrunner den gesellschaftspolitischen Rahmen der Erzählung ab. Angesichts der offensichtlichen Wut, die in großen Teilen der schwarzen Community herrscht, wirkt die Selbstsicherheit der Staatsanwältin Marcia Clark beinahe geschichtsvergessen. Clark bezeichnet den Prozess angesichts der Beweislage als Selbstläufer. Danach wird die junge Staatsanwältin und alleinerziehende Mutter aber von den sensationsgierigen Medien Stück für Stück als humorlos und hysterisch dekonstruiert. Ihr Ex lanciert Nacktfotos und am Ende kann Marcia Clark nicht einmal mit einer neuen Frisur vor Gericht erscheinen, ohne Hohn und Spott zu ernten. 
Sarah Paulson hat für ihre grandiose Performance einen Emmy bekommen.


Ihr farbiger Kollege Christopher Darden steckt in einer anderen Klemme. Er glaubt an die Integrität des Systems, rutscht angesichts der Rassismusdebatte, in die sich der Prozess verwandelt, schnell in eine „Onkel Tom“-Rolle und wird den Verdacht nicht los, nur der Quoten-Schwarze in den Reihen der Staatsanwaltschaft zu sein. Auch Sterling K. Brown spielt brillant, auch er erhielt einen Emmy.

Clark und Darden unterschätzen nicht nur die Eloquenz ihres Konkurrenten Johnnie Cochran, sondern verlieren endgültig die Kontrolle über das Verfahren, als es der Verteidigung gelingt, Mark Fuhrman (Steven Pasquale), den für die Beweissicherung wichtigsten Ermittler, als üblen Rassisten zu entlarven.
Dabei spielt der Zufall eine entscheidende Rolle, denn dass dem Team und Cochran und Shapiro kurz vor Prozessschluss wichtige Tonbandaufnahmen zugespielt werden, war Manna, das vom Himmel fiel. „Manna from Heaven“ heißt dann auch die Episode, in denen die Ankläger fassungslos Bandaufnahmen abhören, in denen der LAPD-Detective ganz entspannt davon berichtet, wie er „Niggern“ Beweise unterschiebt oder sie aus nichtigem Anlasse zusammenschlägt. Fuhrman war einer der ersten Beamten am Tatort und Fuhrman fand auch die Handschuhe, die später nicht passten.
Vor Gericht machte er von seinem Recht mehrfach Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Auch als er gefragt wurde, ob er Simpson Beweise untergeschoben habe.
 Marcia Clark hatte zuvor Dardens Warnungen vor diesem Zeugen in den Wind geschlagen. Und nun führte Fuhrmans Auftritt vor Gereich zur endgültig entscheidenden Wendung, zumal die überwiegend schwarze Jury auch durch die zweifelsfreien DNA-Proben nicht mehr zu überzeugen war. Ein Nazi-Verehrer und bekennender Rassist in Zeugenstand: In diesem Prozess durfte das weiße, rassistische Amerika auf keinen Fall einen weiteren Sieg davontragen.




Die Realität ist eine Seifenoper

An dieser Stelle gelingt der Serie ein beklemmender Verweis auf die rassistischen Übergriffe, die auch 2016 in der Prä-Trump-Ära die USA erschütterten. „The People v O. J. Simpson“ schafft nicht nur hier den Spagat zwischen einem Berg an Indizien, ihrem zunehmenden Bedeutungsverlust, der medialen Selbstinszenierung der Protagonisten und der sich selbst inszenierenden Medien. Die Serie wirft auch ein Schlaglicht auf die inkompetente Polizeiarbeit und den Rassismus, der Teile des Systems beherrschte. Dies rundet die filmische Rekonstruktion eines Spektakels ab, das fast Hundertfünfzig Millionen Menschen vor den Bildschirm lockte, als Richter Lance Ito (Kenneth Choi) die Jury nach vielen Prozessmonaten aufforderte, ihr Urteil zu verkünden. Sie hatte nur vier Stunden gebraucht, um das Votum zu fällen.

Ito, ein Jurist mit japanischen Wurzeln, war zuvor selbst auf obszöne Weise von der Yellow Press in die Mangel genommen worden. In „The People v O. J. Simpson“ gibt es mehr Verlierer als Gewinner, nur haben die meisten Protagonisten anschließend Bücher über den Prozess geschrieben, auch Marcia Clark und Mark Fuhrman. Arm wurden sie dabei nicht. 


„The People v O. J. Simpson“ ist ein Glücksfall für die Serienkultur. Spannend von der ersten bis zur letzten Episode, akkurat bei der Aufarbeitung der Fakten und äußerst stringent bei der pointierten Analyse der politischen und soziokulturellen Hintergründe eines Verfahrens, an dem buchstäblich die ganze Nation teilnahm. Wenn man der Serie überhaupt etwas vorwerfen kann, so ist es die nicht ganz überzeugende Darstellung des Medien-Hypes, die man sich bis heute in zahllosen YouTube-Videos anschauen kann. Einige TV-Sender präsentierten Split-Screens, die Zuschauer konnten gleichzeitig O.J.’s Flucht im Bronco folgen, ohne eine aktuelle Sportübertragung zu verpassen.


Die Wirklichkeit war bizarr, ihr Abbild in den Medien grotesk. Ryan Murphy und Brad Falchuk verzichten auf einen subjektiven Point of View, verpassen dem Narrativ aber trotzdem einen Kommentar. Sie verlassen sich dabei auf einen delikaten Kunstgriff. Und zwar auf Robert Kardashian (David Schwimmer), Vater des Reality-Stars Kim Kasdashian. Er ist nicht nur Teil von O. J. Sipmsons „Dream Team“, sondern privat auch dessen bester Freund. Kasdashian wird in dem „Prozess des Jahrhunderts“ Schritt für Schritt von den Indizien zerdrückt. Überzeugt von der Schuld Simpsons, aber moralisch daran verzweifelnd, ihm während des laufenden Prozesses einen Rest von Loyalität zu schulden, ist Kasdashian der heimliche Kommentator und die heimliche Jury. Er wird sich nach dem Freispruch von Simpson abwenden. Ein bedrückendes Drama, das sich schleichend in den zehn Episoden von „The People v O. J. Simpson“ ausbreitet.


O. J. Simpson wurde 1997 in einem Zivilprozess zu einer Schadenersatz-Zahlung in Höhe von 33,5 Millionen Dollar verurteilt. Die Familien der Opfer haben allerdings kaum etwas erhalten. Auch Simpson schrieb später ein Buch über die Morde: „If I Did it“, in dem er literarisch verbrämt mehr oder weniger deutlich die Taten gestand (1). Die Bücher wurden aufgrund des öffentlichen Widerstands zunächst eingestampft, einige Exemplare verwandelten sich rasch in teure eBay-Memorabilien. 
2007 erhielt die Familie des ermordeten Ronald Goldman die Rechte.
Und wenn O. J. Simpson tatsächlich im Oktober dieses Jahres vorzeitig entlassen wird, werden sich einige Reality Show-Producer die Klinke in die Hand geben, so berichteten einige US-Medien in dieser Woche. „O.J.“ geht on Air – the Show must go on (2).
In dieser „American Crime Story“ ist die Realität eine billige Seifenoper und die Serie bewahrt den letzten Rest von Anstand. Dafür gab es zu Recht 27 Auszeichnungen, darunter zwei Golden Globes sowie neun Nominierungen und fünf Auszeichnungen bei den 68th Primetime Emmy Awards.



Quellen:

(1) O. J. Simpsons „If I did it“ - Von der Bluttat zur Groteske ( FAZ 25.06.2007)
Banalitäten zum Mord (Süddeutsche Zeitung 17. Mai 2010)

(2) You Could Be Watching O.J. Simpson On Reality TV If He’s Released From Prison This Year (Huffington Post 10.3.2017)


The People v. O. J. Simpson: American Crime Story – USA 2016 – nach dem Buch “The Run of His Life: The People v. O. J. Simpson” von Jeffrey Tobin – Producer / Showrunner: Ryan Murphy und Brad Falchuk – Script: Scott Alexander und Larry Karaszewsk – 10 Episoden (42 Minuten) – Network: FX – D.: Cuba Gooding Jr., Sterling K. Brown, Kenneth Choi, Christian Clemenson, Bruce Greenwood, Nathan Lane, Sarah Paulson, David Schwimmer, John Travolta, Courtney B. Vance