Donnerstag, 30. März 2017

Life

Draußen im Weltall wartet das Grauen auf uns. Und auch wenn man sich auf jede denkbare Gefahr einstellt, kann das völlig Andersartige uns überwältigen und töten. Überhaupt ist alles, was fremdartig ist, gefährlich. Science-Fiction-Filme leben von diesen Annahmen. „Life“ ist ein ziemlich darwinistischer Ableger dieses Genres geworden.

Auf der Internationalen Raumstation ISS kommt es zu einem Zwischenfall, als eine beschädigte Marssonde nicht wie geplant andocken kann. Doch die havarierte Sonde kann nach einem riskanten Einsatz des Flugingenieurs Roy Adams (Ryan Reynolds) an Bord geholt werden. Und tatsächlich scheint sich das riskante Manöver gelohnt zu haben, denn Hugh Derry (Ariyon Bakara), der Exobiologe der ISS, entdeckt in den Proben vom Mars einen scheinbar primitiven Einzeller, dem die Crew den Namen Calvin gibt. 



Mit an Bord sind die Missionsleiterin und CDC-Mitarbeiterin Dr. Miranda North (Rebecca Ferguson), der Bordarzt Dr. David Jordan (Jake Gyllenhaal), der Bordingenieur Sho Murakami (der Sci-Fi-erfahrene Hiroyuki Sanada: „Extant“, „Helix“) sowie die russische Kosmonautin Ekaterina Golovkina (Olga Dihovichnaya).

Calvin scheint die fürsorgliche Behandlung an Bord der Raumstation gut zu bekommen. Als der Einzeller von Hugh Derry mit Glukose und einem speziellen Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid aufgepäppelt wird, entwickelt sich Calvin dank seiner multipotenten Zellen zu einem äußerst anpassungsfähigen Organismus. Calvins rasantes Wachstum
überrascht die Crew, beunruhigt sie aber zunächst nicht. Als Calvin, der sich inzwischen zu einer Mischung aus Krake und Zitterrochen entwickelt hat, seinen Ziehvater attackiert, erkennt die Crew, dass die außerirdische Lebensform über Intelligenz verfügt und sogar ein Werkzeug benutzen kann. Bei dem Versuch, den verletzten Exobiologen aus dem Labor zu retten und das aggressive Alien zu töten, verliert Roy Adams sein Leben. Der Versuch, das Labor zu versiegeln, scheitert im letzten Moment. Calvin entkommt und versteckt sich im Lüftungssystem der Station. Nun ist die ISS die letzte Firewall zwischen der fremdartigen Lebensform und der Erde.

Natürlich erinnert die Geburt eines Monsters an Bord eines Raumschiffs an Ridley Scotts „Alien“, die Blaupause des modernen Sci-Fi-Horrorfilms. Scott hat in seinem Klassiker einige Topics definiert, die in den folgenden Jahrzehnten häufig variiert wurden. Während das ausgewachsene Alien in Ridley Scotts Film seine Existenz recht kompliziert reproduziert und dabei ohne Wirtskörper nicht auskommt, ist die Kreatur in „Life“ anspruchsloser und damit noch gefährlicher. Ihr reicht eine Petrischale. Calvin entsteht aus einer Zelle, eine sich über Jahrmillionen erstreckende Evolution ist nicht nötig. Der genetische Code für die gesamte Morphogenese besitzt also maximale Effizienz.
„Life“ erinnert darin auch an „Andromeda“ (1971) von Robert Wise, einen anderen Klassiker des Genres. Auch dort wird ein einzelliger Organismus von einer Sonde eingeschleppt, auch dort erweist sich die Konzentration aller für das Leben erforderlichen Informationen auf eine simple Urform als bemerkenswert überlebensfähig.

Hochspannend, aber ohne Geschichte

Der große Unterschied zwischen Ridley Scotts Meisterwerk und dem an wissenschaftlichen Laborsettings orientierten Film von Robert Wise besteht darin, dass in „Alien“ und „Andromeda“ (Tödlicher Staub aus dem All) richtige Geschichten erzählt werden. Der schwedisch-chilenische Regisseur Daniél Espinosa („Safe House“) hat zuletzt in „Kind 44“ unter Beweis gestellt, dass er diese Fähigkeit nicht besitzt. In „Life“ erhalten die Protagonisten keine Backstory, ihre Beziehungen werden fast ausnahmslos auf ihre technische Funktion auf der Raumstation reduziert. Nur Jake Gyllenhaal darf etwas darüber lamentieren, dass er nicht mehr auf die überbevölkerte Erde zurückkehren möchte und am liebsten im All bleiben möchte. Für eine größere Teilnahme des Zuschauers sorgt das nicht.

Stattdessen reduziert „Life“ den Plot auf das sattsam bekannte Erzählprinzip von den zehn kleinen Negerlein und konzentriert sich über eine Stunde lang auf den erbarmungslosen Überlebenskampf zwischen Calvin und der rasch schrumpfenden Crew. Das ist trotz der Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung über weite Strecken überraschend spannend und visuell sehr attraktiv. So bietet die nicht gerade mit üppigen Mitteln ausgestattete Produktion dank der wieder einmal überragenden Kameraarbeit von Seamus McGarvey („The Accountant“) bereits in einer langen Plansequenz zu Beginn des Films Sehenswertes. So schön schwerelos war zuletzt „Gravity“. Auch die CGI-Umsetzung des wieselflinken Aliens, das sich an seinen Opfern verköstigt und dabei immer größer wird, kann sich sehen lassen. „Life“ bezieht seinen Thrill aber auch daraus, dass Espinosas und
McGarvey Bilder Mensch und Monster in einer Umgebung kämpfen lassen, die für beide nicht gerade ihr natürlicher Lebensraum ist. Dies ist strikt naturalistisch und das sieht man dem herausragend fotografierten Film auch an.

Wer sich also für einen kompakten Weltraumthriller ohne Suspense interessiert ist, kommt in Daniél Espinosas Film zweifellos auf seine Kosten. Der Film legt offen seine Karten auf den Tisch, große Geheimnisse gibt es danach nicht mehr zu klären. Wer gutes und gerne auch mysteriöses Storytelling bevorzugt, sollte sich woanders umschauen.
Wohl auch, weil die Geschichte nicht gut ausgeht. Im Kern ist die Botschaft von
Life" recht grausam: das Dilemma der Menschen beginnt, als sie dem Fremden einen Namen geben. Aber dort, wo Leben entsteht, ist Empathie nicht immer das Mittel der ersten Wahl. Life" will dies als Illusion dekonstruieren und erzählt deshalb auch brutal vom „Survival of the Fittest".  Ein Happyend gibt es in diesem rabiaten Spiel nicht. Die letzte Einstellung des Films ist an Harmlosigkeit zwar nicht zu überbieten. Und doch erzählt sie den Rest der Geschichte: Wir sind alle verloren.
Im wirklichen Leben könnte dies wohl nicht passieren, denn für den Umgang mit Mikroben haben die raumfahrenden Nationen bereits eine eiserne Regel entwickelt: Würden die Marssonden tatsächlich Spuren von Leben auf dem roten Planeten finden, würde dieses umgehend sterilisiert. In den Laboren der Erde würde man anschließend nur tote Mikroben untersuchen.

Noten: BigDoc = 4

Life – USA 2017 – Regie: Daniél Espinosa – Laufzeit: 104 Minuten – Kamera: Seamus McGarvey – D.: Jake Gyllenhaal, Rebecca Ferguson, Ryan Reynolds,  Hiroyuki Sanada, Olga Dihovichnaya, Ariyon Bakara.