Sonntag, 9. September 2018

Tom Clancy’s Jack Ryan -starker Agententhriller bei AMAZON

Die Romanfigur des Jack Ryan scheint eigentlich auserzählt zu sein. Zumindest im Kino. Bei Tom Clancy war nichts auserzählt. Sein Held wurde in seinen Romanen US-Präsident, am Ende ging sogar sein Sohn in den Außendienst, um die Welt zu retten. AMAZON hat nun den jungen Jack Ryan in den Mittelpunkt einer achtteiligen Serie gestellt. Experiment gelungen. 

Alec Baldwin spielte ihn 1990 in „The Hunt for Red October“. Harrison Ford verkörperte die Figur ikonisch und kämpfte in „Patriot Games“ und „Clear an Present Danger“ in den 1990er Jahren gegen die irische IRA und das kolumbianische Drogenkartell. Ben Affleck übernahm den Staffelstab 2002 in „The Sum of All Fears“ und machte seine Sache ganz gut, während Kenneth Branaghs 2014 entstandener „Jack Ryan: Shadow Recruit“ die Figur als Kind des 21. Jh. präsentierte, ohne damit allzu großen Erfolg zu haben. Nun ist der CIA-Analyst Jack Ryan wieder unterwegs und muss wieder einmal seinen sicheren Schreibtisch in Langley verlassen, um sich direkt an die Front zu begeben. Dass sich die Figur dabei an dem von Harrison Ford gespielten CIA-Agenten orientiert, ist kaum zu übersehen. Aber das ist auch gut so.




Jack Ryan jagt den neuen Bin Laden

In Langley ist Ryan (John Krasinski) als promovierter Finanzspezialist eher ein kleines Licht. Im Piloten der Serie gerät er gleich mit seinem neuen Chef James Greer (Wendell Pierce, „The Wire“) aneinander. Der hat seinen Posten als Station Chief in Pakistan verloren und wurde in die Zentrale strafversetzt. Später erfährt man auch, warum. Jack Ryan, der monatelang Geldflüsse in den Jemen akribisch analysiert hat, kann den zunächst sehr zögerlichen Greer aber davon überzeugen, dass der bislang unbekannte Terrorist „Suleiman“ eine gefährliche Terrororganisation aufbaut. Ryan ist davon überzeugt, dass etwas deutlich Gefährlicheres entsteht als Al-Kaida oder der IS. Allerdings ist er nicht sonderlich davon begeistert, zusammen mit Greer im Jemen Verdächtige zu verhören. Dort begegnet er unwissentlich Suleiman, der seine wahre Identität geschickt getarnt hat. Erst viel später begreift Ryan, wen er tatsächlich getroffen hat. Nun weiß er, mit wem er es zu tun hat.

Es beginnt eine globale Hetzjagd nach Mousa Bin Suleiman (Ali Suliman), der sich mit seinem Anschlag auf eine katholische Kirche in Paris als raffinierter und gnadenloser Stratege erweist. Ryan ist davon überzeugt, dass der Terrorist mehr will und den USA ein Anschlag in den Dimensionen von Nine Eleven bevorsteht.
 Doch Suleiman hat eine Schwachstelle. Seine Frau Hanin (Dina Shihabi) entfremdet sich von ihrem Mann und will ihn zusammen mit ihren Kindern heimlich verlassen. Die Flucht gelingt, aber Hanin kann nur ihre Töchter in Sicherheit bringen. Ihren Sohn Samir muss sie im Jemen zurücklassen. Es beginnt eine Jagd auf Hanin, an der sich auch Ryan und Green beteiligen werden. Ihr Wissen ist unbezahlbar. Die Ereignisse spitzen sich zu, als Suleiman in den USA ein mutiertes Ebola-Virus einsetzt, um den US-Präsidenten und hochrangige Regierungsmitglieder zu infizieren. Hinter diesem Plan verbirgt sich allerdings ein noch tückischerer Anschlag. Er bringt die USA in eine brisante Lage.



Etwas überkonstruiert, aber extrem spannend

„Jack Ryan“ ist eine rasant erzählte Terroristenhatz rund um den Erdball. Die acht Episoden wechseln rasch die Schauplätze und führen die Figuren nicht nur in den Jemen, sondern auch in die Türkei, den Irak und Syrien und nach Frankreich. Die Schauwerte sind beachtlich, die Serie ist allerdings nicht sonderlich innovativ, sondern folgt vertrauten konventionellen Erzählmustern. Auch das ist nicht schlecht, im Gegenteil.

Gearde wenn es kracht, ist die Handschrift von Executive Producer und Actionspezialist Michael Bay ist  erkennbar. Gelegentlich wirkt die Amazon-Serie aber etwas überkonstruiert und vorhersehbar. So ahnt man, dass die Ermordung eines Priesters in Paris lediglich der Vorbereitung eines ausgeklügelten Anschlags diente, der dann auch prompt während des Gottesdienstes für den Ermordeten stattfindet. Auch Jack Ryans Techtelmechtel mit der Epidemiologin Cathy Mueller (Abbie Cornish), die eine ausgewiesene Ebola-Expertin ist, führt wie erwartet dazu, dass Ryans Freundin prompt zu einem wichtigen Teil des finalen Plot Twists wird und fast ein weiteres Opfer Suleimans wird.
In jeder Episode gibt es mindestens eine deftige Actionszene, man kann durchaus die Uhr danach stellen. Raffinierte Cold Open darf man von „Jack Ryan“ zwar nicht erwarten, dafür aber eine straight erzählte Geschichte, die von Beginn an ihr enormes Spannungspotential voll entfaltet.

An der Entwicklung der Serie waren neben Michael Bay auch Bradley Fuller („The Last Ship“) und Showrunner Carlton Cuse („Lost“) sowie der Irakexperte Graham Roland (Autor für „Fringe“ und „Prison Break“) beteiligt. Auch John Krasinski („Detroit“, „A Quiet Place“) wird als Executive Producer gelistet. Nicht überraschend, denn Krasinski ist als Scriptwriter, Produzent und Regisseur im Business unterwegs.


Krasinski spielt die Hauptfigur angenehm sublim. Den Spagat zwischen Bürohengst und wehrhaftem Kämpfer im Außendienst stemmt er nicht, weil man ihm eine Backstory als Ex-Marine ins Script geschrieben hat, sondern weil er zwischen introvertierter Nachdenklichkeit und klaren moralischen Überzeugungen verortet wird und bei Prügeleien mehr einsteckt als er austeilt.
Von Wendell Pierce weiß man, was man zu erwarten hat: ein fettes Ego, einen Schuss abgebrühte Härte, gelegentlich auch etwas Zynismus, etwa wenn er den Novizen Jack Ryan in die Tricks und Taktiken der CIA einführt. Und da ist noch seine Verletzlichkeit, die mit seiner Vergangenheit zu tun hat und die ihn misstrauisch, aber nicht paranoid gemacht hat.
 Auch das kann Wendell Pierce gut.
Mit Abbies Cornish ist eine toughe Frau mit im Boot, aber das liegt derzeit im Trend und Cornish spielt die Medizinerin mit sehr viel Charisma und deutlich weniger Selbstzweifeln als ihr neuer Freund.
Ali Suliman (Paradise Now“, „The Kingdom“) als neuer Bin Laden ist dagegen eine echte Entdeckung. Das Script verlangte von ihm das Portrait eines Mannes, der nicht als menschenverachtendes Zerrbild präsentiert wird, sondern versucht, seine Unbarmherzigkeit und seine politischen und religiösen Pläne mit einem intakten und liebevollen Familienleben in Einklang zu bringen. Gut gehen kann das nicht, aber Ali Suliman brilliert mit einer eindrucksvollen Charakterstudie, die alle Paradoxien seines Lebens in einer Vision kanalisiert: der Vision eines islamischen Großreichs, für das Sunniten und Schiiten gemeinsam kämpfen müssen, um Würde und Gerechtigkeit zu erfahren. 



„Jack Ryan“ ist ein erstaunlich differenzierter Kommentar

Es ist aber nicht nur der Cast, der für die hohe Erzähldichte der Serie verantwortlich ist. „Jack Ryan“ besticht trotz der Vorhersehbarkeit einiger Handlungswendungen durch einen doppelten Erzählkniff – und wagt dabei auch ein erstaunliches Experiment. 

Zum einen wird die Figur des Terroristenchefs Suleiman nicht dämonisiert. In Flashbacks wird seine Geschichte beklemmend zusammengesetzt: Als Kind verliert er während eines Bombenangriffs der Amerikaner auf Beirut seine gesamte Familie, nur sein Bruder Ali überlebt. Trotz dieses Traumas will er in der westlichen Gesellschaft einen Platz finden.
 In einer exemplarischen Szene zeigt die Serie seine vergeblichen Versuche, als hochqualifizierter Bankexperte Fuß in der französischen Gesellschaft zu fassen. Aber weder seine expliziten Kenntnisse noch seine optimistische Einschätzung des Online-Bankings können in einem Bewerbungsgespräch überzeugen. Suleiman ist mit seiner Expertise seiner Zeit zwar voraus, kann aber die stockkonservativen Banker nicht überzeugen, die die Bedeutung des Internets für das Bankenwesen hoffnungslos unterschätzen. Auch wegen seiner Herkunft hat Suleiman nicht die geringste Chance, in der elitären Führungskaste der französischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Als er unter unglücklichen Umständen in einem französischen Gefängnis landet, findet ein Change of Mind statt: Suleiman wird zum radikalen Islamisten. Eine clevere Backstory.

Ein weiterer narrativer Kniff ist deutlich riskanter. Erzählt wird eine Geschichte, die mit der Haupthandlung kaum etwas zu tun hat und sich über mehrere Episoden verteilt - erst die Auflösung bringt Klarheit. Sie handelt von dem amerikanischen Drohnen-Pilot Victor Polizzi (John Magoro), der Tag für Tag eine Kill List abarbeitet und immer mehr mit Zweifeln zu kämpfen hat. Von seiner Kollegin erhält er für jeden Abschuss eine 1-Dollar-Note: die beiden wetten beim Töten. Polizzi will aber das dreckige Geld loswerden. Im Casino geht er beim Roulette absurde Risiken ein. Das Ergebnis: er gewinnt und gewinnt. Selbst ein obskures Sado-Maso-Pärchen, das ihn missbraucht und zusammenschlägt, will sein Geld nicht anrühren. Als
Polizzi erfährt, dass er wegen eines simplen Identifikationsfehler einen unschuldigen Familienvater gekillt hat, ist das Maß voll. Polizzi bricht er in den Irak auf, um sich bei der Familie des Getöteten zu entschuldigen. Dabei erlebt er eine Überraschung, die ihn zwar nicht vollständig von seiner Schuld befreit, aber ihn erkennen lässt, dass Täter und Opfer sich näherstehen, als man erwartet.

Polizzis Roulettespiel kann man durchaus als Parabel verstehen. Die außenpolitischen und militärischen Aktionen der Amerikaner mitsamt ihrer Drohnen-Strategie nach Nine Eleven sind im Kino zur Genüge durchdekliniert worden, zum Beispiel in dem ausgezeichneten „Eye in the Sky“, natürlich auch in „Homeland“. Aber ihre Fragwürdigkeit wird in „Jack Ryan“ so intelligent serviert, dass die moralischen Krisen und die emotionale Selbstwahrnehmung der Akteure eine überdeutliche und auch deprimierenden Klarheit gewinnen. Mit dem Hurra-Patriotismus von Tom Clancy kann die Serie nichts anfangen.
„Tom Clancy’s Jack Ryan“ ist jedenfalls nicht vorwerfen, dem islamistischen Terrorismus mit einer simple Schwarz-Weiß-Schablone zu begegnen. So zeigt die Serie, dass es Helden im Kampf gegen den Terrorismus schwer haben, richtige Helden zu sein. Die historischen Verwerfungen sind zu groß, den global organisierten islamistischen Terror wird man nicht so schnell los, die eigenen historischen Fehler darf man nicht ausblenden.

„Tom Clancy’s Jack Ryan“ hat aber keine durchgehend politische Agenda. Wem die Geschichte des Nahen Osten schnurzpiepegal ist, bekommt einen Unterhaltungsartikel, der dank seiner ausgetüftelten Spannungsbögen blendend unterhält. Es gibt es reichlich pittoreske Schauplätze, die Action ist beinhart und außergewöhnlich gut gefilmt. Insgesamt erreichen die Story und ihre ästhetische Umsetzung Kinoqualität (Amazon bietet die Serie auch in 4K an). Da auch der Cast restlos überzeugen kann, darf man optimistisch sein: hält die Serie auch in der zweiten Staffel ihr Niveau, dann wird das Revival einer ikonischen Figur des Agententhrillers mit Sicherheit zu einem Serien-Highlight, das nicht so schnell verschwinden wird. So gut wie „Homeland“ ist „Tom Clancy’s Jack Ryan“ allemal.

 Note: BigDoc = 1,5


Tom Clancy’s Jack Ryan – Amazon Video (acht Episoden ab August 2018) – Executive Producer, Showrunner: Carlton Cuse, Graham Roland, Daniel Sackheim, Michael Bay, Brad Fuller, John Krasinski – D.: John Krasinski, Wendell Pierce, Abbie Cornish, Ali Suliman, Dina Shihabi u.a.