Sonntag, 26. Januar 2020

Picard – die CBS-Serie ist angenehm konservativ

Das Alte ist das bessere Neue. Gut, Zweifel sind berechtigt, auf jeden Fall steckt in diesem Aphorismus ein Stück ehrlicher Emotion – es ist der Wunsch nach dem Vertrauten, das ein klein wenig neu sein darf. 
Viele Trekkies scheinen nach zwei Staffeln „Discovery“ genau dieses Gefühl herbeigesehnt zu haben. Dies zeigen auch die überdeutlich positiven Stimmen nach der ersten Episode der neuen Star Trek-Serie „Picard“. Aber eins muss am Ende stimmen: das neue Alte muss auch gut sein.


„Picard“ macht alles anders als „Discovery“

„If nothing else, Star Trek: Picard is the best transitional show we could have asked for. It manages to give older viewers a chance to travel again with one of their most beloved characters (who hasn’t missed a step in the last two decades) while also managing to navigate the modern landscape’s storytelling style much better than Discovery ever has“, schrieb Merrill Barr auf Forbes.com.

Ähnlich positiv fielen auch andere Reaktionen aus. Zwei Dinge wurden aber deutlich: zum einen gibt es so gut wie kein Statement, das ohne den Vergleich mit „Star Trek: Discovery“ auskommt, zum anderen spürt man förmlich die Erleichterung darüber, dass „Picard“ alles anders macht als STD. 

Dabei sind einige Macher von „Discovery“ auch die Macher von „Picard“! 

Zum Beispiel Alex Kurtzman, der sozusagen der Mastermind für das Franchise ist. Akiva Goldsman hat als Scriptwriter und Regisseur für STD gearbeitet. Kirsten Beyer ist eher als Koordinatorin für die Trek-Comics bekannt, während Pulitzer-Preisträger Michael Chabon als Schriftsteller und nur gelegentlich als TV-Autor bekannt wurde. Sein Roman „Wonder Boys“ wurde im Jahr 2000 von Curtis Hansen mit Michael Douglas, Tobey McGuire und Robert Downey Jr. verfilmt. Chabon gilt als Experte für Worldbuilding, wird aber in der zweiten Staffel von „Picard“ nicht mehr dabei sein. Nicht mehr dabei sind schon jetzt u.a. die STD-Showrunner Gretchen J. Berg und Aaron Harberts, deren Kind STD ist. Trotzdem reagierten einige Fans nervös.
 

Über etwas sollte man sich deshalb klar sein: In einem Franchise gibt es keine Zufälle, schlimmstenfalls Irrtümer. „Discovery“ ist genau das geworden, was es werden sollte: ein kinoreifes Effektgewitter mit Paralleluniversen, Time Travels und ko(s)mischen Verschwörungen. Offenbar glaubte man bei CBS, nur so junge Zuschauer für das Roddenberry-Universum gewinnen zu können, also eine vermeintlich ADHS-gepeinigte Zielgruppe, der man unterstellte, dass sie sofort abschaltet, wenn nicht alle zwei Minuten eine Galaxis explodiert.
Entsetzt erkannte man im Laufe der folgenden Monate bei CBS All Access, dass es da draußen auch Menschen gibt, die richtige Geschichten erzählt bekommen wollen.
Also solche, die man nicht schon am nächsten Tag vergessen hat. Und Fans, die eine genaue Vorstellung davon haben, was Star Trek ist und was nicht.  So entwickelte sich bei CBS und Alex Kurtzman offenbar die Einsicht, das Neue mit dem Tradierten auszubalancieren.


Galaktische Flüchtlingsprobleme und irre Androiden

Dass man für das Feintuning der neuen Geschichte einen Greis benötigte, löste bereits im Vorfeld Begeisterung und Überraschung aus. Begeisterung, weil Jean-Luc Picard wieder an Bord ist, der bei Trekkies überaus beliebte Captain aus „The Next Generation“. Überraschung, weil Picard laut offizieller Timeline 2305 geboren wurde. „Remembrance“ (dts. Erinnerung), die erste Episode von „Picard“, spielt 2399. Die Hauptfigur ist also 94 Jahre alt. Gespielt wird der greise Captain erneut von dem fast 80-jährigen Patrick Stewart. Ganz ehrlich: wer dies ohne den Mythos von Star Trek und ohne die -zig Millionen Trekkies zu pitchen versucht hätte, wäre überall hochkant rausgeflogen.

Aber es funktioniert! „Picard“ nimmt sich ganz old-fashioned Zeit für die Figurenentwicklung, ohne dabei auf Action zu verzichten. Man erfährt einiges über Picards Vergangenheit, dessen TNG-Abenteuer zwischen 2063 und 2074 stattfanden. Picard avancierte in den folgenden Jahrzehnten zum Admiral, dann aber explodierte Romulus, die Heimatsonne des romulanischen Imperiums, in einer Supernova und Millionen Romulaner begaben sich auf die Suche nach einer neuen Heimat. Picard, der entschlossene Humanist, unterstützte die ehemaligen Feinde, die nun Flüchtlinge waren, musste dann aber feststellen, dass Starfleet nicht das geringste Interesse an einer humanitären Lösung hatte. Picard überwarf sich mit dem Kommando und kam einer unehrenhaften Entlassung nur mit einer schnellen Demission zuvor.
Fast zeitgleich wurde dann der Mars durch eine überraschende Attacke künstlicher Lebensformen, den „Synthetics“, völlig zerstört. Starfleet stellte daraufhin die Herstellung dieser Androiden ein und verbot die Nutzung von KI.


Also weht kräftig der Zeitgeist durch die Serie. Picard als verhinderter Flüchtlingshelfer mag ein Seitenhieb gegen die Trump-Administration sein, aber so kurz muss man nicht springen. Allein schon die Demontage des ethischen Codex, den sich Gene Roddenberry für sein Universum ausgedacht hatte, reicht als Referenzrahmen und ist spannend genug.

Star Trek „was never about how humanity becomes perfect; it was always about how humanity suffers and endures and works to overcome all that ist inherently destructive in our nature“, erklärte Michael Chabon den Hintergrund des neuen Plots.


Erinnern wir uns: auch in den klassischen Serien war Picards Verhältnis zu Starfleet nicht immer auf der Sonnenseite. Aber nie so extrem gestört wie es in „Remembrance“ erzählt wird. Der Ex-Admiral verbrachte nach dem Bruch viele Jahre auf seinem französischen Weingut in La Barre, Jahre, die er als verlorene Zeit betrachtet. Immer wieder plagten ihn Träume, in denen Data (wieder dabei: Brent Spiner) auftaucht – plausibel, denn „Picard“ spielt in der Hauptzeitlinie und nicht etwa in der von J.J. Abrams ausgedachten Kelvin-Zeitlinie. Und in der normalen Timeline opferte Data in „Nemesis“ sein Leben für die Mission. Dies hat Picard nie so recht verwunden.
Komisch nur, dass Data in Picards Träumen gelegentlich völlig anders aussieht als früher. Altern Androiden etwa auch oder sind Picards Träume etwa invasive Visionen?


Spannend ist auch das zweite Thema: die retro-konservative Reaktion auf die fehlerhaften Synthetics. Starfleet ohne eine universal gültige ethische Agenda ist schon happig. Und nun auch noch die fehlende Fähigkeit, gravierende technologische Probleme zu lösen? Noch ein Bruch mit dem Kanon?


Das neue Alte scheint gut zu sein

Diese Plotlines wirken zum Glück nicht aufgesetzt. 
So taucht mit der jungen Dahj (Isa Briones) in Picards Altersruhesitz eine junge Frau auf, die etwas mit Datas Erbe zu tun haben könnte. Dahj hat gerade den Mordanschlag eines romulanischen Killerkommandos überlebt - dank exzellenter Nahkampftechniken, Techniken, von denen sie nicht wusste, dass sie sie besitzt. Nun bittet sie Picard um Hilfe. Der findet in seinem Starfleet-Archiv heraus, dass Data vor dreißig Jahren ein Gemälde mit dem vielsagenden Namen „Daughter“ gemalt hat – und die Frau in dem Bild ist Dahj! 
Wenig später erfährt Picard von der Technik des Fraktalen Neuralen Klonens, das Androiden einen organischen Körper mit einem positronischen Gehirn verschafft. Stammt Dahj aus dieser Baureihe?
Dass zumindest der brillante Verstand des beliebten Androiden in „Picard“ eine wichtige Rolle spielen wird, zeigen auch die zahlreichen Easter Eggs in der ersten Episode, nicht nur die Pokerrunde am Anfang der ersten Episode.


Noch ist nicht klar, ob „Picard“ eine gute Serie werden wird. Das ruhige Erzähltempo und der erkennbare Wille, eine psychologisch plausible Geschichte ohne Sporenantrieb und durcheinandergewürfelte Zeitlinien zu erzählen, ist bereits jetzt zu erkennen. Und Patrick Stewart fasziniert in seiner Paraderolle auch nach vielen Jahren. In vielen Teilen erreicht die Serie auch deshalb die Tonalität der alten Serie. 

Die Serienmacher machen allerdings auch klar, dass „Picard“ kein Nostalgiemuseum sein soll. Der Main Title ohne Enterprise wird zwar einige Fans wütend machen, aber er ist genauso überfällig wie eine moderne Kameraführung und ein dynamischer Bildschnitt. Es wird zwar weitere Gastauftritte beliebter Figuren wie Jonathan Frakes geben (der steht als Regisseur lieber hinter der Kamera, auch in
„Picard“), aber auch eine komplett neue Crew.

„Picard“ ist also kein Antidot, das „Discovery“-Geschädigten verabreicht wird, sondern eine Geschichte, die man nun wirklich nicht pausenlos vergleichen muss. Sie besitzt eigene Substanz. Und es wird auch wieder ins All gehen - da wird man nicht auf die zweite Staffel warten müssen. Die hat CBS bereits bestellt. Patrick Stewart ist daher nur eins zu wünschen: „Live long and prosper!“


Star Trek: Picard – USA 2020 – Network: CBS All Access – Streaming: Amazon Prime Video – Showrunner: Alex Kurtzman, Kirsten Beyer, Michael Chabon, Akiva Goldsman – 10 Episoden – D.: Patrick Stewart, Isa Briones, Brent Spiner, Harry Treadaway, Alison Pill u.a.