Mittwoch, 1. Januar 2020

Best of 2019

Ca. 65 Filme wurden im vergangenen Jahr gesichtet. Das ist eine gute Bilanz. Die Bedeutung von Serien nahm wie erwartet nicht ab. Dies spiegelte auch die hohe Anzahl von Rezensionen wider. Es wird Zeit, darauf zu reagieren. Der Filmclub wird deshalb in der Jahresbilanz sowohl die besten zehn Filme als auch die besten zehn Serien vorstellen.
Bester Film des Jahres wurde Quentin Tarantinos Once Upon A Time In Hollywood. Beste Serie ist Chernobyl - allerdings als primus inter pares, denn vier weitere Serien entpuppten sich ebenfalls als Highlights des seriellen Erzählens.




Die besten Filme 2019

 



Nr. 1: „Tarantino, der mit seiner Hommage die Ära zwischen dem Ende des klassischen Studiosystems, der zunehmenden Bedeutung des Fernsehens und dem „New Wave“-Kino der 1970er-Jahre in ein glanzvolles Licht getaucht hat, beschwört mit seinem Filmende noch einmal die Macht des Films herauf, die sogar die Realität bezwingen kann – vorausgesetzt man besitzt einen funktionstüchtigen Pitbull“, schrieb ich in meiner Kritik. Dem ist nichts hinzuzufügen. Once Upon A Time In Hollywood  kann man auch fünfmal sehen, ohne dass das Vergnügen abnimmt. Mehr...

Nr. 2:
  Dass das deutsche Kino brillant, witzig und gleichzeitig intellektuell sein kann, bewies der Brecht-Kenner Joachim A. Lang mit seiner opulenten Reflexion über Brechts Dreigroschenoper. Was einige Kritiker leider störte, die meisten aber nicht. Zum Glück. Mackie Messer: Brechts Dreigroschenfilm zeigt, dass für den deutschen Film Hoffnung besteht.  Mehr...

Nr. 3:
Jacques Audiards Neo-Western The Sisters Brothers erinnerte mit seinen vielen Dialogen ein wenig an Tarantino, aber seine Geschichte, die von zwei ungleichen Killer-Brüdern erzählt, endet mit einem Scheitern, das sich Tarantino nicht gestatten würde. Egal, für den außergewöhnlichen Film und den blendenden Cast gab es für Audiard den Silbernen Löwen. Mehr...

Nr. 4:
Die Frau, die vorausgeht lautet der deutsche Verleihtitel eines Western, der von der Geschichte der schweizerisch-amerikanischen Künstlerin Caroline Weldon erzählt. Die traf 1889 auf den legendären Lakota-Häuptling Sitting Bull, um ihn zu porträtieren. In Susanna Whites Film Woman Walks Ahead wird sie eindrucksvoll von Jessica Chastain gespielt, Michael Greyeyes steht ihr als Sitting Bull nicht nach. Eine schicksalhafte Begegnung, die auf realen Begebenheiten basiert und das letzte Kapitel der Unterwerfung der indigenen Völker in Nordamerika nachzeichnet. Die Kritiker waren gespalten, wir nicht.

Nr. 5: Mit RGB - Ein Leben für die Gerechtigkeit landete (endlich) mal wieder ein Dokumentarfilm in den Charts. Der für den Oscar 2019 u.a. als Bester Dokumentarfilm nominierte Film würdigt die Lebensleistung der 1933 geborenen Juristin Ruth Bader Ginsburg, die als Beisitzende Richterin am Surpreme Court zeitlebens für Frauenrechte kämpfte und bis heute ein Dorn im Auge Donald Trumps geblieben ist. Betsy West und Julie Cohen ist ein spektakulärer Film gelungen, der viel über Recht und noch mehr über moralische Verantwortung erzählt und in seiner Authentizität die fiktionale Version On the Basis of Sex (Die Berufung) von Mimi Leder übertrifft. Dort spielt Felicity Jones die couragierte Frauenrechtlerin recht gut, kommt mit dem Original aber nicht mit.

Nr 6: Pures Vergnügen war der Animationsfilm Spider-Man - A New Universe von Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rothman. Eigentlich müsste der Film Spider-Men heißen, denn das Original wird gleich zu Beginn umgebracht, was zahlreiche alternative Versionen aus alternativen Universen auf den Plan ruft, um die freundliche Spinne zu rächen. Visuell spielt der Film so manche Marvel-Produktion an die Wand. Witzig und schlagfertig ist er auch. In der Originalfassung (die man sich unbedingt anschauen sollte) verleihen u.a. Mahershala Ali, Chris Pine, Nicolas Cage, Liev Schreiber und Oscar Isaac den Figuren ihre Stimme. Der Animationsfilm wurde mit Preisen überhäuft, u.a. bei den Golden Globe Awards 2019.

Nr. 7: Leave No Trace ist ein Independent Movie, der zeigt, wie wichtig es ist, Filme abseits des Mainstreams zu produzieren. Bob Foster spielt den traumatisierten Kriegsveteranen Will, der mit seiner 12-jährigen Tochter Tom (wunderbar: Thomasin McKenzie) für einige Jahre in Wäldern Oregons untertaucht. Als beide von den Sozialbehörden aufgegriffen werden, muss sich Tom entscheiden, welche Art von Leben sie führen Will. Auch diese Geschichte basiert auf realen Begebenheiten. Ein faszinierender und spröder Film. Das Leben in den Wäldern wird von der Regisseurin Debra Granik nicht romantisch verklärt, enthält aber gerade wegen der naturalistischen Genauigkeit des Films ein verführerisches Freiheitsversprechen. Mehr...
Nr. 8: Wackersdorf werden viele ältere Anti-Atomkraft- und Umweltaktivisten gut kennen. 1980 sollte in der gleichnamigen Gemeinde eine Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden. Oliver Haffner stellt in seinem Film aber nicht die Umweltaktivisten in den Mittelpunkt, sondern den von Johannes Zeiler gespielten SPD-Landrat Hans Schuierer, der vom Saulus zum Paulus wird und gegen den Widerstand der Strauß-Regierung und seiner eigenen Partei erbittert gegen die Anlage kämpft. Den als Kommunisten und Terroristen bekämpften Landrat hat es tatsächlich gegeben. Oliver Haffner zeigt unter Verwendung von Dokumentarmaterial, mit welcher Entschlossenheit das System gegen Abweichler vorgeht. 40 Jahre später machte die Geschichte des bayerischen Dorfs angesichts der aktuellen Umweltprobleme mehr als nur nachdenklich.

Nr. 9:
The Hate U Give floppte an der Kasse, wurde jedoch von den Kritikern gefeiert. In George Tillmans Film spielt Amandla Stenberg grandios ein junges farbiges Mädchen, dessen Freund wegen einer Nichtigkeit von einem weißen Cop erschossen wird.
Nr. 10: Der Spielfilm von Alfonso Cuáron war Anfang des Jahres nicht nur wegen seiner filmischen Qualitäten ein heißes Thema, sondern auch, weil Cuárons Liebeserklärung an seine Kindheit in Mexico für Netflix der Versuch war, abseits der großen Leinwände Kino als Premium-Streaming-Produkt zu etablieren. Das wurde erbittert diskutiert, aber es änderte wenig daran, dass Roma zu Recht mit Preisen überhäuft wurde: drei Oscars, der Goldene Löwe in Venedig, zwei Golden Globes. Die hat hat er aufgrund seiner Ästhetik der entschleunigten Schwarz-Weiß-Bilder mehr als verdient. Mehr...

 
Die besten Serien 2019



Die Serien wurden nicht im Filmclub gesichtet, die Noten gehen also auf mein Konto. Deshalb nur eine kurze Zusammenfassung. 


Chenobyl hat mich wegen der brutalen Authentizität beeindruckt, mit der Greg Mazin vom Reaktorunfall in Tschernobyl erzählt. Was man Jahrzehnte zuvor in den Medien nur als Außenansicht wahrgenommen hatte, wird in der Serie so intensiv und körperlich erfahrbar dargestellt, dass man glaubt, selbst inmitten des allgemeinen Wahnsinns von Leugnung und Verdrängung zu sein. Bei den Golden Globes 2020 wurde Chernobyl beste Miniserie.

Mindhunter hat neue Maßstäbe in einem scheinbar abgegriffenen Genre gesetzt. Die Begegnung von Profilern mit den brutalsten Serienmördern der US-Geschichte wird mit einer psychologischen Intensität erzählt, die von allen Staffeln auf hohem Niveau durchgehalten wird. Für Netflix ein Glücksgriff. Für die Zuschauer auch.

The Handmaid's Tale Season 2 konnte am erst Anfang des Jahres auf DVD und Bluray sehen. Season 3 (Platz 10) kam vor kurzem auf den Markt. Die Telekom hat exklusiven Zugriff, wer andere Streaming-Dienste gebucht hat, musste also warten. Die dritte Staffel kann nicht ganz mit der zweiten mithalten, war aber immer noch gut genug, um sich einen Platz in den Top Ten zu erobern. Die Macher werden aber weiterhin mit dem Problem kämpfen müssen, dass die Geschichte im Wesentlichen erzählt ist und man nun nur noch den richtigen Moment erwischen muss, um ein vernünftiges Ende nicht zu verpassen.

Mars Season 2
: Die semi-fiktionale Serie von National Geographic ist ein cleverer Mix aus spannender Handlung und dokumentarischen Elementen. Überleben auf dem Mars? Ja, das ist möglich, aber es wirft Fragen auf, die sehr viel mit politischen und ökonomischen Interessen zu tun haben. Reflektierter und realistischer als in Mars wurde Science-Fiction nur selten erzählt. Um so bedauerlicher ist, dass es wohl keine 3. Staffel geben wird.

Ebenfalls die Note 1 bekam die Geschichte von einer Blut weinenden Madonna. Francesco Munzi ist mit Ein Wunder tatsächlich das Wunder gelungen, eine subtile Story zu erzählen, die den Mythos nicht entzaubert, aber auch keine religiöse Science-Fiction daraus macht. Das Musikkonzept ist das eigenliche Geheimnis der italienischen Serie: Es ist so brillant, dass selbst The Handmaid's Tale und Watchmen nicht mithalten können. Und das heißt schon einiges.

Auch mit Black Earth Rising hat Netflix in Koproduktion mit BBC Two in diesem Jahr ein weiteres Highlight präsentiert, das aber viele Zuschauer schlichtweg überfordern wird. Die Hintergründe des Völkermords in Ruanda, bei dem 1994 große Teile der Tutsi-Bevölkerung von den Hutu barbarisch umgebracht wurden, ist bis heute ein hochkompliziertes Thema geblieben. Auch weil die Rolle Europas und namentlich die der französischen Regierung nicht restlos aufgeklärt wurden. Hugo Blick packt dies in einen Polit-Thriller, der genretypisch mit noch mehr Rätseln und unbeantworteten Fragen aufwartet. Etwa der nach der Heilung einer traumatisierten Nation. In meiner Rezension habe ich darauf hingewiesen, dass man ohne explizite historische Kenntnisse der Serie nur schwer folgen kann. Wer es dennoch versucht, wird mit einigen nicht leicht zu ertragenden Einsichten über die Natur unserer Spezies konfrontiert. Viele
möchten dies sicher nicht so genau kennenlernen.

John Goodman kann einen Schurken so gut spielen, dass man ihn zu mögen beginnt. In der Showtime-Serie The Loudest Voice spielt Russel Crowe den FOX-Macher Roger Ailes, der mit Fox News Geschichte schrieb und aufgrund der sexuellen Nötigung einiger Mitarbeiterinnen stürzte. Ailes hatte zuvor allen, die extrem rechts sind und jene hassen, die links und liberal sind, eine laute Stimme gegeben und dabei hemmungslos Fakten erfunden. Die Showrunner Tom McCarthy und Alex Metcalf lassen keinen Zweifel daran aufkommen, auf welcher Seite sie stehen. Gut, dass Ailes von dem bei den Golden Globes 2020 als Best Actor ausgezeichnete Crowe dann doch nicht als Monster gespielt wird, sondern als das was er ist und war: ein cleverer und charismatischer Medienmacher, ein sexistischer Macho und eine extrem narzisstische Persönlichkeit. Also alles Eigenschaften, die auch heute noch die Vorausssetzungen dafür sind, um an die Hebel der Macht zu gelangen. Gruselig.

Damon Lindelofs Watchmen ist sicher die ambitionierteste Serie des Jahres. Wer Westworld für kompliziert hielt, wird in der Fortsetzung der Comic-Geschichte von Alan Moore auf eine noch härtere Probe gestellt. Aber Lindelofs Serie brilliert visuell, auch Score und Soundtrack setzen Maßstäbe. Meine Rezension hat absichtlich die letzte Folge ausgespart. Und das war auch gut so, weil Lindelof sich erneut als Meister des schlechten Endes entpuppt. Und so endet die Serie, die nach Aussagen Lindelofs nicht fortgesetzt werden soll, mit einem schrecklichen, beinahe boshaften Cliffhanger. Trotzdem ist Watchmen ein Must-See.

Über Game of Thrones lässt sich viel erzählen. In der jüngeren Seriengeschichte gelang es nur The Walking Dead, einen noch größeren Hype zu erzeugen und danach einen noch dramatischeren Absturz hinzulegen. Die achte und letzte Season von GoT empörte global Millionen Fans. Ich kann allen nur dazu raten, sich alles in einem Rutsch noch einmal anzuschauen. Dann bekommt alles etwas mehr Sinn. Trotzdem: David Benioff und D.B. Weiss haben als Showrunner nicht alternativlos gehandelt. Dem fulminanten mehrjährigen Spektakel hätte ein Happy-End keineswegs geschadet. Und einige zusätzliche Episoden auch nicht. Aber Benioff und Weiss wollten unbedingt Star Wars machen. Dort sind sie nun aber raus ...

Das waren die Top Ten. Dauerbrenner wie The Walking Dead, das sich in Staffel 9 mit guten Drehbüchern zurückmeldete, oder ambitionierte Projekte wie der Star Trek-Relaunch Discovery landeten nur unter ferner liefen. Das gilt auch für True Detective Season 3. Die Anthologie-Serie scheiterte erneut daran, dass die erste Staffel so unglaublich gut war. 


Ich wünsche allen Lesern ein spannendes und ereignisreiches Film- und Serienjahr 2020.