Montag, 10. Februar 2020

Ad Astra

„Zu den Sternen“ heißt der deutsche Verleihtitel. Er vermittelt sehnsuchtsvoll das Appellative, das Science-Fiction so wunderbar und auch naiv erscheinen lässt. Beyond frontiers könnte man auch sagen, Grenzen überwinden, das Neue als Herausforderung annehmen. Oder Astronomy is looking up, wie man es im Labor der Astronomin Ellie“ Arroway (Jodie Foster) in Robert Zemeckis „Contact” lesen kann.

Der Film von James Gray lässt dagegen nur wenig Raum für Optimismus und Utopien. Er erzählt stattdessen davon, dass der Mensch auf der Reise zu den Sternen auch immer sich selbst mitnimmt. Und dass er deshalb besser zu Hause bleiben sollte. DVD und Bluray liegen seit dem 6. Februar vor.




Die Geschichte schreit nach einem Psychiater

In „Star Trek“, jedenfalls in den klassischen Serien des vergangenen Jahrhunderts, hatten die Sternenforscher die Philosophie Gene Roddenberrys im Gepäck. Auf der Erde, so wollte es Roddenberry, sind alle Probleme gelöst. Hunger, Kriege, soziale Spannungen gibt es nicht mehr. Dramatisch wird es, wenn man auf die Borg trifft, die interstellaren Bösewichter, oder auf Romulaner. Und gelegentlich kracht es auch zwischen den verschiedenen Spezies, die sich in der „Föderation“ vereint haben. Aber die menschlichen Konflikte, die in so einer Zukunft übriggeblieben sind, werden mit einer Moralität bewältigt, die zwar Raum für Zweifel lässt, aber immer das Gute im Menschen siegen lässt. Die „unendlichen Weiten“ wurden nicht mit Entsetzen wahrgenommen, sondern mit furchtlosem Staunen.

In der gerade veröffentlichten Bluray des Films von James Gray muss man nur genau ins sehr gute Bonusmaterial hineinschauen, um zu erfahren, dass derartige Erwartungen an eine utopische Zukunft nicht gerechtfertigt sind. Raumfahrt ist eine Reise ins Nichts, eine deprimierende Angelegenheit, bei der es nichts zu entdecken gibt. Und wer dennoch fliegt, wird mit Einsichten konfrontiert, die depressiv machen.
Mit dem Profil einer schizoiden Persönlichkeitsstörung habe man sich beschäftigt, erklären die Macher von „Ad Astra“, um zu zeigen, was Roy McBride (Brad Pitt) in tiefster Seele beschäftigt. Im Off erzählt die Hauptfigur dann dem Zuschauer von seiner eiskalten Ruhe, dem niedrigen Ruhepuls, der Fokussierung auf die Mission, die keine Nebensächlichkeiten zulässt, und vom Ausblenden des Überflüssigen.
Aber dieser Astronaut, der gleich zu Beginn einen beinahe tödlichen Unfall dank seiner Coolness überlebt, ist ein Gepeinigter, der auch davon berichtet, dass er beziehungsgestört ist, keine Intimität zulassen kann und überhaupt nur sich selbst traut. Und je länger seine Reise dauert, desto qualvoller erscheinen ihm seine Defizite. Der Weg zur Selbsterkenntnis kann eigentlich nur durch Erlösung ein gutes Ende finden. Offenbar ist Roy McBride nur deshalb Astronaut geworden, um sich da draußen einsam und in aller Ruhe mit seinen Gespenstern zu beschäftigen.


In „Ad Astra“ geht es darum, dass Science-Fiction lediglich den Hintergrund für einen klassischen Konflikt abgibt, nämlich dem zwischen Vater und Sohn, und der schreit förmlich nach einem Psychiater. Denn Roys Vater Clifford McBride (Tommy Lee Jones) hat seine Familie und damit auch seinen Sohn verlassen, um in der Nähe des Neptuns ohne physikalische Beeinträchtigungen in die Tiefen des Alls zu schauen. Seine Mission: auf fremden Welten nach intelligentem Leben zu suchen. Und dieser Clifford McBride ist nicht nur der Held seiner Generation, verehrt und vergöttert, sondern offenbar auch ein Arschloch. Wenn Vater und Sohn sich am Ende begegnen, wird der greise Astronaut, der bereits vor Jahrzehnten seine rebellische Besatzung umgebracht hat, seinem Sohn lapidar erklären, dass er in all den Jahren nicht einen einzigen Gedanken an seine Familie verschwendet hat. Nicht nur in dieser Szene wird einem die Deutungsanleitung für den von Brad Pitt grandios gespielten Helden auf dem Silbertablett serviert. Ein Mark Watney ist er nicht.
Aber in „Ad Astra“ geht es auch um die Rettung der Welt. James Grays Film spielt in einer Zukunft, von der uns 100 Jahre trennen. Die Menschheit hat die Raumfahrt weiterentwickelt, die US-amerikanische Weltraumbehörde SpaceCom hat den Mond ist erschlossen, zum Mars ist es auch nicht weit. 16 Jahre zuvor war Clifford McBride mit einem Raumschiff des Lima-Projekts aufgebrochen, dann verschwand das Raumschiff spurlos. Nun wird die Erde aber von elektromagnetischen Strahlungsstürmen heimgesucht, die vermutlich von freigesetzter Antimaterie ausgelöst worden sind. Und Clifford McBrides Schiff hatte einen Anti-Materie-Antrieb. Nun soll sein Sohn Roy in geheimer Mission zum Mars reisen, um von dort aus Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen, der offenbar doch nicht tot ist. Falls der die unheilvollen Antimaterie-Reaktionen nicht beenden kann oder will, muss er beseitigt werden. Als Roy bei der Kontaktaufnahme zu improvisieren beginnt, löst er eine Kette von letalen Ereignissen aus. Am Ende fliegt er allein zum Neptun, aber allein kann er ja am besten.



Ein nüchternes Bild der Welt in einem schrecklichen Kosmos

„Ad Astra“ ist schnell mit Filmen wie „Interstellar“ verglichen worden, auch mit Joseph Conrads „Herz der Finsternis.“ Doch der Vergleich mit Conrad gehorcht eher dem Drang nach einer topologischen Zuordnung. Er übersieht, dass Conrads Novelle die pechschwarze Hölle des Kolonialismus im Sinne hatte. Gewisse Parallelen gibt es durchaus, denn Marlows 800 Meilen lange Flussreise könnte man mit dem Flug zum Neptun vergleichen. Auch die Vermutung, dass der legendäre Clifford McBride am Ende seiner letzten Reise dem Wahnsinn verfallen ist, deutet Parallelen zu der Figur des Kurtz an, dessen exaltierten Wahnsinn Francis Ford Coppola in „Apocalypse Now“ in die Bilder eines höllischen Infernos eintauchte. Aber Conrad verarbeitete seine Erfahrungen in Belgisch-Kongo, Coppola reflektierte den Vietnam-Krieg und Buch und Film erzählten eher nicht von der Suche nach dem verlorenen Vater. Schon eher ist der nüchterne, desillusionierende Erzählduktus von „Ad Astra“ mit der Verfasstheit der Figuren in Stanislaw Lems „Solaris“ zu vergleichen. Nur mit dem Unterschied, dass Lem seinen Figuren keine Erlösung zugesteht, nur ein Fünkchen Hoffnung.
„Wir brechen in den Kosmos auf, wir sind auf alles vorbereitet, das heißt, auf die Einsamkeit, auf den Kampf, auf Martyrium und Tod. Aus Bescheidenheit sprechen wir es nicht laut aus, aber wir denken uns manchmal, dass wir großartig sind. Indessen, indessen ist das nicht alles, und unsere Bereitschaft erweist sich als Theater. Wir wollen gar nicht den Kosmos erobern, wir wollen nur die Erde bis an seine Grenzen erweitern (…) Wir halten uns für die Ritter vom heiligen Kontakt. Das ist die zweite Lüge. Menschen suchen wir, niemanden sonst. Wir brauchen keine anderen Welten. Wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen“, resümiert der Kybernetiker Snaut in Lems Roman. Das entspricht in etwa der Aussage, die „Ad Astra“ auf einem deutlich niederschwelligeren Niveau verhandelt.

Trotzdem muss man dem Film von James Gray eine singuläre Qualität zusprechen, die von einem Vergleich mit anderen Science-Fiction-Filmen eher verdeckt wird. Man erkennt diese Qualität bei genauem Hinsehen, aber vieles ist versteckt und muss aufgespürt werden. Etwa die Bedeutung der penetranten psychologischen Untersuchungen, denen sich die Astronauten ständig unterziehen müssen. Ihre Absurdität wird deutlich, wenn selbst die intimsten Geständnisse von einer blechernen Computerstimme lediglich in zwei Kategorien einsortiert werden: Bestanden oder nicht bestanden. Ein Feedback gibt es nicht, einen Dialog auch nicht. Auch dass die Menschen der Zukunft offenbar der Religion wieder eine bedeutende Rolle in ihrem Leben einräumen, ist nur in zwei, drei kurzen Anspielungen zu erkennen. Überraschend gering erscheint James Grays Interesse an diesen Umständen, denn überwiegend dreht sich seine Hauptfigur wie ein Brummkreisel um die Achse ihrer seelischen Nöte.
Ansonsten erzählt „Ad Astra“ davon, dass die Eroberung des Sonnensystems – kaum überraschend – nur die schlimmsten Seiten der menschlichen Kultur auf andere Himmelskörper exportiert hat. DHL und Shopping Malls auf dem Mond, der ansonsten von Piraten heimgesucht wird, die jeden überfallen und ausplündern, der nicht ausreichend bewaffnet ist. 



Die Physik in „Ad Astra“ ist gruselig

Diese kulturelle Anamnese ist bereits pessimistisch und dystopisch genug, um an der Sinnhaftigkeit solarer Expeditionen zu zweifeln. Aber um die geht es dem Regisseur von „Die versunkene Stadt Z“ eigentlich nicht. Gray will vielmehr die Raumfahrt und ihre Mythen vom Sockel stoßen und am Beispiel der seelischen Nöte seiner Hauptfigur klarmachen, dass es immer nur darum gehen muss, seine Menschlichkeit zu bewahren. Im All wird man sie nicht finden. Und wohl auch deswegen hat „Ad Astra“ ein leeres Ende und das von Roy im Off pastoral vorgetragenes Bekenntnis, fortan ein besserer Mensch werden zu wollen, macht das Filmende nicht besser. So wird dem Zuschauer die Einsicht eingeflößt, wie verloren der Mensch in den Weiten des Weltalls ist und dass er auf fernen Welten nicht das finden wird, was er wirklich braucht, nämlich Liebe, Freundschaft, Vertrauen. Das wirkt dann doch ziemlich simpel gestrickt.

Science-Fiction-Filme benötigen dramaturgisch einen zentralen moralischen Konflikt, der die Figuren menschlich und interessant macht. In „Contact“ trauert die Hauptfigur ihrem zu früh verstorbenen Vater nach, aber Zemeckis verliert dabei das Thema seines Films nicht aus den Augen, nämlich dass Wissenschaft an Grenzen stoßen kann, die nur mit dem Glauben an die eigene Vision ertragen werden können. Bei James Gray steht das notwendige Scheitern im Mittelpunkt, denn nur so kann sein Weltraumpilot die Demut erlangen, die Hybris einer Reise ins All ad acta zu legen.
Wer „Ad Astra“ als psychoanalytische Space Travel akzeptiert, wird zumindest eine Zeitlang mit klugen Reflexionen seiner Hauptfigur angefüttert. Doch spätestens nach einer halben Stunde wünscht man sich, dass der auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseur sparsamer mit diesem Erzählmittel umgegangen wäre. Mit zunehmender Laufzeit wirken Roys Sentenzen doch etwas redundant, ja sogar trivial. Beredte Schweigsamkeit wäre die bessere Wahl gewesen.

Um sein Thema glaubhaft zu machen, hätte sich James Gray besser überlegen sollen, wie man die unfassbare Leere des Alls mit den Mitteln des Kinos in eine klaustrophobische Erfahrung verwandelt. Aber trotz der fabelhaften analogen Bilder des genialen Hoyte van Hoytema („Her“, „Interstellar“, „Dunkirk“) gelingt es dem Film nicht, die beschworenen Weiten des Weltalls und seine Leere sinnlich erlebbar zu machen.

Das hat auch mit der Physik in „Ad Astra“ zu tun. Vielleicht ist es humorlos, die Ungereimtheiten einem Genre unter die Nase zu reiben, das eben nicht nur Science, sondern auch Fiction sein will. Aber wir sind nicht mehr in den 1950er Jahren, in denen irre Roboter aussahen wie wandelnde Mülltonnen. Das Genre hat sich weiterentwickelt, will realistischer sein, ohne die Phantasie zu knebeln. Bloß klappt das in James Grays Film hinten und vorne nicht.

Die Raumsonde Voyager 2 brauchte 12 Jahre, um den Neptun zu erreichen. Roys Vater war fast zwei Dekaden unterwegs, sein Sohn schafft dies in 79 Tagen. Und so gilt auch in James Grays Film das ungeschriebene Gesetz, dass sich der Erzählfluss des Films nicht von der Physik ausbremsen lassen darf. Gelöst werden solche Probleme dann mit der Erfindung des Warp-Antriebs oder anderen irrealen Technologien. Und Antimaterie geht schon gar nicht. Sie lässt sich nicht in einem Reaktor bändigen, sondern zerstört sich und normale Materie beim allerkleinsten Kontakt. Danach gilt e=mc2.
Selbst wenn man die im Film angedeuteten hohen Geschwindigkeiten erreicht, kann man, wie in Grays Film, nicht einfach mal kurz bremsen, um dem Notruf eines gestrandeten Raumschiffs auf den Grund zu gehen. Der Energiebedarf wäre zu groß, ein Abbruch der Mission wäre die logische Folge.

Konsequenter und ehrlicher wäre es gewesen, mit geeigneten Mitteln dem Zuschauer ein realistisches Bild von den unerhörten Weiten zu vermitteln, die überwunden werden müssen, um ‚nur‘ den äußeren Rand des Sonnensystems zu erreichen. Es handelt sich nämlich um mehr als 4 Milliarden Kilometer. Diese Leere, die sich in der seelischen Verfassung der Hauptfigur widerspiegelt, ist schließlich das zentrale Thema des Films. Spüren kann man das nicht.

Diese Laxheiten sind ebenso ärgerlich wie einige Actionszenen, die so wirken, als hätte James Gray das Gefühl gehabt, sein Science-Fiction-Meditation einen Schuss Mainstream zu verpassen. Piratenüberfall auf dem Mond? Okay, das ist plotkonform. Aber dass Roy in dem gestrandeten Raumschiff entdeckt, dass dort Tierversuche stattfanden und eine Handvoll wahnsinniger Paviane die Besatzung massakriert hat, hat nur einen geringen erzählerischen Nährwert.


Einfach zu Hause bleiben

James Gray erfindet das Genre nicht neu, dennoch gibt es interessante neue Facetten. Das Thema ist interessant, der düstere Grundton deutet immerhin an, dass uns im Weltall Probleme erwarten, auf die man nie vollständig vorbereitet sein kann. Das nimmt man dem Film ab, es liegt auch an dem großartigen Brad Pitt, der fabelhaft vorführt, dass Coolness ohne eine tiefe Angst gar nicht möglich ist. In Quentin Tarantinos letztem Film war diese Dissonanz nicht nötig. Großartig war Brad Pitt trotzdem.

Auch stilistisch sind James Gray einige beachtliche Momente gelungen. Die Montage erinnert zeitweilig an Terrence Malicks Techniken, mit denen Verdrängtes mit blitzartigen Erinnerungsbildern auftaucht, den Erzählrahmen aufbricht und dabei assoziatives Material freilegt. Überhaupt hatte Gray, auch das wird im Bonusmaterial deutlich, ein großes und auch autobiographisch begründetes Interesse an einer Geschichte, die ihre Hauptfigur bereits in ihrer Kindheit in tiefste Einsamkeit stürzt. Also Drama und nicht so sehr Science-Fiction. Das „Erkenne dich selbst“ führt die Hauptfigur dann am Ende fast zwangsläufig zu der ernüchternden Erkenntnis, dass er besser zu Hause geblieben wäre.

Vielleicht kann man „Ad Astra“ doch einiges abgewinnen, aber abschließend ist dann doch ein kritischer Vergleich nötig. Ich erinnere sehr gerne an Denis Villeneuves „Arrival“, einen Film, dem es gelang, großes Erstaunen auszulösen und dann auch noch sein Thema emotional und wissenschaftlich fundiert in wirklich großes Kino zu verwandeln. Dieses Staunen bleibt in „Ad Astra“ aus.

Das ist zu wenig angesichts des großen Aufwands, den Gray betrieben hat, um seinem Film eine metaphysische Tonalität zu geben. Dazu passt auch die mit Spannung erwartete Begegnung zwischen Vater und Sohn. In der wird fast nichts erklärt und Tommy Lee Jones muss der oberflächlich skizzierten Figur mit äußerster Anstrengung die Subtilität einflößen, die das Script an dieser Stelle völlig eingebüßt hat. Und Aliens gibt es auch nicht.


Noten: BigDoc, Klawer = 3, Melonie = 4


Ad Astra – USA 2019 – Regie und Buch: James Gray – Kamera: Hoyte van Hoytema - Laufzeit: 123 Minuten – D.: Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland, Ruth Negga, Liv Tyler.