Sonntag, 6. Mai 2012

Melancholia


Dänemark / Schweden / Frankreich / Deutschland 2011 - Regie: Lars von Trier - Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander Skarsgård - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 136 min. - Start: 6.10.2011

Der Titel ist Programm. Melancholie ist in Lars von Triers Film nicht nur das innerpsychische Dispositiv seiner Protagonistin Justine, sondern auch die Festlegung auf ein ästhetisches Regelwerk, das mit misanthropischer Unausweichlichkeit das Schicksal des Planeten Erde beschließt: der gigantische Gasplanet Melancholia wird in einem riesigen Feuerball die Erde verschlingen. Von Trier schickt dieser apokalyptischen Katastrophe die soziale voraus: die Gesellschaft, die sich anlässlich einer Hochzeit zusammenfindet, zerfällt in ihre Bestandteile, auch dank der Einwirkung der depressiven Justine. Alles Disparate in ihr wird durch Reste der anti-filmischen Gebrauchsanweisungen des Dogma-Stils sichtbar gemacht, die in „Melancholia“ allerdings dann außer Kraft gesetzt werden, wenn von Trier seine Figuren in die Natur hineinstellt: reitend, im Wald, an Flüssen und Bächen.
Der dänische Regisseur, der keinen Zweifel daran gelassen hat, dass dieser Film, wie auch viele zuvor, sein Innerstes nach außen trägt, hat in seinem von der Filmkritik fast durchgängig gefeierten Film wieder einmal bewiesen, dass er es immer wieder schafft, seine Egomanien in Bilder zu fassen, die polarisieren. Entweder verlässt man wutentbrannt das Kino oder man lebt mit ihm und seinen Filmen das Verzweifelte seiner existenziellen Beschädigungen aus.

Der Zerfall und die süße Größe: die Ästhetisierung des Todes
Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleich gefährlicher Faszination, von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit, wie der „Tristan“ ist, – ich suche in allen Künsten vergebens. (Ich nenne) Wagner den großen Wohltäter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass wir tiefer gelitten haben, auch aneinander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leiden vermöchten, wird unsere Namen ewig wieder zusammenbringen (Friedrich Nietzsche über sich, Richard Wagner und „Tristan und Isolde“ in „Ecce homo“).

„Melancholia“ beginnt mit einer emblematischen und über acht Minuten dauernden Sequenz aus Bildern, die kontrapunktisch wirken, aber erst nachdem man den Wackelstil der Kamera gesehen hat, der die folgenden 128 Minuten charakterisiert. Die einleitenden 16 Bilder versteht man deutlich besser, wenn man den ganzen Film kennt.
Wie erlesene Tableaus präsentiert von Trier diese Pre-Title-Sequence. Die Einstellungen wurden in Super-Slow Motion aufgenommen, unterlegt ist das Ganze mit dem Tristan-Akkord aus dem Vorspiel von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“.
Dies passt, denn Wagners Thema hat in Anlehnung an Novalis und Schopenhauer durchaus das völlige Verlöschen der menschlichen Existenz im Tode zum Thema. Wagners Vortragsanweisung für das Tristan-Motiv lautete: „langsam und schmachtend“ und so kann sich der Zuschauer auf die Seite des Einen oder des Anderen schlagen, wenn von Trier u.a. folgende Motive präsentiert: Kirsten Dunst als „Justine“ im Close-up, tote Vögel regnen vom Himmel; das Landschaftsgemälde „Die Jäger im Schnee“ von Pieter Brueghel dem Älteren (1565), das durchaus und trotz des geselligen Treibens der Dörfler auf dem winterlichen Eis als Sinnbild von Ödnis interpretiert werden kann; der Planet Melancholia; Claire (Justines Schwester) und ihr Sohn Leo auf einem Golfplatz am Loch 19 (!), sie sinkt im sumpfigen Rasen ein; ein kollabierendes Pferd; Justine in Jesus-Pose mit einladend ausgestreckten Armen; Justine im Brautkleid, gefesselt an strickähnliche Tentakeln, die ihr das Gehen erschweren und die sich auch von nahestehenden Bäumen herüberschlängeln; die Kollision Melancholias und der Erde (später im Film auch „Dance of Death“ genannt).

Natürlich fühlt man sich bei diesen Bilder an die Genese-Sequenz in Terrence Malicks „The Tree of Life“ erinnert, aber der Unterschied liegt auf der Hand: die Symbolik in Malicks Films ist (ungeachtet ihre durchaus strittigen Qualitäten) als Chiffre der Evolution unmittelbar bedeutend, jene in von Triers Film entlässt ihre Bedeutung erst ganz am Ende: man versteht die einleitende Sequenz als Ästhetisierung des Todes sozusagen erst „von hinten“ und anders als im Kino kann auf der DVD oder Bluray halt an den Anfang springen und sich das Ganze noch einmal anschauen.

Natürlich ist dies etwas hermetisch und verrätselt. Zunächst völlig deutungsoffen, zeigen die erst a posteriori mit vermeintlichem Sinn aufgeladenen Bilder dem Zuschauer entweder seine anfängliche Bedeutungslosigkeit auf oder laden ihn zu nicht sonderlich fröhlichen Vexierspielen ein, bei denen man doch ein gehöriges Maß an bildungsbürgerlicher Grundausstattung benötigt, um zwischen den Zeilen zu lesen. Eins ist aber klar: Ästhetisch hält die gelackte Wallpaper-Ästhetik der ersten Minuten bereits den Zerfall und die Lust an ihm in sich bereit und das Ende ohnehin (im aktuellen Jargon müsste jetzt vor dem Spoiler gewarnt werden!)

Ein Schuss Dogma 95
Nach dem metaphysischen beginnt der soziale und filmische Zerfall mit dem Eintritt in die Handlung. Der erste Teil ist mit „Justine“ übertitelt: Justine (Kirsten Dunst) und ihr Bräutigam Michael (Alexander Skarsgård) versuchen vergeblich mit einer Stretch-Limousine das Schloss, in dem ihre Hochzeit stattfinden soll, zu erreichen. Schließlich kommen sie zu Fuß an, mit erheblicher Verspätung – sehr zum Ärger des spleenigen Zeremonienmeisters (Udo Kier), dessen Rolle sich angesichts des sich rasch anbahnenden Desasters kaum als Comic Relief deuten lässt. Bereits bei den Hochzeitsreden beginnen nämlich die Eltern der Braut, die zynische und emotional kalte Gaby (Charlotte Rampling) und der chaotisch-charmante Dexter (John Hurt), mit einer öffentlichen Zuschaustellung ihrer Feindseligkeit. Wie so häufig (und das gilt ja für von Triers Ausführungen über die eigene Familienbiografie) liegt die Ursache für das spätere Übel in der kollektiven Familienneurose. Während Justine also beginnt, sich immer mehr von der Gesellschaft zurückzuziehen, versuchen ihre Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und ihr Mann John (Kiefer Sutherland) den Laden irgendwie zusammenzuhalten.
Am Ende zerstreut sich die Gesellschaft: Justine ist zunehmend depressiver geworden, sie hat ihren Chef, den Leiter einer Werbeagentur, tödlich beleidigt und mit dessen Praktikanten gevögelt, die Ehe mit Michael, der sie verlässt, liegt in Trümmern, ihr Vater kommt der Bitte nicht nach, noch über Nacht zu bleiben. Justine ist allein, nur Claire und John, deren Sohn Leo, und ein Bediensteter sind geblieben.

Kirstin Dunst spielt das ganz ausgezeichnet, aber sie spielt auch ein wenig gegen das anti-psychologische Konzept von Triers an, der in der Hochzeits-Sequenz eher eine stereotype Bourgeoisie-Kritik abliefert. Parallelen zu Thomas Vinterbergs „Das Fest“ (Festen, 1999) sind natürlich unübersehbar. Nicht nur in Hinblick auf das Sujet, sondern auch im Gebrauch der szenischen Mittel. So lässt Lars von Trier die Gesellschaft im Dogma-Stil filmen: Handkamera, Reißschwenks, Zooms in die Unschärfe, Achsensprünge. Auch das, was dann für die Montage übrig geblieben ist, wird einer harten Nachbearbeitung unterzogen. Klar ist zu erkennen, dass die nicht enden wollende Orgie aus Jumps-Cuts nicht nur beim Dreh begonnen hat, sondern auch beim Filmschnitt durch verstümmelnde Nachbearbeitung des Materials fortgesetzt worden ist. Allerdings bleibt von Trier dem Dogma 95-Stil nur noch rudimentär treu: seine Hochglanz-Einleitung des Films ist explizit anti-programmatisch und zerlegt genüsslich einige der Dogma-Regeln wie z.B. das Verbot von Soundtrack und Spezialeffekten.

Ich mache keine Hehl daraus, dass ich die Dogma-Ideologie schon immer als absoluten Nonsense eingeschätzt habe. Die Überzeugung, der vermeintlichen Entfremdung des Kinos gegenüber der Wirklichkeit, etwas formal Destruktives entgegensetzen zu müssen, aber auch die Stigmatisierung der sogenannten Illusionsästhetik des Films, basieren meiner Meinung nach auf einem grundlegenden Irrtum: nämlich ‚richtige’ und authentische Inhalte von der ‚richtigen’ Form abhängig zu machen. Ideologische Gebrauchsanweisungen dieser Art haben (z.B. bereits in der Realismusdebatte und der frühen Kinotheorie) zu peinlichen und irrigen Gängelungen geführt. Hinzu kommt, dass die Dogma-Bewegung sich auch als Gegenpol zum Autorenkino verstanden hat, was schon harter Tobak ist, weil damit auf einen bis heute innovativen Teil der Filmkultur eingeprügelt wurde. Die Dogma-Ideologen haben – was ich durchaus mit einem Schuss Boshaftigkeit versehen möchte – nur eins erreicht: sie haben Filme auf einem technischen Niveau produziert, das ihren Werken einen Look gab, so als sei das Filmmaterial ungeschnitten, also unter Verzicht auf Montage, stante pedes dem Publikum zur Ansicht dargeboten worden. Mit anderen Worten: das, was jeder unbeleckte Filmamateur tut, weil er es nicht besser kann, mutierte zum Stil.
Die Folgen für die visuelle Kultur: der Ruckel- und Wackelstil wurde, abgekoppelt von seinen ästhetischen und kinematographischen Prämissen, nicht nur zum Ausdrucksmittel der Generation YouTube, sondern kann heute in jedem dritten TATORT am Sonntagabend bewundert werden, ohne dass ich den Eindruck gewinnen konnte, dass sich nun eine größere Wirklichkeitsnähe eingestellt hätte. Dieses Ziel hatte das Kino nie, nur in den Köpfen einiger Theoretiker. Und die Gesetze einer funktionierende Erzählung kann man auch nicht verbessern, indem man mit der Kamera wackelt.
Mit einigem Wohlwollen kann man Lars von Trier unterstellen, dass „Melancholia“ durch seinen Stil immerhin das Disparate der von ihm skizzierten zerfallenden bürgerlichen Gesellschaft ausdrückt. Aber offen gestanden: dieses Wohlwollen bringe ich nicht auf.

Mittelalterliche Mystifizierung und die Traditionen der Gegenaufklärung – die Depression als Veredelung
Es ist unschwer zu erkennen, dass Lars von Trier, wie er auch einräumte, seine beide Frauenfiguren als Teile seiner eigenen Persönlichkeit interpretiert. Von Trier hat aus seinen angstneurotischen und depressiven Qualen nie ein Geheimnis gemacht. Und so dürfte am ehesten die Figur der Justine seine Verfasstheit widerspiegeln. Und was macht er daraus?
Sie müsse zum Teil ihn spielen, erklärte der dänische Regisseur seiner Hauptdarstellerin. Nun zeigt „Melancholia“ aber nicht die Genese einer Major Depression, sondern deren Veredelung. Und die findet im zweiten Teil statt, der den Titel „Claire“ trägt.

In diesem Teil rückt nun auch Melancholia, der Planet, immer mehr in den Mittelpunkt. Wurde er im ersten Teil lediglich angedeutet, so kommt er der Erde nun immer näher und die Wucht der möglichen Katastrophe entlädt sich nun im Miteinander der Restfamilie. Während Claires Angst vor dem Weltuntergang sie zunehmend zu überrollen droht, bemüht sich John um wissenschaftliche Erklärungen: die Experten hätten ausgerechnet, dass nichts passieren kann.
Von Trier, der sich vor Drehbeginn immerhin bei Astrophysikern gründlich über mögliche Abläufe informiert hat, spart Externes aus; man sieht keine Fernsehberichte, eine Ikonographie à la Roland Emmerich fehlt, der Untergang findet in aller Privatheit auf der Terrasse statt, wo man durch einen zum Kreis gebogenen Draht das Größer- und Kleinerwerden des sich nähernden und entfernenden Planeten studiert. Während Justine zunächst körperlich immer hinfälliger wird, scheint sie doch mit einer Hellsichtigkeit ausgestattet zu sein, die der rationalen Claire und ihrem nicht weniger vernunftorientierten Gatten John völlig fehlen.

Doch entscheidender ist es, genau zu untersuchen, wie Lars von Trier mit seinen Frauenfiguren umgeht. „Die Welt“, so Justine, „ist schlecht.“ Es gibt keinen Grund ihr nachzuweinen, sie wird untergehen, zu Recht auch. Und nach dieser finalen Einsicht beginnt sie wieder ihre Kraft zurückzugewinnen. Zuvor allerdings treten zu den inneren Gebrechen auch die äußeren hinzu. Justine kann sich kaum auf den Beinen halten, das Essen schmeckt ihr wie Asche.
Geistesgeschichtlich hat dies Tradition, aber sicher eine andere als man erwartet, denn in der Hinfälligkeit des Körpers und der anschließenden Veredelung steckt nichts anderes als eine Portion mittelalterliche Mystifizierung, in der die Gebrechen des Körpers infolge von Armut und Entbehrung zur heiligen Askese umgedeutet wurden. In letzter Konsequenz schließt diese spirituell interpretierte Nähe zu Gott auch den Tod ein. Auch gegenaufklärerische Tendenzen im Katholizismus des 18. Jh. stellen besonders den weiblichen (!) Tod als Form heiliger Erlösung dar: „der Tod vollzieht an den Frauen eine Heiligung, indem er sie auswählt. Sie wird von den Frauen in einer Demutsgeste entgegengenommen“ (Irmgard Wirtz).
Dies sei allen Kritiker ans Herz gelegt, die vermuten, dass sich von Trier in „Melancholia“ zum ersten Mal wohlwollend mit seinen Frauenfiguren beschäftigt. Tatsächlich tauchen in „Melancholia“ mystische und anti-irrationale Konzepte auf, die man bei genauem Hinsehen ohne Ausflüge in die Geschichte der Gegenaufklärung, der Wunder und Mirakel, erkennen kann. Dass in diesem Konzept auch Figuren mit einer explizit rationalistischen Perspektive zu den Verlierern gehören, überrascht dann auch nicht wirklich: Kurz vor dem Ende wird sich John, der Rationalist, per Suizid kommentarlos aus dem Film verabschieden, während sich die depressive Mystikerin Justine nackt (w.o.a.: Demutsgeste) dem Licht des todbringenden Planeten aussetzt: der Tod als verklärte Erlösung. Die Apokalypse in letzter Konsequenz als göttliches Strafgericht.

Wenn neben dieser verschwurbelten Mystik überhaupt etwas Menschliches in „Melancholia“ zu sehen ist, dann ist es das Ende: Justine baut aus Ästen eine „magische Höhle“, um Leo zu beruhigen und zu dritt warten dann alle auf den Untergang. Trotz des empathischen Endes bleibt unterm roten Strich aber nicht viel Versöhnendes zu berichten, denn die Message des Films bleibt: die Welt ist schlecht, in jeder Beziehung am Ende und das Ende wird genüsslich zelebriert, es ist etwas Heiliges im Verfall – und in der fast spirituellen Aufwertung der Depression zu einer fast prophetisch klaren und asketischen Sicht auf die Dinge zeigt uns der narzisstische Autor des Films aber offenbar auch, dass ihm dieses Attribut ebenfalls zusteht.
Und so steht auch nicht Claire im Mittelpunkt des zweiten Teils, sondern es ist weiterhin Justine, deren Veränderung den mentalen Verfall der Schwester benötigt, um sich zu spiegeln und zur eigentlichen Bestimmung zu finden. So als möchte er sich selbst Mut machen, lässt von Trier seine Hauptfigur klarer, beherrschter und kälter werden. Die innere Leere soll sich gefälligst im völligen Zusammenbruch des Äußeren niederschlagen und der Weg dorthin ist einer, der den Menschen im Angesicht der Auslöschung veredelt. „Melancholia“ ist somit das Dokument zutiefst irrationaler und egomanischer Projektionen seines Machers.

Ein prätentiöser Film wird zum Problem der Filmkritik
Nun ist „Melancholia“ unisono von der Kritik gefeiert worden. Ob dies als Reaktion auf das Cannes-Spektakel um Lars von Triers’ Hitler-Äußerungen gewertet werden kann, ist eigentlich nicht so wichtig. Der Regisseur hat in einem durchaus glaubwürdigen Interview erklärt, welche sprachlichen Konnotationen ihn getrieben haben.
Mehr als von Triers’ politische Entgleisung haben mich die sprachlichen Verirrungen einiger Kritiker aus den Socken gehauen. „Bildgewaltig“ und „emotional schonungslos“ nannte ein Kritiker den Film, andere lobten die „brillante Inszenierung“ und das „komplexe Drehbuch“.
Einige Adjektive wirken so, als seien sie einem sprachlichen Setzbaukasten entnommen worden, und dass angesichts der eher stereotypen Genremuster eines Familiendramas, das flüchtig und oberflächlich an Strindberg oder Bergman erinnert, inszenatorische Brillanz und Komplexität zu entdecken sind, wollte mir partout nicht einleuchten. Aber geschenkt.

Schlimmer ist da schon die Behauptung, von Trier führe den Zuschauer in die Bilderwelten der deutschen Romantik. Diese hat gewiss einiges mit dem Tod und seiner Ästhetisierung zu tun, aber ausgespart wird in der Interpretation eben auch, dass die Romantik die Sehnsucht nach einer Heilung der Welt verkörpert, eine Gemütsverfassung, die inneres Erleben metaphorisch in die äußere Wirklichkeit projizierte, und zwar in die Natur. Romantik auf Todessehnsucht herunterzubrechen, das ist purer Unsinn und zudem ein Klischee der oberflächlichen Sorte.

Es ist schon ein Dilemma: Kritik und Filmemacher stehen häufig in einer symbiotischen Beziehung. Letzterer liefert gerne ab, wonach Ersterer verlangt, aber auch umgekehrt scheint es gut zu funktionieren. Dann nämlich, wenn Filme Projektionsflächen für den Bildungsfundus des Kritikers bereithalten, aber bei näherer Hinsicht substanziell nichts von dem enthalten, was man in ihnen zu finden glaubt. Und wenn dann gar über die „revolutionierende Kraft des Weltuntergangs“ geschrieben wird, ohne auch nur anzudeuten, in welcher Beziehung Revolution und das absolute Nichts stehen, wird es richtig schwurbelig.

„Melancholia“ ist – im Gegensatz zu den geschilderten Mutmaßungen – zwar nicht kunstlos, in seiner Erzählweise aber angestrengt, egomanisch und prätentiös – und Letzteres bedeutet auch ‚unfreiwillig albern’. Im Kern ist „Melancholia“ eine Zumutung, die tief in den Fundus mystischer und gegenaufklärerischer Konzepte greift. Wem dies gefällt, der soll es sich anschauen. Allerdings sollte er wissen, mit was für einer geistigen Perspektive er es zu tun hat.

Zum Glück brauchen wir Lars von Triers Binnenschau nicht wirklich.
Wer einen Film über die Selbstauflösung in der Depression, den existenzielle Riss in unserer Existenz, die Todesnähe und die Einsamkeit in einer Welt ohne Gott sehen möchte, dem sei Ingmar Bergmans „Persona“ (1966) empfohlen. Das reicht.


Pressespiegel

„Am Ende weiß man selbst nicht mehr, was an dieser Welt noch rettenswert sein soll. Und als Melancholia schließlich den ganzen Himmel einnimmt, spürt man wie Justine vor allem eines: Erlösung. Gewaltigeres kann ein Film nicht leisten“ (Hannah Pilarczyk in: SPIEGEL ONLINE).

„Frei von Besserwisserattitüde liefert Melancholia eine Reflektion über die relativierende und zugleich revolutionierende Kraft des Weltuntergangs“ (Barbara Schweizerhof in: epd Film).

„Der filmhistorisch und filmografisch interessanteste Aspekt ist vielleicht die hier irreversibel erscheinende Umdeutung, der die Handkamerabilder der Hochzeitsepisode unterzogen werden. Denn von Trier gesteht mit ihrem Einsatz in einer albtraumhaften Versuchsanordnung implizit ein, dass diese Bilder der angeblich realistischen Vorzeichen nicht mehr dazu taugen, der Lage der Welt habhaft zu werden. Wenn sie etwas können, dann ist es eine Vergangenheit und Rohheit zu evozieren, die maßgeblich durchs Kino geschaffen wurde“ (Frédéric Jaeger in: Critic.de).

„Mit seinen jüngsten Filmen und Wortmeldungen hat sich Lars von Trier strategisch abseits eines aufgeklärt-rationalen Konsenses positioniert...In Antichrist brach er mit Freud und der Psychoanalyse, um diese durch eine Art paganistische Naturlehre von der Geschlechterdifferenz zu ersetzen, Höhlenbildnisse inklusive. Melancholia vertritt nun einen ästhetischen Totalitarismus, der den Zusammenhang von Form und Inhalt radikal aufgekündigt hat...Antichrist und Melancholia markieren einen vorläufigen Bruch mit der Tradition des europäischen Autorenkinos – weniger in ihrer antibürgerlichen Einstellung denn in formaler Hinsicht“ (Andreas Busche in: Freitag).

„Wem immer der Austritt des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit etwas bedeutet, dem macht Lars von Trier einen dicken Strich durch die Rechnung. Dafür wird der dänische Filmemacher gerade unter Leuten bewundert, die sich als progressiv verstehen. Ein wiederkehrendes Muster in der Rezeption seiner Filme ist, dass man betont, sich auf diesen reaktionären Quatsch eigentlich gar nicht einlassen zu wollen, dann aber von der Virtuosität der kinematografischen Mittel überwältigt wird. In dieser Perspektive ist das Kino Lars von Triers der Ort, an dem sich all die antimodernen Regungen austoben dürfen, die wir sonst verdrängen...“ (Christina Nord in: taz.de).