Dänemark / Schweden / Frankreich / Deutschland 2011 - Regie: Lars von Trier - Darsteller: Kirsten
Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling,
Alexander Skarsgård - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 136 min. - Start: 6.10.2011
Der Titel ist Programm. Melancholie ist in Lars von Triers Film nicht nur das innerpsychische Dispositiv seiner Protagonistin Justine, sondern auch die Festlegung auf ein ästhetisches Regelwerk, das mit misanthropischer Unausweichlichkeit das Schicksal des Planeten Erde beschließt: der gigantische Gasplanet Melancholia wird in einem riesigen Feuerball die Erde verschlingen. Von Trier schickt dieser apokalyptischen Katastrophe die soziale voraus: die Gesellschaft, die sich anlässlich einer Hochzeit zusammenfindet, zerfällt in ihre Bestandteile, auch dank der Einwirkung der depressiven Justine. Alles Disparate in ihr wird durch Reste der anti-filmischen Gebrauchsanweisungen des Dogma-Stils sichtbar gemacht, die in „Melancholia“ allerdings dann außer Kraft gesetzt werden, wenn von Trier seine Figuren in die Natur hineinstellt: reitend, im Wald, an Flüssen und Bächen.
Der dänische Regisseur, der keinen Zweifel daran gelassen hat, dass dieser
Film, wie auch viele zuvor, sein Innerstes nach außen trägt, hat in seinem von
der Filmkritik fast durchgängig gefeierten Film wieder einmal bewiesen, dass er
es immer wieder schafft, seine Egomanien in Bilder zu fassen, die polarisieren.
Entweder verlässt man wutentbrannt das Kino oder man lebt mit ihm und seinen
Filmen das Verzweifelte seiner existenziellen Beschädigungen aus.
Der Zerfall und die süße Größe: die Ästhetisierung des
Todes
Aber ich
suche heute noch nach einem Werke von gleich gefährlicher Faszination, von
einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit, wie der „Tristan“ ist, –
ich suche in allen Künsten vergebens. (Ich nenne) Wagner den großen Wohltäter
meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass wir tiefer gelitten haben,
auch aneinander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leiden vermöchten, wird
unsere Namen ewig wieder zusammenbringen (Friedrich Nietzsche über sich,
Richard Wagner und „Tristan und Isolde“ in „Ecce homo“).
„Melancholia“ beginnt mit einer emblematischen und über acht Minuten
dauernden Sequenz aus Bildern, die kontrapunktisch wirken, aber erst nachdem
man den Wackelstil der Kamera gesehen hat, der die folgenden 128 Minuten
charakterisiert. Die einleitenden 16 Bilder versteht man deutlich besser, wenn
man den ganzen Film kennt.
Wie erlesene Tableaus präsentiert von Trier diese Pre-Title-Sequence. Die Einstellungen wurden in Super-Slow Motion aufgenommen, unterlegt ist das Ganze mit dem Tristan-Akkord aus dem Vorspiel von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“.
Dies passt, denn Wagners Thema hat in Anlehnung an Novalis und Schopenhauer durchaus das völlige Verlöschen der menschlichen Existenz im Tode zum Thema. Wagners Vortragsanweisung für das Tristan-Motiv lautete: „langsam und schmachtend“ und so kann sich der Zuschauer auf die Seite des Einen oder des Anderen schlagen, wenn von Trier u.a. folgende Motive präsentiert: Kirsten Dunst als „Justine“ im Close-up, tote Vögel regnen vom Himmel; das Landschaftsgemälde „Die Jäger im Schnee“ von Pieter Brueghel dem Älteren (1565), das durchaus und trotz des geselligen Treibens der Dörfler auf dem winterlichen Eis als Sinnbild von Ödnis interpretiert werden kann; der Planet Melancholia; Claire (Justines Schwester) und ihr Sohn Leo auf einem Golfplatz am Loch 19 (!), sie sinkt im sumpfigen Rasen ein; ein kollabierendes Pferd; Justine in Jesus-Pose mit einladend ausgestreckten Armen; Justine im Brautkleid, gefesselt an strickähnliche Tentakeln, die ihr das Gehen erschweren und die sich auch von nahestehenden Bäumen herüberschlängeln; die Kollision Melancholias und der Erde (später im Film auch „Dance of Death“ genannt).
Wie erlesene Tableaus präsentiert von Trier diese Pre-Title-Sequence. Die Einstellungen wurden in Super-Slow Motion aufgenommen, unterlegt ist das Ganze mit dem Tristan-Akkord aus dem Vorspiel von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“.
Dies passt, denn Wagners Thema hat in Anlehnung an Novalis und Schopenhauer durchaus das völlige Verlöschen der menschlichen Existenz im Tode zum Thema. Wagners Vortragsanweisung für das Tristan-Motiv lautete: „langsam und schmachtend“ und so kann sich der Zuschauer auf die Seite des Einen oder des Anderen schlagen, wenn von Trier u.a. folgende Motive präsentiert: Kirsten Dunst als „Justine“ im Close-up, tote Vögel regnen vom Himmel; das Landschaftsgemälde „Die Jäger im Schnee“ von Pieter Brueghel dem Älteren (1565), das durchaus und trotz des geselligen Treibens der Dörfler auf dem winterlichen Eis als Sinnbild von Ödnis interpretiert werden kann; der Planet Melancholia; Claire (Justines Schwester) und ihr Sohn Leo auf einem Golfplatz am Loch 19 (!), sie sinkt im sumpfigen Rasen ein; ein kollabierendes Pferd; Justine in Jesus-Pose mit einladend ausgestreckten Armen; Justine im Brautkleid, gefesselt an strickähnliche Tentakeln, die ihr das Gehen erschweren und die sich auch von nahestehenden Bäumen herüberschlängeln; die Kollision Melancholias und der Erde (später im Film auch „Dance of Death“ genannt).
Natürlich fühlt man sich bei diesen Bilder an die Genese-Sequenz in
Terrence Malicks „The Tree of Life“ erinnert, aber der Unterschied liegt auf
der Hand: die Symbolik in Malicks Films ist (ungeachtet ihre durchaus
strittigen Qualitäten) als Chiffre der Evolution unmittelbar bedeutend, jene in
von Triers Film entlässt ihre Bedeutung erst ganz am Ende: man versteht die
einleitende Sequenz als Ästhetisierung
des Todes sozusagen erst „von hinten“ und anders als im Kino kann auf der
DVD oder Bluray halt an den Anfang springen und sich das Ganze noch einmal
anschauen.
Natürlich ist dies etwas hermetisch und verrätselt. Zunächst völlig
deutungsoffen, zeigen die erst a posteriori mit vermeintlichem Sinn
aufgeladenen Bilder dem Zuschauer entweder seine anfängliche
Bedeutungslosigkeit auf oder laden ihn zu nicht sonderlich fröhlichen
Vexierspielen ein, bei denen man doch ein gehöriges Maß an bildungsbürgerlicher
Grundausstattung benötigt, um zwischen den Zeilen zu lesen. Eins ist aber klar:
Ästhetisch hält die gelackte Wallpaper-Ästhetik der ersten Minuten bereits den
Zerfall und die Lust an ihm in sich bereit und das Ende ohnehin (im aktuellen
Jargon müsste jetzt vor dem Spoiler gewarnt werden!)
Ein Schuss Dogma 95
Nach dem metaphysischen beginnt der soziale und filmische Zerfall mit dem
Eintritt in die Handlung. Der erste Teil ist mit „Justine“ übertitelt: Justine
(Kirsten Dunst) und ihr Bräutigam Michael (Alexander Skarsgård) versuchen
vergeblich mit einer Stretch-Limousine das Schloss, in dem ihre Hochzeit
stattfinden soll, zu erreichen. Schließlich kommen sie zu Fuß an, mit
erheblicher Verspätung – sehr zum Ärger des spleenigen Zeremonienmeisters (Udo
Kier), dessen Rolle sich angesichts des sich rasch anbahnenden Desasters kaum
als Comic Relief deuten lässt. Bereits bei den Hochzeitsreden beginnen nämlich
die Eltern der Braut, die zynische und emotional kalte Gaby (Charlotte
Rampling) und der chaotisch-charmante Dexter (John Hurt), mit einer
öffentlichen Zuschaustellung ihrer Feindseligkeit. Wie so häufig (und das gilt
ja für von Triers Ausführungen über die eigene Familienbiografie) liegt die
Ursache für das spätere Übel in der kollektiven Familienneurose. Während
Justine also beginnt, sich immer mehr von der Gesellschaft zurückzuziehen,
versuchen ihre Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und ihr Mann John
(Kiefer Sutherland) den Laden irgendwie zusammenzuhalten.
Am Ende zerstreut sich die Gesellschaft: Justine ist zunehmend depressiver geworden, sie hat ihren Chef, den Leiter einer Werbeagentur, tödlich beleidigt und mit dessen Praktikanten gevögelt, die Ehe mit Michael, der sie verlässt, liegt in Trümmern, ihr Vater kommt der Bitte nicht nach, noch über Nacht zu bleiben. Justine ist allein, nur Claire und John, deren Sohn Leo, und ein Bediensteter sind geblieben.
Am Ende zerstreut sich die Gesellschaft: Justine ist zunehmend depressiver geworden, sie hat ihren Chef, den Leiter einer Werbeagentur, tödlich beleidigt und mit dessen Praktikanten gevögelt, die Ehe mit Michael, der sie verlässt, liegt in Trümmern, ihr Vater kommt der Bitte nicht nach, noch über Nacht zu bleiben. Justine ist allein, nur Claire und John, deren Sohn Leo, und ein Bediensteter sind geblieben.
Kirstin Dunst spielt das ganz ausgezeichnet, aber sie spielt auch ein wenig
gegen das anti-psychologische Konzept von Triers an, der in der
Hochzeits-Sequenz eher eine stereotype Bourgeoisie-Kritik abliefert. Parallelen zu Thomas Vinterbergs „Das Fest“ (Festen, 1999) sind natürlich
unübersehbar. Nicht nur in Hinblick auf das Sujet, sondern auch im Gebrauch der
szenischen Mittel. So lässt Lars von Trier die Gesellschaft im Dogma-Stil
filmen: Handkamera, Reißschwenks, Zooms in die Unschärfe, Achsensprünge. Auch
das, was dann für die Montage übrig geblieben ist, wird einer harten Nachbearbeitung
unterzogen. Klar ist zu erkennen, dass die nicht enden wollende Orgie aus
Jumps-Cuts nicht nur beim Dreh begonnen hat, sondern auch beim Filmschnitt
durch verstümmelnde Nachbearbeitung des Materials fortgesetzt worden ist.
Allerdings bleibt von Trier dem Dogma 95-Stil nur noch rudimentär treu: seine
Hochglanz-Einleitung des Films ist explizit anti-programmatisch und zerlegt
genüsslich einige der Dogma-Regeln wie z.B. das Verbot von Soundtrack und
Spezialeffekten.
Ich mache keine Hehl daraus, dass ich die Dogma-Ideologie schon immer als
absoluten Nonsense eingeschätzt habe. Die Überzeugung, der vermeintlichen
Entfremdung des Kinos gegenüber der Wirklichkeit, etwas formal Destruktives
entgegensetzen zu müssen, aber auch die Stigmatisierung der sogenannten
Illusionsästhetik des Films, basieren meiner Meinung nach auf einem
grundlegenden Irrtum: nämlich ‚richtige’ und authentische Inhalte von der
‚richtigen’ Form abhängig zu machen. Ideologische Gebrauchsanweisungen dieser
Art haben (z.B. bereits in der Realismusdebatte und der frühen Kinotheorie) zu
peinlichen und irrigen Gängelungen geführt. Hinzu kommt, dass die
Dogma-Bewegung sich auch als Gegenpol zum Autorenkino verstanden hat, was schon
harter Tobak ist, weil damit auf einen bis heute innovativen Teil der
Filmkultur eingeprügelt wurde. Die Dogma-Ideologen haben – was ich durchaus mit
einem Schuss Boshaftigkeit versehen möchte – nur eins erreicht: sie haben Filme
auf einem technischen Niveau produziert, das ihren Werken einen Look gab, so
als sei das Filmmaterial ungeschnitten, also unter Verzicht auf Montage, stante
pedes dem Publikum zur Ansicht dargeboten worden. Mit anderen Worten: das, was
jeder unbeleckte Filmamateur tut, weil er es nicht besser kann, mutierte zum Stil.
Die Folgen für die visuelle Kultur: der Ruckel- und Wackelstil wurde, abgekoppelt von seinen ästhetischen und kinematographischen Prämissen, nicht nur zum Ausdrucksmittel der Generation YouTube, sondern kann heute in jedem dritten TATORT am Sonntagabend bewundert werden, ohne dass ich den Eindruck gewinnen konnte, dass sich nun eine größere Wirklichkeitsnähe eingestellt hätte. Dieses Ziel hatte das Kino nie, nur in den Köpfen einiger Theoretiker. Und die Gesetze einer funktionierende Erzählung kann man auch nicht verbessern, indem man mit der Kamera wackelt.
Die Folgen für die visuelle Kultur: der Ruckel- und Wackelstil wurde, abgekoppelt von seinen ästhetischen und kinematographischen Prämissen, nicht nur zum Ausdrucksmittel der Generation YouTube, sondern kann heute in jedem dritten TATORT am Sonntagabend bewundert werden, ohne dass ich den Eindruck gewinnen konnte, dass sich nun eine größere Wirklichkeitsnähe eingestellt hätte. Dieses Ziel hatte das Kino nie, nur in den Köpfen einiger Theoretiker. Und die Gesetze einer funktionierende Erzählung kann man auch nicht verbessern, indem man mit der Kamera wackelt.
Mit einigem Wohlwollen kann man Lars von Trier unterstellen, dass
„Melancholia“ durch seinen Stil immerhin das Disparate der von ihm skizzierten
zerfallenden bürgerlichen Gesellschaft ausdrückt. Aber offen gestanden: dieses
Wohlwollen bringe ich nicht auf.
Mittelalterliche Mystifizierung und die Traditionen der Gegenaufklärung – die Depression als
Veredelung
Es ist unschwer zu erkennen, dass Lars von Trier, wie er auch einräumte,
seine beide Frauenfiguren als Teile seiner eigenen Persönlichkeit
interpretiert. Von Trier hat aus seinen angstneurotischen und depressiven
Qualen nie ein Geheimnis gemacht. Und so dürfte am ehesten die Figur der
Justine seine Verfasstheit widerspiegeln. Und was macht er daraus?
Sie müsse zum Teil ihn spielen, erklärte der dänische Regisseur seiner Hauptdarstellerin. Nun zeigt „Melancholia“ aber nicht die Genese einer Major Depression, sondern deren Veredelung. Und die findet im zweiten Teil statt, der den Titel „Claire“ trägt.
Sie müsse zum Teil ihn spielen, erklärte der dänische Regisseur seiner Hauptdarstellerin. Nun zeigt „Melancholia“ aber nicht die Genese einer Major Depression, sondern deren Veredelung. Und die findet im zweiten Teil statt, der den Titel „Claire“ trägt.
In diesem Teil rückt nun auch Melancholia, der Planet, immer mehr in den
Mittelpunkt. Wurde er im ersten Teil lediglich angedeutet, so kommt er der Erde
nun immer näher und die Wucht der möglichen Katastrophe entlädt sich nun im
Miteinander der Restfamilie. Während Claires Angst vor dem Weltuntergang sie
zunehmend zu überrollen droht, bemüht sich John um wissenschaftliche
Erklärungen: die Experten hätten ausgerechnet, dass nichts passieren kann.
Von Trier, der sich vor Drehbeginn immerhin bei Astrophysikern gründlich
über mögliche Abläufe informiert hat, spart Externes aus; man sieht keine
Fernsehberichte, eine Ikonographie à la Roland Emmerich fehlt, der Untergang
findet in aller Privatheit auf der Terrasse statt, wo man durch einen zum Kreis
gebogenen Draht das Größer- und Kleinerwerden des sich nähernden und
entfernenden Planeten studiert. Während Justine zunächst körperlich immer
hinfälliger wird, scheint sie doch mit einer Hellsichtigkeit ausgestattet zu
sein, die der rationalen Claire und ihrem nicht weniger vernunftorientierten
Gatten John völlig fehlen.
Doch entscheidender ist es, genau zu untersuchen, wie Lars von Trier mit
seinen Frauenfiguren umgeht. „Die Welt“, so Justine, „ist schlecht.“ Es gibt
keinen Grund ihr nachzuweinen, sie wird untergehen, zu Recht auch. Und nach
dieser finalen Einsicht beginnt sie wieder ihre Kraft zurückzugewinnen. Zuvor
allerdings treten zu den inneren Gebrechen auch die äußeren hinzu. Justine kann
sich kaum auf den Beinen halten, das Essen schmeckt ihr wie Asche.
Geistesgeschichtlich hat dies Tradition, aber sicher eine andere als man erwartet,
denn in der Hinfälligkeit des Körpers und der anschließenden Veredelung steckt nichts
anderes als eine Portion mittelalterliche Mystifizierung, in der die Gebrechen des
Körpers infolge von Armut und Entbehrung zur heiligen Askese umgedeutet wurden.
In letzter Konsequenz schließt diese spirituell interpretierte Nähe zu Gott
auch den Tod ein. Auch gegenaufklärerische Tendenzen im Katholizismus des 18. Jh. stellen
besonders den weiblichen (!) Tod als Form heiliger Erlösung dar: „der Tod
vollzieht an den Frauen eine Heiligung, indem er sie auswählt. Sie wird von den
Frauen in einer Demutsgeste entgegengenommen“ (Irmgard Wirtz).
Dies sei allen Kritiker ans Herz gelegt, die vermuten, dass sich von Trier in „Melancholia“ zum ersten Mal wohlwollend mit seinen Frauenfiguren beschäftigt. Tatsächlich tauchen in „Melancholia“ mystische und anti-irrationale Konzepte auf, die man bei genauem Hinsehen ohne Ausflüge in die Geschichte der Gegenaufklärung, der Wunder und Mirakel, erkennen kann. Dass in diesem Konzept auch Figuren mit einer explizit rationalistischen Perspektive zu den Verlierern gehören, überrascht dann auch nicht wirklich: Kurz vor dem Ende wird sich John, der Rationalist, per Suizid kommentarlos aus dem Film verabschieden, während sich die depressive Mystikerin Justine nackt (w.o.a.: Demutsgeste) dem Licht des todbringenden Planeten aussetzt: der Tod als verklärte Erlösung. Die Apokalypse in letzter Konsequenz als göttliches Strafgericht.
Dies sei allen Kritiker ans Herz gelegt, die vermuten, dass sich von Trier in „Melancholia“ zum ersten Mal wohlwollend mit seinen Frauenfiguren beschäftigt. Tatsächlich tauchen in „Melancholia“ mystische und anti-irrationale Konzepte auf, die man bei genauem Hinsehen ohne Ausflüge in die Geschichte der Gegenaufklärung, der Wunder und Mirakel, erkennen kann. Dass in diesem Konzept auch Figuren mit einer explizit rationalistischen Perspektive zu den Verlierern gehören, überrascht dann auch nicht wirklich: Kurz vor dem Ende wird sich John, der Rationalist, per Suizid kommentarlos aus dem Film verabschieden, während sich die depressive Mystikerin Justine nackt (w.o.a.: Demutsgeste) dem Licht des todbringenden Planeten aussetzt: der Tod als verklärte Erlösung. Die Apokalypse in letzter Konsequenz als göttliches Strafgericht.
Wenn neben dieser verschwurbelten Mystik überhaupt etwas Menschliches in
„Melancholia“ zu sehen ist, dann ist es das Ende: Justine baut aus Ästen eine
„magische Höhle“, um Leo zu beruhigen und zu dritt warten dann alle auf den
Untergang. Trotz des empathischen Endes bleibt unterm roten Strich aber nicht viel
Versöhnendes zu berichten, denn die Message des Films bleibt: die Welt ist
schlecht, in jeder Beziehung am Ende und das Ende wird genüsslich zelebriert,
es ist etwas Heiliges im Verfall – und in der fast spirituellen Aufwertung der
Depression zu einer fast prophetisch klaren und asketischen Sicht auf die Dinge
zeigt uns der narzisstische Autor des Films aber offenbar auch, dass ihm dieses
Attribut ebenfalls zusteht.
Und so steht auch nicht Claire im Mittelpunkt des zweiten Teils, sondern es
ist weiterhin Justine, deren Veränderung den mentalen Verfall der Schwester
benötigt, um sich zu spiegeln und zur eigentlichen Bestimmung zu finden. So als
möchte er sich selbst Mut machen, lässt von Trier seine Hauptfigur klarer,
beherrschter und kälter werden. Die innere Leere soll sich gefälligst im
völligen Zusammenbruch des Äußeren niederschlagen und der Weg dorthin ist
einer, der den Menschen im Angesicht der Auslöschung veredelt. „Melancholia“
ist somit das Dokument zutiefst irrationaler und egomanischer Projektionen
seines Machers.
Ein prätentiöser
Film wird zum Problem der Filmkritik
Nun ist „Melancholia“ unisono von der Kritik gefeiert worden. Ob dies als
Reaktion auf das Cannes-Spektakel um Lars von Triers’ Hitler-Äußerungen
gewertet werden kann, ist eigentlich nicht so wichtig. Der Regisseur hat in
einem durchaus glaubwürdigen Interview erklärt, welche sprachlichen
Konnotationen ihn getrieben haben.
Mehr als von Triers’ politische Entgleisung haben mich die sprachlichen
Verirrungen einiger Kritiker aus den Socken gehauen. „Bildgewaltig“ und
„emotional schonungslos“ nannte ein Kritiker den Film, andere lobten die
„brillante Inszenierung“ und das „komplexe Drehbuch“.
Einige Adjektive wirken so, als seien sie einem sprachlichen Setzbaukasten
entnommen worden, und dass angesichts der eher stereotypen Genremuster eines
Familiendramas, das flüchtig und oberflächlich an Strindberg oder Bergman
erinnert, inszenatorische Brillanz und Komplexität zu entdecken sind, wollte
mir partout nicht einleuchten. Aber geschenkt.
Schlimmer ist da schon die Behauptung, von Trier führe den Zuschauer in die
Bilderwelten der deutschen Romantik. Diese hat gewiss einiges mit dem Tod und
seiner Ästhetisierung zu tun, aber ausgespart wird in der Interpretation eben
auch, dass die Romantik die Sehnsucht nach einer Heilung der Welt verkörpert,
eine Gemütsverfassung, die inneres Erleben metaphorisch in die äußere
Wirklichkeit projizierte, und zwar in die Natur. Romantik auf Todessehnsucht
herunterzubrechen, das ist purer Unsinn und zudem ein Klischee der
oberflächlichen Sorte.
Es ist schon ein Dilemma: Kritik und Filmemacher stehen häufig in einer
symbiotischen Beziehung. Letzterer liefert gerne ab, wonach Ersterer verlangt,
aber auch umgekehrt scheint es gut zu funktionieren. Dann nämlich, wenn Filme
Projektionsflächen für den Bildungsfundus des Kritikers bereithalten, aber bei
näherer Hinsicht substanziell nichts von dem enthalten, was man in ihnen zu
finden glaubt. Und wenn dann gar über die „revolutionierende Kraft des
Weltuntergangs“ geschrieben wird, ohne auch nur anzudeuten, in welcher
Beziehung Revolution und das absolute Nichts stehen, wird es richtig
schwurbelig.
„Melancholia“ ist – im Gegensatz zu den geschilderten Mutmaßungen – zwar
nicht kunstlos, in seiner Erzählweise aber angestrengt, egomanisch und
prätentiös – und Letzteres bedeutet auch ‚unfreiwillig albern’. Im Kern ist
„Melancholia“ eine Zumutung, die tief in den Fundus mystischer und
gegenaufklärerischer Konzepte greift. Wem dies gefällt, der soll es sich
anschauen. Allerdings sollte er wissen, mit was für einer geistigen Perspektive er es zu tun hat.
Zum Glück brauchen wir Lars von Triers Binnenschau nicht wirklich.
Wer einen Film über die Selbstauflösung in der Depression, den existenzielle Riss in unserer Existenz, die Todesnähe und die Einsamkeit in einer Welt ohne Gott sehen möchte, dem sei Ingmar Bergmans „Persona“ (1966) empfohlen. Das reicht.
Wer einen Film über die Selbstauflösung in der Depression, den existenzielle Riss in unserer Existenz, die Todesnähe und die Einsamkeit in einer Welt ohne Gott sehen möchte, dem sei Ingmar Bergmans „Persona“ (1966) empfohlen. Das reicht.
Pressespiegel
„Am Ende weiß man selbst nicht mehr,
was an dieser Welt noch rettenswert sein soll. Und als Melancholia schließlich
den ganzen Himmel einnimmt, spürt man wie Justine vor allem eines: Erlösung.
Gewaltigeres kann ein Film nicht leisten“ (Hannah Pilarczyk in: SPIEGEL
ONLINE).
„Frei von Besserwisserattitüde
liefert Melancholia eine Reflektion über die relativierende und zugleich revolutionierende
Kraft des Weltuntergangs“ (Barbara Schweizerhof in: epd Film).
„Der
filmhistorisch und filmografisch interessanteste Aspekt ist vielleicht die hier
irreversibel erscheinende Umdeutung, der die Handkamerabilder der
Hochzeitsepisode unterzogen werden. Denn von Trier gesteht mit ihrem Einsatz in
einer albtraumhaften Versuchsanordnung implizit ein, dass diese Bilder der
angeblich realistischen Vorzeichen nicht mehr dazu taugen, der Lage der Welt
habhaft zu werden. Wenn sie etwas können, dann ist es eine Vergangenheit und
Rohheit zu evozieren, die maßgeblich durchs Kino geschaffen wurde“ (Frédéric
Jaeger in: Critic.de).
„Mit seinen jüngsten Filmen und Wortmeldungen hat sich Lars
von Trier strategisch abseits eines aufgeklärt-rationalen Konsenses
positioniert...In Antichrist
brach er mit Freud und der Psychoanalyse, um diese durch eine Art paganistische
Naturlehre von der Geschlechterdifferenz zu ersetzen, Höhlenbildnisse
inklusive. Melancholia vertritt
nun einen ästhetischen Totalitarismus, der den Zusammenhang von Form und Inhalt
radikal aufgekündigt hat...Antichrist
und Melancholia markieren einen
vorläufigen Bruch mit der Tradition des europäischen Autorenkinos – weniger in
ihrer antibürgerlichen Einstellung denn in formaler Hinsicht“ (Andreas Busche
in: Freitag).
„Wem immer der Austritt
des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit etwas bedeutet, dem
macht Lars von Trier einen dicken Strich durch die Rechnung. Dafür wird der
dänische Filmemacher gerade unter Leuten bewundert, die sich als progressiv
verstehen. Ein wiederkehrendes Muster in der Rezeption seiner Filme ist, dass
man betont, sich auf diesen reaktionären Quatsch eigentlich gar nicht einlassen
zu wollen, dann aber von der Virtuosität der kinematografischen Mittel
überwältigt wird. In dieser Perspektive ist das Kino Lars von Triers der Ort,
an dem sich all die antimodernen Regungen austoben dürfen, die wir sonst
verdrängen...“ (Christina Nord in: taz.de).