Mittwoch, 26. Mai 2021

Army of the Dead - Zack Snyder hat die Zombies wiederentdeckt


Patient X kann zum Untergang der Menschheit führen: er ist ein riesiger Zombie mit besonderen Fähigkeiten. Ein Hochsicherheits-Konvoi der US-Army transportiert ihn von der Area 51 durch die Wüste Nevadas zu einem unbekannten Ziel. Die Soldaten haben aber Pech, denn das einzige Fahrzeug, das sonst noch in dieser Nacht unterwegs ist, ist das Auto eines frisch vermählten Paares. Schlimm: die beiden wollen Sex, während gleichzeitig das Fahrzeug gesteuert werden soll. Noch schlimmer: nach einem frontalen Zusammenstoß entkommt der Riesenzombie aus seinem Käfig, rekrutiert sofort die ersten Mitglieder seiner „Army of the Dead“ und marschiert nach Las Vegas.

Zack Snyders Versuch, für NETFLIX dem zu Tode gerittenen Genre des Zombie-Horrorfilms etwas Neues abzuringen, gelingt nur teilweise. Snyder persifliert das Genre in Grund und Boden und setzt dabei ganz auf den Überwältigungseffekt der schamlosen Übertreibung. Das ist garantiert nicht jedermanns Sache. Was Snyder aber kann: er findet starke Bilder. Visuell ist „Army of the Dead“ ein Hingucker. Und damit sind nicht nur die Kamerabilder gemeint.

Kluge Zombies, die sogar Sex haben

Gleich in Main Titel Sequence geht es los: Snyder teasert in fünf Minuten den Kampf gegen die Zombies bei der Schlacht um Las Vegas so temporeich und splatter-witzig zusammen, dass einem beim Hingucken schwindlig wird. Daraus basteln andere einen ganzen Film – Zack Snyder macht aus dem aufwändig produzierten Material, bei dem auch eine Kreissäge eine fiese Rolle spielt, dagegen ein blutiges und exzellent geschnittenes Entree, das (eigentlich) vom Hauptfilm nicht mehr zu toppen ist.
Es ist nicht leicht, Zack Snyder auf die Schliche zu kommen. Seinen Zombies erst recht nicht. In Snyders Remake des Romero-Klassikers „Dawn of the Dead“ flitzten die bissigen Gesellen so schnell durch die Gegend, dass ein untrainierter Mensch keine Chance hatte und in der neuen Futterkette von den Untoten schnell einverleibt wird. Nciht nur „World War Z“ hat die Idee von den flinken Untoten aufgegriffen und es ist beileibe nicht das einzige Beispiel dafür, wie sich die Topoi dieses Subgenres gegenseitig unter die Arme greifen.

In „Army of the Dead“ haben die in einer Sicherheitszone von Las Vegas eingehegten Beißer nun sogar eine Art von Kastenwesen etabliert. Die Unterschicht besteht aus tumben Beißern, die hirnlos fressen, was ihnen vor die Zähne kommt. Die Oberschicht, die sogenannten „Alphas“, sieht weiterhin ungepflegt aus, besitzt aber einen König und eine Königin, die sogar Sex haben (nicht alles wird dem Zuschauer erspart, dies zum Glück schon!).
Man kommuniziert miteinander und führt die Aktionen strategisch klug, aber immer noch recht verlustreich aus. Und der Zombie-König trägt sogar eine Metallkappe, damit er nicht durch einen simplen Kopfschuss außer Gefecht gesetzt werden kann. Verstehen kann man die klackernde und kreischende Sprache der Untoten aber nicht. Allerdings habe ich nicht die Untertitel ausprobiert, die NETFLIX großzügig wie auch andere Sprachversionen anbietet.

Zombies, die in bescheidenem Umfang denken können: das erinnert weitläufig an „Bub“, den schlauen Zombie aus Romeros „Day of the Dead“, aber mehr noch an die neue Herrenrasse in „The Last Man on Earth“ (Ubaldo Ragona, Sidney Salkow, 1964). Dort haben aber Vampire die Herrschaft über die Erde übernommen. Ohne diesen fast vergessenen Film mit Vincent Price in der Hauptrolle hätte George A. Romero nicht die Idee für „The Night of the Living Dead“ entwickelt.
Die Verfilmung des Romans von Robert Matheson Roman wurde später noch zweimal wiederholt: In „Der Omega Mann“ (Boris Sagal, 1971) zeigte Charlton Heston, wie man als letzter Mensch auf der Erde seine Tage verbringt. In „I am Legend“ (Francis Lawrence, 2007) war man dann etwas näher dran an den Untoten, die aber erst in „The Walking Dead“ von ihren intellektuellen und kulturellen Ambitionen befreit wurden und wieder angemessen langsam durch die Gegend torkelten.

Wirft man einen historisch nüchternen Blick in die Wikipedia und dort auf die Geschichte des Zombiefilms, kommt man auch ohne tiefschürfende Analysen schnell zu der Erkenntnis, dass in jeder Dekade Hunderte von Zombiefilmen von fleißigen C- und B-Movie-Produzenten und ihren mehr oder weniger unbekannten Regisseuren rausgehauen werden. Dabei gehorcht die Expansion des Genres den Gesetzen des Darwinismus: die Varianten, die sich schnell und vorausschauend an die Bedürfnisse der Zielgruppen anpassen, haben bessere Überlebenschancen.
Neue Idee werden von anderen aber rasch geklaut, variiert und kommen quasi als Mutanten auf den zuverlässig reagierenden Filmmarkt, dessen Bedarf nie ganz gedeckt werden kann. Und das, obwohl eigentlich alles schon einmal erzählt wurde und neue Ideen schon längst eine eigene Kategorie bei der Oscar-Verleihung verdient hätten: nämlich die des Besten Originellen Zombie-Drehbuchs.

Cleverer Genremix vom „Watchmen-Macher

Man sollte also von Zack Snyder nicht erwarten, dass er das Rad neu erfindet. Aber Snyder ist ein cleverer Filmemacher. Wer mit „Watchmen“ einen All Time-Klassiker hinbekommt, sollte auch Ideen für einen neuen Zombiefilm haben. Snyder erledigt diesen Job nicht nur mit neuen Zombies, sondern mit der letzten Waffe des Genrekinos, dem Eklektizismus. Wenn gar nichts mehr geht, vermischt man kurzerhand diverse Genres zu einem neuen Gebräu. Und so ist „Army of the Dead“ zugleich Horrorfilm, Heist-Movie, Komödie und Splatterfilm.

Dass Horror- und Splatterfilm zusammengehören – daran hat man sich längst gewöhnt. Und ein Heist-Movie ist „Army of the Dead“ deshalb geworden, weil der durchtriebene Geschäftsmann Bly Tanaka (Hiroyuki Sanada, „Life“, 2017) ein Team zusammenstellen lässt, das aus dem Tresor seines Casinos 200 Mio. US-Dollar bergen soll. Die Spielhölle liegt mitten in der Danger Zone von Las Vegas, denn ausgerechnet die Stadt in der Wüste Nevadas ist als erste von den Zombies überrannt worden. Das von den Zombies kontrollierte Zentrum der Stadt wird nun durch eine hohe Mauer aus Stahlcontainern von der Umwelt separiert. Viel Zeit bleibt Tanaka nicht, denn das Unterhaltungsbabel soll innerhalb weniger Tage mit einer Atombombe plattgemacht werden.

Den Auftrag für die Bergungsmission erhält der Burger-Brutzler Scott Ward (der 52-jährige Ex-Wrestler Dave Bautista hat sich ähnlich wie Dwayne Johnson als Schauspieler durchgesetzt: u.a. im Bond-Film „Spectre“, 2015, oder in Marvels „Guardians of the Galaxy“, 2017). Ward hadert mit seinem Schicksal, denn als mehrfach ausgezeichneter Elite-Soldat hat er mehr vom Leben erwartet als Burger zu braten. Nun träumt er von einer Versöhnung mit seiner Tochter Kate (Ella Purnell) und davon, mit Tanakas Prämie einen Schnellimbiss mit exklusiven Hummer-Brötchen zu eröffnen. Doch Kate hasst ihren Vater von ganzem Herzen, weil der unter Tränen ihrer zombifizierten Mutter ein Messer in den Schädel rammte.

Für eine erfolgreiche Familienzusammenführung braucht Ward die Kohle, und für die Kohle eine schlagkräftige Truppe. Die Zusammenstellung eines Experten-Teams ist seit John Sturges „The Magnificent Seven“ zu einem ermüdenden Running Gag geworden und wurde daher extrem häufig variiert – von Quentin Tarantino in „Reservoir Dogs“ (1992) und von Steven Soderberghs in „Ocean’s Eleven“ und seinen Nachfolgern. Aber bereits Soderberghs Film über die Team-Building-Maßnahmen des von George Cloony gespielten Edel-Ganoven Danny Ocean war nicht originell, sondern auch nur ein Remake. Trotz der vielen Wiederholungen: Filme über schlaue Einbrecher, die Tresore knacken, hatten immer dann großen Erfolg an der Kasse, wenn sie sich nicht bierernst nahmen und raffinierte Plots mit viel Humor erzählten. Warum das Ganze nicht mit Zombies in einen Topf werfen?

Nun ist Zack Snyder nur begrenzt für seinen treffsicheren Humor bekannt. Entsprechend fällt die Zusammenstellung des Teams aus, dessen Kern die befreundeten Ex-Soldaten Vanderohe (Omari Hardwick) und Maria Cruz (Ana de la Reguera) bilden. Hinzukommen in ‚Wards Eleven‘ u.a. der deutsche Safeknacker Dieter (Matthias Schweighöfer), die Helicopter-Pilotin Marianne Peters (Tig Notaro kopiert ihre Rolle in „Star Trek: Discovery“), die Danger Zone-erfahrene und daher ziemlich abgebrühte „Coyotin“ (Nora Arnezeder) und der Waffenexperte Guzman (Raúl Castillo). Und kaum fällt einem beim Zuschauen ein, dass eigentlich noch ein Soziopath und ein Killer mit eigenen Interessen dazugehören müssen, wird dieser Wunsch von Zack Snyder erfüllt. Den Soziopath gibt der notorische Vergewaltiger Burt Cummings (Theo Rossi), während man von Tanakas Sicherheitsbeauftragten Martin (Garret Dillahunt: „Fear the Walking Dead“) erwartet, dass er garantiert jeden im Team umbringen wird. Da hilft auch kein Teambuilding.

Humor? Nein, Persiflage und Zynismus!

Snyder bedient mit diesem Procedere so ziemlich jedes Klischee, das man (nicht nur) aus Heist-Movies kennt. Verpackt wird alles in mehr oder weniger sarkastische Dialoge, die – man muss es Snyder zugutehalten – nicht immer abgedroschen, sondern in Maßen witzig sind. Aber Snyders Umgang mit seinen Figuren ist grundsätzlich nicht sonderlich empathisch, sodass echte Herzenswärme ausbleibt und dem etwas sensibleren Zuschauer somit auch kein griffiges Identifikationspotential angeboten wird. Alles ist irgendwie erwartbar, auch dass Ward seine Tochter mitsamt ihrer philanthropischen Motive auf die lebensgefährliche Mission mitnimmt, obwohl er genau dies um keinen Preis tun wollte. 

Und die beiden Bad Boys der Gruppe? Sie haben in einem Splatterfilm ohnehin nur die Aufgabe, möglichst grausam umgebracht zu werden. Cummings erwischt er sofort, denn er wird den Alpha-Zombies zum Fraß vorgeworfen. Dies sei der Wegzoll, der für eine sichere Passage gefordert wird, erklärt die „Coyotin“.

Zack Snyder persifliert also so ziemlich alles, was man kennt und erwartet. „Army of the Dead“ ist eine Zombie-Horror-Heist-Komödie, die dem Affen Zucker gibt. Der gelegentlich milde, dann wieder zynische Spott Snyders gilt aber nicht nur den Figuren, sondern auch dem Zuschauer. Nur wird sich nicht jeder diesen Schuh anziehen wollen.

Abgesehen davon ist Snyder kein wirklich begabter Geschichtenerzähler, wenn es um Charakterentwicklung und Handlungsplausibilität geht. Wer echten Humor sucht, ist fehl am Platze. Aber wer abgebrühtes Macho-Getue mag, darf sich über Frauenrollen freuen, die ihre männlichen Kollegen in dieser Hinsicht mühelos an die Wand spielen.
Was Snyder wirklich gut kann, sind starke Bilder. Und damit sind nicht die Postkarten-Motive von spektakulären Settings gemeint. Auch die an sich simple Montage von nicht ganz so wichtigen Szenen verrät durch ideenreiche Kadrierung und ausgefallenen Kameraperspektiven eine Liebe zum Detail. Überhaupt ist „Army of the Dead“ eine One-Man-Show: Zack Snyder war Produzent, Regisseur und Kameramann in einer Person und hat auch am Screenplay federführend mitgearbeitet.

Auch der Soundtrack von Tom Holkenborg ist beide Ohren wert: neben dem Elvis Presley-Hit „Suspicious Minds“ sind Perlen wie der von den Raveonettes toll gecoverte Doors-Song „The End“ zu hören (mein Favorit). Aber auch The Cranberries mit ihrem „Zombie“ ist eine listig Entscheidung. Wer den Text kennt, weiß, was gemeint ist. Und da der zu knackende Safe den gewagten Namen „Götterdämmerung“ trägt, folgt prompt „Siegfrieds Trauermarsch“ aus Richard Wagners „Götterdämmerung“. Musikalisch gibt es für
„Army of the Dead“ also Bonuspunkte. 

Kopflos in Las Vegas

Der Rest ist schnell erzählt: nach einer längeren Atempause wird der Tresor geknackt, aber da verbliebene Bad Boy der Zombie-Königin den Kopf abgetrennt hat, macht sich ihr entrüsteter Gatte mitsamt seiner Armee auf den Weg, um Rache zu üben. Kein Wunder, war die Zombie-Queen doch schwanger. Der Rest ist ein Blutbad, in dem Wards Team unter meist grausamen Umständen getötet oder wenigstens in neue Zombies verwandelt wird. Und ganz am Ende wird Wards Tochter ausgerechnet mit der gleichen Situation konfrontiert, für die sie ihren Vater gehasst hat. Sie trifft die gleiche Entscheidung. Das ist clever, hat aber mit Humor nichts zu tun.
Toias Kniebe entdeckte für die
„Süddeutsche” in Zack Snyders Film entlastend viel Menschliches – auch unter Verweis auf ein Familiendrama, bei dem Zack Snyder 2017 seine Tochter verlor: „Dies ist nicht nur ein lustiger Heist-Film mit Zombie-Fleischeinlage, dies ist auch eine Reise in den Tod, die das Tragische nicht scheuen will. Familienbeziehungen müssen noch einmal besprochen, Fehler eingestanden und verziehen, Versäumnisse und Unmöglichkeiten betrauert, letzte Dinge geklärt werden. Und man kann es nicht übersehen - das sind die Szenen, um die es Zack Snyder eigentlich geht.“
Ich kann diese Meinung nicht teilen. Zack Snyders „Army of the Dead” ist zwar optisch ein Premium-Produkt, über weite Strecken aber so zynisch im Umgang mit seinen Figuren, dass man den menschelnden Dialogen nicht über den Weg traut. Am Ende sind fast alle tot, aber einer der beiden Überlebenden ist ein Gebissener. Er ist der einzige, der einen Haufen Geld retten konnte und nun mit zwei Stewardessen im Privatjet nach Mexico fliegt und edlen Champagner süffelt. Wohl bekomm’s.

„Army oft the Dead” ist aber nur der Anfang. Bei Warner Bros. lag der geplante Film seit 2007 quasi in der Schublade – 2019 schlug dann NETFLIX zu. Ein Prequel steht vor der Fertigstellung: „Army of Thieves“ ist der Arbeitstitel. Produzent ist Zack Snyder, die Regie führt in dem als „American romantic-comedy film with zombies“ angekündigten Film Matthias Schweighöfer.
Wer Schweighöfers speziellen Humor kennt, kann sich auf einiges gefasst machen. Wie wäre es denn mir einer zärtlichen Romanze zwischen einer Zombiebraut und Dieter? Ich freue mich schon auf die Dialoge.

Note: BigDoc = 3,5

Army of the Dead - Netflix 2021 - Regie und Kamera: Zack Snyder – Screenplay: Zack Snyder, Shay Hatten, Joby Harold. D.: Dave Bautista, Ella Purnell, Omari Hardwick, Matthias Schweighöfer u.a. Laufzeit: 148 Minuten.