Jedes Jahr steht unter einem anderen Stern. 2024 waren es zwei. Der erste heißt „Taylor Sheridan“ – ein Überriese (ja, diesen Sternentyp gibt es!) mit enormer Leuchtkraft. Der zweite heißt „Franchise“ und der wiederum ist ein Unterriese.
Gelistet werden im folgenden Beitrag die besten Serien des zurückliegenden Jahres. Kinofilme werden diesmal nicht berücksichtigt. Dass der Verfasser seit fünf Jahren kein Kino mehr besucht hat und Kinofilme nur noch gelegentlich streamt, ist bedauerlich, spiegelt aber den zeitlichen Aufwand beim Sichten von Serien wider.
Parasitäre Erzählungen
Würde der Verfasser keine Liste führen, hätte er rein subjektiv das Gefühl, in 2024 nur Serien von Taylor Sheridan gesehen zu haben. Das ist nicht der Fall, aber da bereits „Landman“ auf der to-do-Liste steht, stellt sich das Gefühl der Dauerpräsenz sofort wieder ein.
Ein Franchise ist in der schillernden Welt der Filme und der Serien dagegen eine ökonomische Strategie. Ist eine Serie quotenstark und das World Building mitreißend, wird der Markt mit Spin-Offs, Prequels und Sequels zugepflastert. Gut, Taylor Sheridan macht das auch.
Gemeint ist an dieser Stelle aber die Welt der Untoten, denn 2024 tauchte der totgesagte „The Walking Dead“-Kosmos trotz aller Unkenrufe mit zwei Spin-Offs und einem Sequel wieder auf. Obwohl die Quoten seit Jahren im Keller sind.
Ein Franchise wie TWD lebt nicht davon, dass man das Rad neu erfindet. Im Gegenteil. Auch die Prequels von „Game of Thrones“ und „Der Herr der Ringe“ sind wie TWD parasitäre Erzählungen, die die grandiosen Vorbilder gnadenlos auspressen. Und leider ist nicht alles gut, was man zu sehen bekommt. „House of the Dragon“ war so schlecht, dass der Rezensent sich die zweite Staffel ersparte. „Die Ringe der Macht“ konnten dagegen in der zweiten Staffel zulegen, auch weil man sich dank einer stringenten Story an die erdrückende Menge von Figuren schnell gewöhnt hatte. Und TDW? Gut bis durchschnittlich. Immerhin.
Im „Star Trek“-Franchise findet dagegen ein spürbarer Rückzug statt. Man konzentriert auf erfolgreiche Projekte, auf die man leider sehr lange warten muss. „Star Trek: Discovery“ hat sich 2024 von uns verabschiedet. Die Serie begann als Prequel und endete als Sequel. Das war mutig, denn die Networks und Streamingdienste finanzieren lieber Prequels. Die sind leichter zu erzählen. Die „Discovery“ machte dagegen einen Sprung in die Zukunft.
Was daraus zu lernen ist: das Weitererzählen kanonisierte Geschichten ist grundsätzlich besser. Nicht immer muss man wissen, was vorher geschah. Nun aber die besten neun Serien des Jahres, wobei der Verfasser auch Serien berücksichtigte, die er mit Verspätung ausgewertet hat.
Platz 1: Reservation Dogs
Kreiert wurden die drei Staffeln der Disney-Serie von Taika Waititi („Thor: Tag der Entscheidung“, 2017; „Jojo Rabbit“, 2020: Oscar für das beste adaptierte Drehbuch) und dem zum Stamm der Seminolen gehörenden Sterlin Harjo. „Reservation Dogs“ erzählt von der komplizierten Identitätssuche einer Gruppe von indigenen Jugendlichen. Der junge Bear (D’Pharaoh Woon-A-Tai) und seine Freunde Elora (Debery Jacobs), Willie Jack (Paulina Alexis) und der sanftmütige sowie hochintelligente Cheese (Lane Factor) leben als Kleinganoven in einem Reservat in Oklahoma in den Tag hinein. Perspektivlos und ohne Job, aber voller Träume und Visionen. Bear und seine Gang, die Rez Dogs, haben zwar Teile der weißen Kultur assimiliert, werden aber immer wieder mit den Riten und Traditionen ihres Stammes konfrontiert – erst recht als Bear der Geist eines Kriegers erscheint, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ziellose Stammesmitglieder auf den richtigen Weg zu bringen.
„Reservation Dogs“ ist weder so grausam wie Scorseses „Killers of the Flower Moon“ noch so schonungslos wie Taylor Sheridans Beschreibung des Missbrauchs indigener Kinder in „1923“. Die Geschichte der Rez Dogs wird stattdessen mit viel Humor und schrägen Figuren erzählt. Eine berührende Coming-of-Age-Geschichte, die tragische Momente aber nicht ausspart. Die bleiben nicht aus in einem Reservat, in dem ein Viertel der Bewohner unterhalb der Armutsgrenze lebt.
Bear und seine Freunde lernen aber trotz einiger Rückschläge und Verluste, wie eine indigene Gemeinschaft wachsen kann, wenn ihre Mitglieder nicht resignierend aufgeben, sondern Stärke durch Freundschaft und Solidarität gewinnen. Das ist weder formelhaft noch melodramatisch, sondern wird absolut authentisch erzählt. Kein Wunder: Die Drehbücher wurden ausschließlich von Native Americans geschrieben.
Alle Episoden der Serie haben eine Laufzeit von 25-30 Minuten. Erzählt wird überwiegend vertikal, auch Nebenfiguren erhalten auf diese Weise ihre eigene Geschichte. Zahlreiche Gastdarsteller wie Ethan Hawke und Graham Greene spielen in Nebenrollen mit, aber die jungen Darsteller (besonders Paulina Alexis) agieren absolut auf Augenhöhe. „Reservation Dogs“ endete 2023 mit der dritten Staffel, wurde aber in die „Best of“ aufgenommen, weil die außergewöhnliche Disney-Serie zu den besten der letzten Jahre gehört.
Note: 1.
Platz 2: Three-Body
Außergewöhnlich ist auch die Verfilmung des ersten Teils der Trisolaris-Trilogie des chinesischen Science-Fiction-Autors Liu Cixin. „Three Body“ hat aber nichts mit der Netflix-Serie „Three Body Problem“ zu tun. Die 30-teilige (!) chinesischen Serie war schneller als Netflix auf dem Markt und wurde von Tencent Video und dem Channel CCTC produziert. In Deutschland ist sie als OmU bei dem auf asiatische Serien spezialisierten Streaming-Anbieter Rakuten Viki zu sehen.
Liu Cixins nicht leicht zu konsumierende Trilogie erzählt eine Geschichte, die mitten in der chinesischen Kulturrevolution (1966-1976) beginnt, als die Astrophysikerin Ye Wenjie trotz einer dringlichen Warnung Kontakt zur außerirdischen Zivilisation der Trisolarier aufnimmt. Der Planet der fremden Spezies ist Teil eines Systems mit zwei Sonnen, deren willkürliche Bahnen nicht berechnet werden können - das in der Astrophysik bekannte Dreikörper-Problem. Die klimatischen Folgen sind verheerend, die Zivilisation der Trisolarier wird jahrhundertelang immer wieder aufs Neue zerstört. Nun wissen die Aliens aber, dass es einen Planeten gibt, auf dem sie sicher leben können. Und sie verfügen über eine Technologie, mit der sie die Menschen lange vor der geplanten Invasion manipulieren kann. Für die Trisolarier sind die Menschen lediglich Insekten, die man mit dem Fuß zertritt.
Jahrzehnte nach dem Erstkontakt sollen der ruppige Cop Shi Qiang und der introvertierte Nano-Wissenschaftler Wang Miao eine Reihe von Selbstmorden in der akademischen Community aufklären. Nach mühseligen Ermittlungen erkennen sie, dass die suizidalen Wissenschaftler von den Aliens in den Tod getrieben wurden, um die Technologie-Entwicklung der Menschen zu verzögern. Schließlich werden die Protagonisten auch noch mit einer geheimen Organisation konfrontiert, die die Invasoren unterstützt.
Überwiegend halten sich Showrunner und Autor Tian Liangliang und die Regisseure Yang Lei und Vincent Yang sehr eng an den Roman „Die drei Sonnen“, den ersten Teil der Trilogie. „Three Body“ ist in Sachen Werktreue also ziemlich Old School. Dass die Serie für die Adaption 30 Episoden benötigt ist dagegen innovativ. Das Pacing der Serie ist langsam, damit sorgt „Three Body“ für eine kontemplative Atmosphäre, die den Zuschauer wie in einem langsamen Sog in die fiktive Welt der Trisolarier und der Menschen hineinzieht. Weniger durch Action – die gibt es reichlich - als vielmehr durch die differenzierte Entwicklung der Figuren, deren komplexe Vergangenheit weit in die chinesische Geschichte zurückreicht. Für westliche Zuschauer dürfte die Serie trotzdem eine Herausforderung sein. Wer Geduld hat, wird aber mit einer perfekten Erzählung belohnt.
Fazit: eine faszinierende SF-Serie mit hervorragenden Darstellern. Die Kameraarbeit ist exzellent, der Soundtrack und die Effekte sind es auch. Bei den deutschen Untertiteln sollte man allerdings keine Perfektion erwarten. Note: 1,5. Blog-Rezension.
Platz 3: Foundation
Ganz ehrlich: die bis heute als Meisterwerk der Science-Fiction-Literatur geltende Trilogie von Isaac Asimov hat mir nicht gefallen, auch wenn Asimov im Foundation-Zyklus (“Foundation” 1951, “Foundation and Empire”, 1952 und “Second Foundation”, 1953) in langen Zeitlinien den Aufstieg und Fall eines galaktischen Imperiums beschrieb. Als Leser spürte man leider, dass der Autor einige Kurzgeschichten neu arrangiert hatte: wenig Handlung, viele Dialoge.
Die Adaption macht diese Fehler nicht. „Apple TV ist das neue HBO: risikofreudig und innovativ. Die Verfilmung der „Foundation“-Trilogie ist eine pralle und visuell überragende Erzählung geworden, die über weite Strecken neue Maßstäbe im Science-Fiction-Genre setzt“, schrieb ich in meiner Rezension.
In zwei Staffeln mit insgesamt 20 zum Teil einstündigen Episoden erzählen die Showrunner David S. Goyer und Josh Friedman diese monumentale Geschichte in epischen Bildern, die einen Vergleich mit „Dune“ und „The Creator“ locker aushalten.
Erzählt wird die Geschichte des Psychohistorikers Hari Seldon (großartig gespielt von Jared Harris, „Chernobyl“, 2019), der mathematisch die Zukunft der Galaxis berechnen kann. Dazu gehörte die Prognose, dass dem Zerfall des Imperiums 30.000 Jahre der Barbarei folgen würden. Mit der Gründung einer Foundation auf dem weit entfernten Planeten Terminus, könne man, so Seldon, nicht nur mit einer galaktischen Enzyklopädie das Wissen der Menschheit bewahren, sondern den unheilvollen Prozess auf ein Jahrtausend verkürzen.
Ästhetisch ist die Apple-Serie ein Muss für Zuschauer, die grandiose Bilder erwarten. Euphorische Kritiker feiern die Serie sogar als medienübergreifende Saga, die alles in den Schatten stellt, was bisher in der Science-Fiction geschrieben, verfilmt oder sonst wie erzählt wurde. Natürlich ist auch die Apple-Serie eskapistisch, streut aber immer wieder Verweise auf die politischen Probleme ein, die uns aktuell bewegen. Leider haben wir keinen Hari Seldon, der unseren Politikern erklärt, was in 100 Jahren geschehen wird. Note: 1,5.
Platz 4 – 9
Platz 4: Yellowstone
Es gibt Serienfreunde, die die der Paramount-Serie „Yellowstone“ verächtlich in die „Dallas“-Schublade strecken. Aber „Yellowstone“ ist keine Seifenoper wie die 1978 an den Start gegangene Geschichte des Ölmagnaten J.R. Ewing. Und Kevin Costner ist auch nicht Larry Hagman, obwohl es auch in „Yellowstone“ um Geld und Macht geht. Kevin Costner spielt deutlich düsterer die Rolle des John Dutton III, den Besitzer einer riesigen Ranch in Montana, der fünf Staffeln lang um ihr Überleben kämpft.
Die Vorgeschichte der „Yellowstone“-Ranch wurde von Showrunner Taylor Sheridan in den zwei Prequels „1883“ und „1923“ erzählt. In der Trilogie vermittelt Sheridan eine einfache Botschaft: das richtige Leben ist traditionell. Man züchtet Rinder, führt das Leben eines Cowboys und liebt Pferde. Das falsche Leben führen die Mächtigen an der Ostküste, die Equity-Unternehmen, die Banker und überhaupt die Kapitalisten, die gigantische Profite einfahren wollen und dabei nicht nur die Natur zerstören, sondern auch bereit sind, über Leichen zu gehen.
Allerdings agieren die Duttons keinen Deut besser. Seinem Star Kevin Costner, der lieber ein „Good Guy“ sein möchte, erklärte Sheridan, dass er den Rancher als „Godfather“ spielen müsse. Und tatsächlich geht die Familie Dutton mit viel krimineller Energie über Leichen, die an einem geheimen Ort entsorgt werden. Ein Heldenepos mit moralisch intakten Cowboys ist „Yellowstone“ nicht. Eher ein Spät-Western mit abgrundschwarzen Noir-Elementen.
„Yellowstone“ gehört zu den erfolgreichsten Serien der jüngeren Vergangenheit, erhielt aber kaum Preise und nur wenig Zuspruch von den Kritikern, die sich am Machismo der Männerfiguren abarbeiteten und Sheridan vorwarfen, eine „Red State“-Serie produziert zu haben. „Red State“ ist ein Synonym für ultrakonservativ. Taylor Sheridan ist aber kein verkappter Trumpianer, sondern würde lieber selbst ein Cowboy sein. Man sieht dies den phantastisch gefilmten Landschaften von Montana in jeder Episode an. Sheridan zeigt in „Yellowstone“ oft endlos lang die Arbeit der Cowboys, das Zureiten von Pferden und das Treiben von Rindern. Eine Entschleunigung, die andere Serienmacher aus dem Business kicken würde.
Die Ultrakonservativen warfen Sheridan dagegen vor, dass er zu woke sei. Richtig, und das ist auch gut so, denn nicht nur in „Yellowstone“, sondern auch in „1923“ schlägt sich Sheridan unübersehbar auf die Seite der Native Americans, die man früher bedenkenlos als „Indianer“ bezeichnet hat. Und Sheridans Frauenfiguren sind so tough und selbstbestimmt, dass es einen Trumpianer erschaudern ließe, würde er sich mit „Beth“ Dutton (Kelly Reilly) anlegen müssen. Das ändert nur wenig daran, dass die Kritiker eisern darauf bestehen, dass Sheridan Frauen nicht „kann.“ Wie auch immer: der Ex-Schauspieler ist der Goldesel von Paramount. Und wenn der Boom zu Ende geht, kann sich Sheridan auf seine eigene Ranch Four Sixes zurückziehen und Pferde zureiten. Note: 1,5.
Platz 5: 1923
In Taylor Sheridans Prequel geht es natürlich auch um den Kampf um die „Yellowstone“-Ranch, die von militanten Schafzüchtern bedroht wird. Harrison Ford und Helen Mirren spielen Jacob und Cara Dutton nicht ganz so ruppig wie „Godfather“ Kevin Costner, aber Cara kann durchaus zur Flinte greifen, wenn eine Bedrohung für die Familie abzuwehren ist.
Heimlicher Star der Serie ist aber Aminah Nieves als Teoanna Rainwater, eine Indianerin, die in einer American Indian Boarding School wie viele indigene Kinder und Jugendliche „umerzogen“ werden soll. Mit anderen Worten: die indigene Kultur mitsamt ihrer Sprache soll restlos zerstört werden. Für Teonna besteht die Erziehung zu einer zivilisierten Person darin, dass wie sie die meisten anderen Kinder von den katholischen Priestern und Nonnen sadistisch misshandelt und sexuell missbraucht wird.
In der deutschsprachigen Wikipedia findet man dazu keinen Beitrag, wohl aber in der englischsprachigen. Auch der SPIEGEL berichtete vor einigen Monaten über den Skandal. Der Papst hat sich mittlerweile entschuldigt und Taylor Sheridan verpasst dem Zuschauer eine Geschichtslektion, die unter die Haut geht. Note: 1,5
Platz 6: Masters of the Air
Eine Geschichtslektion, die ebenfalls unter die Haut geht, ist die von Steven Spielberg und Tom Hanks produzierte Serie „Masters of the Air“, für die Apple ein Budget von 250 Mio. US-Dollar bereitstellte. Im MIttelpunkt steht eine legendäre Bomberstaffel der US-Air Force, die 100th Bomb Group, die während des Zweiten Weltkriegs Ziele im Nazi-Deutschland angriff. Während die britische RAF nachts deutsche Städte bombardierte, flogen die Amerikaner mit ihren B-17-Bombern am helllichten Tag deutsche Militär- und Industrieanlagen an. Ein Selbstmord-Kommando. Nur wenige Piloten kehrten lebend von Einsätzen zurück.
Neun Folgen lang erzählen die Showrunner John Shiban und John Orloff von diesen selbstmörderischen Einsätzen. Austin Butler („Elvis“) spielt exzellent den in sich ruhenden Major Gale „Buck“ Cleven. Callum Turner ist der arrogante und undisziplinierte Major John „Bucky“ Egan – der genretypische Haudegen-Typ. Cleven und Egan gab es tatsächlich. Beide überlebten.
„Masters of the Air“ keine Serie, die sich durch Helden-Ikonisierung und pathetische Bilder auszeichnet. Die Kamera bleibt immer ganz nahe bei den Piloten und ihrer Crew. Das ist zwar weniger spannend als die hyperdramatischen Luftkämpfe in den „Top Gun“-Filmen, dafür ist der realistische Anspruch der Serie größer.
Als „Buck“ und „Bucky“ abgeschossen werden, landen sie in einem deutschen Lager und erleben die Folgen ihrer Einsätze aus nächster Nähe: zerbombte Städte, fliehende Menschen. Die Serie ist aber ideologisch keineswegs unentschlossen und daher weder pazifistisch noch ein Heldenstück mit viel Hurra-Patriotismus. Die Serie kennt Heldentum nur aus einer Perspektive, nämlich der Schrecklichkeit des Unvermeidlichen. Spielberg und Hanks nahmen sich sogar die Zeit, um von einem weiteren Kapitel der Militärgeschichte zu erzählen: dem täglichen Rassismus in der US-Army. Selbst mit dieser Zutat schmeckte vielen Kritikern die Serie nicht. Dies muss man schlucken. Note 2. Rezension.
Platz 7: We Were The Lucky Ones
In der achtteiligen Hulu-Miniserie „We Were The Lucky Ones“ führen Showrunner Erica Lipez und ihre Regisseure Thomas Kail, Amit Gupta, Measa Hardiman mit emotionalen, aber nie melodramatischen Bildern den Zuschauer in die Geschichte der jüdischen Familie Kurc ein, die 1939 im polnischen Radom ins Räderwerk der Nazis gerät. Die Eltern Sol und Nechuma besitzen im polnischen Radom eine Modegeschäft. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht stellt sich die Frage: Bleiben oder fliehen? In den folgenden Jahren werden die Kurcs und ihre Kinder in alle Winde zerstreut, überleben aber Verfolgung und Deportation ebenso wie die russischen Lager und die polnischen Ghettos.
Die authentische Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Buch von Georgia Hunter, in dem die Schriftstellerin 2017 das Schicksal ihrer Familie beschrieb. Eine Geschichte, die an ein Wunder grenzt. Erzählerisch schwächelt die Serie mitunter. Es gibt viele Handlungsstränge, aber die abenteuerlichen Erlebnisse der Kurcs werden in immer kürzer werdenden Sequenzen viel zu sprunghaft erzählt. Auch die Musik der Oscar-Gewinnerin Rachel Portman ist sentimental-melancholisch, dramatische Akzente sind eher selten. Was der Serie allerdings gut gelingt, ist die völlige Verunsicherung der jüdischen Familie. Sie erklärt, warum für einige Juden die Emigration keine Lösung war. Ein tödlicher Irrtum. Die neue grausame Realität, der Zerfall aller Hoffnungen und der Verlust der gutbürgerlichen Existenz – all dies wird in der Serie mit eindringlichen Bilder geschildert. Den in ganz Europa zunehmenden Antisemitismus wird die Serie aber weder erklären noch aufhalten können. Note: 2. Rezension.
Platz 8: The Walking Dead: Daryl Dixon, Season 1 und 2 (2)
Das Franchise ist nicht totzukriegen. Gleich drei Serien gingen 2024 an den Start. „The Walking Dead: The Ones Who Live” war ein waschechtes Sequel, das die Geschichte von Rick und Michonne zufriedenstellend beendete. Das eher düstere Geschehen in „The Walking Dead: Dead City” wählte mit Manhattan einen neuen Schauplatz als Kulisse für den immerwährenden Zwist zwischen den Publikumslieblingen Maggie und Negan. Maggie will ihren Sohn Herschel aus den Fängen einer mysteriösen Organisation befreien – und braucht dafür einen brutalen Sidekick. Und das ist ausgerechnet ihr Erzfeind Negan. Viel Neues gibt es in der Welt der Untoten aber nicht zu sehen.
Das kann man von einem anderen Spin-Off nicht behaupten In „The Walking Dead: Daryl Dixon” verschlägt es mit Daryl Dixon (Norman Reedus) einen Publikumsliebling ausgerechnet nach Frankreich, und zwar nach Paris und in die Normandie. Pittoreske Schauplätze, die allein schon für einen Mehrwert der beiden Staffeln sorgen.
Die im TWD-Kosmos obligatorischen Schurken verkörpern die paramilitärische Bewegung Pouvoir des Vivants (Die Macht der Lebenden) und die religiöse Sekte Union de L‘Espoir (Gemeinschaft der Hoffnung). Beide Gruppen streiten sich um den jungen Laurent (Louis Puech Scigliuzzi), ein hochintelligentes, sensibles Kind, das für die Sekte der neue Messias ist.
In der ersten Staffel war Daryls beste Freundin Carol (Melissa McBride) nicht dabei, in der zweiten („The Book of Carol“) steht sie ihrem Freund zur Seite. Die Qualität der Serie besteht aber nicht aus den üblichen Kämpfen gegen die Untoten und die zum Glück nicht ganz so klischeehaften Schurken, sondern aus der differenzierten Entwicklung der beiden Hauptfiguren. Besonders Melissa McBride überzeugt als Frau, die trotz ihrer Härte emotional vor dem Zusammenbruch steht. Ihre Freundschaft zu Daryl ist ihr letzter Rettungsanker vor dem inneren Absturz. „Daryl Dixon” ist ein überraschend kluges Charakterdrama, was Hardcore-Fans vermutlich nicht passen wird. Denn zum ersten Mal sieht man, dass Daryl auch weinen kann. Note: 2. Rezension.
Platz 9: True Detective – Night Country
Die HBO-Serie ist der vierte Teil der „True Detective“-Anthologie – und wieder darf man sich streiten. Die erste Staffel war ein Meisterwerk, der zweite und dritte Anlauf konnten nicht mithalten. „True Detective – Night Country” ist der zweitbeste Teil der Anthologie. Das liegt auch an der souverän spielenden Jodie Foster, die als lokale Polizeichefin Liz Danvers in Ellis, einem kleinen Nest in Alaska, acht verschwundene Wissenschaftler sucht, die in einer kommerziellen Forschungsstation gearbeitet haben. Dort wurde auch die abgeschnittene Frauenzunge einer vor sechs Jahren ermordeten indigenen Umweltaktivistin gefunden.
„Night Country” ist eine spannende Mischung aus Crime Plot, Öko-Thriller, Fantasy und Horror, in der die eisige Polarnacht die Grenzen zwischen Tag und Nacht aufhebt. Es ist immer Nacht im „Night Country“ und die meisten Figuren in dieser Noir-Geschichte sind mehr oder weniger kaputt. Es gibt keine Hoffnung, so Danvers, und auch keinen Gott und kein Jenseits, das Trost spenden könnte. Dem Oscar-nominierten Kameramann Florian Hoffmeister gelingt es ausgesprochen gut, diese deprimierende Stimmung im eis- und schneedeckten Ellis mit atmosphärischen Bildern ausdrucksstark zu verdichten, bis man mit jeder neuen Einstellung auch einen neuen Schrecken erwartet.
Die Serie enthält eine Vielzahl von Anspielungen und Querverweisen zu ersten Staffel, die zunächst hoffen lassen, dass Liz Danvers die Geschichte von Rust Cohle und Marty Hart endgültig aufklärt. Leider stellen sich die sehr expliziten Anspielungen am Ende als Fake heraus. Showrunnerin Issa López fixt in der sechsteiligen Serie den Zuschauer geschickt an, am Ende hat nichts davon eine Bedeutung. López entpuppte sich damit als Unreliable Narrator, also als ein Erzähler, dem man nicht trauen kann. Damit wurde das Potential einer durchweg spannenden Erzählung vergeudet. Note = 2. Rezension.
Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch in das neue Jahr!