Samstag, 22. April 2023

Picard – die dritte Staffel ist ein gescheitertes Experiment

Es war so geplant: nach der dritten Staffel endet die Geschichte von Jean-Luc Picard. Der 82-jährige Patrick Stewart spielte den Captain der USS Enterprise von 1987-1994 in der TV-Serie „Star Trek: The Next Generation“ und später auch im Kino (1994-2002). Die Figur des gradlinigen und gelegentlich auch etwas unnahbaren Jean-Luc Picard gilt bei vielen Trekkies als der beste Starfleet-Captain aller Zeiten. Die „Picard“-Trilogie sollte daher ein würdiger Abschied von einer ikonischen Figur werden.
Dies gelang nur begrenzt. Man erkennt dies, wenn man die Serie im Zusammenhang mit den anderen Franchise-Reboots analysiert. Wer dies tut, bemerkt, dass „Picard“ völlig andere Akzente setzt. Offenbar wollten Alex Kurtzman und Showrunner Terry Matalas herausfinden, ob man die Geschichte als düstere Dystopie erzählen kann. „Picard“ wurde so zum Gegenentwurf zu „Star Trek: Discovery“ und „Star Trek: Strange New Worlds“, scheiterte aber an elementaren Fehlern. Trotzdem wurden die Macher mit exzellenten Ratings belohnt.

Wem kann man noch trauen?

Ein Charakterdrama war „Picard“ aufgrund der Fokussierung auf die ikonische Hauptfigur immer schon. In der Serie gab es viele neue und alte Figuren, nette nostalgische Momente, sogar Seven of Nine (Jeri Ryan) tauchte auf. Aber die Fans hatten auch viel zu schlucken, denn der in TNG eher beherrschte und emotional verschlossene Picard wurde im Prequel psychologisch viviseziert und musste plötzlich seine dunklen Seiten zeigen. Picard: eine emotional verhaltensgestörte Person? Und so verbanden zwei Fragen alle drei Staffeln: Ist der alte Captain überhaupt familienfähig? Oder ist er emotional zu blockiert?

Das kann schief gehen, allerdings auch das Entwicklungspotential einer Figur freilegen. In der ersten Staffel starb Picard, konnte aber in einem Androiden-Körper weiterleben. Auch andere Handlungsvolten waren skurril. Der Suizid Datas (Brent Spiner), bei dem Picard Sterbehilfe leistete, gehörte zu den Tiefpunkten der ersten Staffel, die zunächst noch den alten Charme versprühte, bevor sie am Ende doch sehr enttäuschte. Zur Erinnerung: Ich hielt im Vergleich mit
„Star Trek: Discovery“ (DSC) die Geschichten über den greisen Captain trotzdem für die bessere Serie.

Die zweite Staffel gab sich etwas humorvoller und wärmte erneut das „Borg“-Thema auf. Die Macher setzten auf temporale Verschiebungen, schmeckten diesen abgegriffenen Tropus aber mit witzigen Dialogen wenigstens einigermaßen gelungen ab. Selten war eine Borg-Königin so unterhaltsam. Unterm Strich war die Staffel einigermaßen amüsant, auch wenn man beim Hin- und Herspringen in den Zeitlinien keine Antwort auf die Frage fand, welche Konsequenzen dies für die Hauptzeitlinie haben wird. Und erneut zur Erinnerung: DSC pirschte sich mit der dritten Staffel dank einem Mix aus vertikalen und horizontalen Episoden an Rezensenten heran:
Es scheint daher so, als würden die Macher mit „Star Trek: Discovery“ eher die konservativen Trekkies triggern, während „Picard“ zu einer postmodernen und lässig hingerotzten Serie für jene Zuschauer wird, denen der Kanon herzlich egal ist."

Das ist nicht schlimm, denn in der dritten Staffel haben die Protagonisten ohnehin alles vergessen, was in der zweiten Staffel geschah. Diesmal sind die Wechselbälger die Schurken (vgl. „Dominion“-Krieg in „Star Trek: Deep Space Nine“). Sie planen die vollständige Infiltration der Sternenflotte – Picard und seine Crew finden sich in einem lebensgefährlichen Verschwörungsplot wieder. Und keiner weiß, wem er noch trauen kann.

Jean-Luc Picard hat in seinem letzten Abenteuer aber auch an einer zweiten Front zu kämpfen. Und wie zuvor wird er durch die Ereignisse gezwungen, sich erneut seinen emotionalen und charakterlichen Defiziten zu stellen. Auslöser ist ein Notruf von Dr. Beverly Crusher (Gates McFadden). Picard und William Riker (Jonathan Frakes) erfahren, dass Crushers Schiff, die SS Eleos, angegriffen wird. Es gelingt ihnen Liam Shaw (Todd Stashwick), den Captain der USS Titan-A, zu täuschen, um mit der Hilfe von Seven of Nine einen Rettungsversuch zu unternehmen. Der gelingt, aber Picard erfährt dabei, dass Jack (Ed Speleers), der Begleiter seiner ehemaligen Bordärztin, ihr gemeinsamer Sohn ist.

Picard wusste nichts von dessen Existenz. Und er „erinnert“ sich auch nicht daran, dass ihm bereits in TNG 7.12 „Bloodlines“ (Boks Vergeltung) mit Jason Vigo ein Sohn präsentiert wurde. Am Ende war dies nur die Täuschung eines rachesüchtigen Ferengi, aber emotional war die Existenz eines Sohns für Picard eine Herausforderung.
Und nun wieder das gleiche Thema. Jack Crusher lehnt seinen Vater, der nie für ihn da war, rüde ab. Aber er findet sich mit einem Zweckbündnis ab, da er von einem mysteriösen Raumschiff verfolgt wird, dem Würger. Captain des mit Hi-Tec-Waffen ausgerüsteten Schiffes ist die nicht weniger mysteriöse Vadic (Amanda Plummer), die Jack um jeden Preis in ihre Hände bekommen möchte. Jack wiederum wird von merkwürdigen „Gesichtern“ gequält – er hat beängstigende Visionen, die er nicht deuten kann. Und er besitzt telepathische Fähigkeiten, mit denen er andere Personen unter seine Kontrolle bringen kann. Viel Stoff also, um die Familienfähigkeit von Picard auf die Probe zu stellen.
Gleichzeitig versucht die Starfleet-Geheimdienstoffizierin Raffaela Musiker (Michelle Hurd) die Hintergründe eines Terroranschlages auf die Starfleet aufzudecken. Dabei entdeckt sie, dass ihr unbekannter Führungsoffizier Worf (Michael Dorn) ist. Beide finden heraus, dass sich die Wechselbälger nach der Kapitulation des Dominions rächen wollen und die Sternenflotte bereits bis in die höchsten Ränge unterwandert haben. Das Problem: man kann sie per Körperscan nicht mehr identifizieren.

Balanceakt zwischen Traditionen und Innovation

„Picard“ gehört zum Video-on-Demand-Service von Paramount +, das nach einem Rebranding auf CBS All Access folgte und „Star Trek: Discovery“, „Star Trek: Strange New Worlds“, „Star Trek: Short Treks“ und eben auch „Star Trek: Picard“ im Portfolio aufgenommen hat. Für den Streamingdienst Paramount+ besitzt das Star Trek-Franchise eine Schlüsselrolle. Seit 2018 ist Alex Kurtzman für den neuen Star Trek-Erzählkosmos verantwortlich. Kurtzmans Strategie lässt vermuten, dass der Showrunner ein Konzept im Sinn hatte, das auf die Breite des Serienmarktes abzielt. Anders formuliert: es sollten mehrere Star Trek-Serien gleichzeitig zu sehen sein. So entstanden Serien mit einem sehr unterschiedlichem Star Trek-Feeling. Es war ein Balanceakt zwischen Tradition und Innovation.

„Star Trek: Discovery“ setzte zu Beginn mit einem überragenden visuellen Konzept auf die Überwältigung des Zuschauers. DSC sah teuer aus und war es wohl auch. Als Prequel spielte die Serie in der Prä-Kirk-Zeitlinie, präsentierte aber Technologien, von denen der TOS-Captain nur träumen konnte. Roddenberrys Ideen wollte man aufgreifen. So sollte laut Alex Kurtzman nicht nur in DSC mehr Diversität zu sehen sein (in „Picard“ haben Raffaela Musiker und Seven of Nine eine Beziehung). Gleichzeitig war der Grundton der Serie sehr emotional, die Dialoge waren pathetisch, nicht selten ohne Tiefgang. Es ist halt ein Unterscheid, ob man wie in einem Melodram ständig die Ethik der Sternenflotte in gefühlsbeladenen Dialogen beschwört oder schlicht und einfach Handlungen und Entscheidungen sprechen lässt. Allerdings ist es nachvollziehbar, dass man nach einem gewaltigen Sprung in die Zukunft (Staffel 2) häufiger über seine Identität nachdenkt. Auf jeden Fall passte dieser Grundton gut zur empathischen und hochemotionalen Hauptfigur.
Spocks Adoptivschwester Captain Michael Burham (Sonequa Martin-Green) war nah am Wasser gebaut und konnte ihren Opferkomplex auch nach vier Staffeln nicht überwinden. Sie löste Konflikte weniger durch Logik, sondern durch Intuition und Emotionalität. Aber DSC probierte auch Altes aus: in der dritten Staffel gab es einen Mix aus vertikal und horizontal erzählten Episoden. Mit der 4. Staffel gelang der Durchbruch: DSC entfaltete ein glaubwürdiges Star Trek-Feeling. Dies gelang, weil wieder extrem gute Standalone-Geschichten erzählt wurden. Dass DSC nach der 5. Season abgesetzt wird, kann man nur als Ironie des Schicksals deuten.

In „Star Trek: Strange New Worlds“ wurde diese vermeintlich altmodische Erzähltechnik fest etabliert. Es wurde wieder vertikal erzählt. Kurtzman sah in SNW offenbar eine Legacy-Serie, die den am Kanon orientieren Trekkies den lange geforderten Fanservice bieten sollte. SNW gehört daher eindeutig in die Rubrik „Traditionspflege“ und war auch wegen seiner guten Geschichten ein voller Erfolg, auch wenn drei Episoden nicht sonderlich gelungen waren. Der Rest war aber stimmig und für Paramount+ waren die Abrufe perfekt. „Star Trek: Strange New Worlds“ stand lange unangefochten an der Spitze der erfolgreichsten Serien des Jahres 2022. Spätestens danach war erkennbar, dass alle Reboot-Serien völlig verschieden sind und nach einem Erfolgsrezept suchen sollten. Offenbar wollte Kurtzman unterschiedliche Erzählkonzepte checken, um die Entwicklung des Franchise in die erfolgversprechendste Richtung zu lenken.

Auf Innovation und Experimentierfreudigkeit setzte Kurtzman eher mit „Picard“. Nach einer heftig diskutierten ersten Staffel, deren Pacing eher angenehm konservativ war, folgte eine mit deutlich mehr Humor angereicherte post-moderne zweite Staffel, bei der die Macher (wieder einmal) Time Travels nutzten, um möglichst schräge Geschichten erzählen zu können.

Umso erstaunlicher war dann die 3. Staffel: Ästhetik und auch die Storyline präsentierten eine tiefschwarze Dystopie. Der düstere Look war beeindruckend, aber auch deprimierend. Dank einer brillanten Lichtregie und entsättigten Farben agierten die Figuren in dunklen Settings, die an einen düsteren Gothic Horror-Film und kaum noch an die helle und farbintensive Star Trek-Ästhetik erinnerten. Dadurch setzte sich „Picard“ nicht nur von den anderen Reboot-Serien ab, sondern wechselte auch innerhalb der Staffeln den Grundton der Geschichte.
Dies war mehr als gewöhnungsbedüftig. Mehr noch: die von Amanda Plummer gespielte Schurkin Vadic agierte klischeehaft wie eine sadistische Comic-Figur. Trotz dieser Überzeichnung und ihrer düsteren Textur ist die dritte Staffel als andere als trivial. Die Dialoge sind differenzierter als der pastorale Grundton von „Star Trek: Discovery“. „Picard“ ist also deutlich erwachsener geworden. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Staffel frei ist von sentimentalen Anflügen. Am Ende
verzettelte sich die Serie in einer hyperkomplexen Plotline mit vielen Logikfehlern und dem Versuch, den Fans den lange geforderten Fanservice zu bieten. Kommen wir daher zum Nostalgie-Faktor.

Alle dürfen noch einmal

Das Revival des bislang wohl beliebtesten Starfleet-Captains muss natürlich einen epochalen Schlussstrich ziehen. Also sollte die Vergangenheit die erzählerischen Ressourcen für eine letzte Runde bereitstellen. Terry Matalas baute daher die alte TNG-Crew komplett in die Storyline ein. Das Revival der alten „Next Generation“-Crew war die Reaktion auf eine Reaktion. Zahlreiche Fans hatten sich in den Foren über die düstere Stimmung der vorangegangenen Staffeln beklagt.
Nostalgie war die Antwort. Um die alte Crew komplett in die Staffel zu integrieren, waren allerdings Einschnitte erforderlich. Deswegen blieb aus dem Hauptcast der ersten beiden Staffeln nur Michelle Hurd als Raffaela Musiker übrig.
Das Revival war streckenweise sehr amüsant. William Riker und Deanna Troi (Marina Sirtis) durften ihre alten Eheprobleme diskutieren. Picard arbeitete sich zusammen mit Beverly Crusher am Vater-Sohn-Konflikt ab. Und selbstverständlich wurde der mittlerweile zweimal verblichene Data wieder aus dem Hut gezaubert. Irgendein Backup findet man immer, allerdings war leider auch der böse „Lore“ dabei abgespeichert worden. Data musste sich in einer Battle of Brains zunächst um die Vorherrschaft im Androiden-Körper behaupten. Lore wurde elegant in die digitalen Jagdgründe befördert, Data verfügte danach über Humor und Gefühle. Selbstverständlich war etwas verspätet auch Geordi LaForge (LeVar Burton ohne Visor) mit von der Partie. Und am Ende versammelte sich die alte Stammcrew an einem Tisch, um gemeinsam in die letzte Schlacht zu ziehen. Zusammen mit der alten USS Enterprise NCC-1701-D, die auf einem Raumschiff-Friedhof requiriert wurde.

Showrunner Terry Matalas hatte also alles in die Serie gepackt, was nicht drei auf den Bäumen war. Seven of Nine („Star Trek: Voyager“) war von Anfang an dabei. Nun stieß auch der Wissenschaftsoffizier der Voyager dazu, der altersgraue Tuvok (Tim Ross). Der bei den Trekkies beliebte Professor Moriarty (Daniel Davis) musste auch irgendwie in die Handlung, hatte aber nur einen bemitleidenswerten und völlig charmebefreiten Auftritt als holographisches Sicherheitsprogramms. Und Ro Laren (Michelle Forbes) durfte sich heroisch für die Sternenflotte opfern. Andere Darsteller wie Whoopi Goldberg als Guinan und Will Wheaton als Wesley Crusher hatten
bereits in der zweiten Staffel eine Ehrenrunde gedreht. Und Q (John de Lancie) war allerdings in Staffel 2 von uns gegangen. Aber man weiß ja nie. (Diesen Absatz hatte ich nach der vorletzten Episode geschrieben. Es war also keine Überraschung, als der tote Q in der letzten Episode tatsächlich wiederauftauchte). Es fehlte nur noch Captain Janeway. (Kate Mulgrew fand leider kein Plätzchen in „Picard“).
Diese nostalgische Revival-Tour fügte dem ansonsten düsteren Plot einige witzige Szenen hinzu. Etwa wenn Worf in misslicher Lage Riker lapidar erklärte: „Es gab heute tatsächlich einen Moment, bei dem ich befürchtet habe, dass wir tatsächlich überleben!“ Launig war auch Datas Erklärung einer kniffeligen Entscheidung (
zum Entsetzen der Brücken-Crew!): „Ich verlasse mich da ganz auf mein Bauchgefühl!“

Andere Plot-Twists wirken angestrengt und nicht immer war es schön, die bekannten Figuren als Rentner-Gang wiederzusehen. Einigen Darstellern gelang es nicht mehr, schauspielerisch ihr altes Niveau zu erreichen. Die 74-jährige Gates McFadden hat zuletzt nur noch unregelmäßig gearbeitet. Der 66-jährige LeVar Burton war wenigstens drei Staffeln lang in der Serie „Perception“ (2012-2015) in einer Nebenrolle aktiv. Der 71-jährige Michael Dorn ist längst in Rente, machte in seiner alten Rolle aber noch die beste Figur. Allein die 67-jährige Marina Sirtis ist noch gut im Business unterwegs und spielte sogar 2x in „The Orville“ mit, einer Serie, die mehr Star Trek zu bieten hatte als die meisten Reboot-Staffeln.

Und das Ende? Ein Fiasko!

Wenn es einen roten Faden bei den unter der Ägide von Alex Kurtzman entstandenen Serien gibt, dann ist es folgender: alle Staffeln starten vielversprechend, bauen in der zweiten Staffelhälfte ab und ruinieren durch ein überdrehtes Ende den Gesamteindruck. „Picard“ endet leider nicht anders – die letzten beiden Episoden überbieten als Sammelsurium von Absurditäten sogar alles bereits Dagewesene. Allein der Episodentitel ist Murks: „The Last Generation“. Tatsächlich werden Abertausende junger Starfleet-Crews von Picard und seinen Mitstreitern gerettet – sie sind (eigentlich) „The Next Generation“.
„Die erste Staffel von "Star Trek: Picard" ist im Kleinen, was "Lost" als Serie ist: eine Enttäuschung aufgrund der vielen aufgebauten, aber nicht aufgelösten Handlungsstränge und Andeutungen, die nirgendwo hinführen“, ätzte Erwin Schotzger vor einigen Jahren auf film-at. Er behielt Recht. Geändert hat sich wenig.

Es sind aber nicht nur die zusammengeschusterten Handlungsstränge, die der Serie am Ende den Garaus machen, sondern es war auch die willkürliche Übersteigerung ins Bombastische. Matalas glaubte wohl, mit ausreichend Nostalgie die Fans auf seine Seite ziehen zu können. Und last but not least nervte die formelhafte und zwanghafte Lust von Alex Kurtzman, am Ende immer eine gigantomanische Raumschlacht zeigen zu müssen, die wie ein billiges Computerspiel aussieht.

Und was passiert in der Episode „The Last Generation“ im Detail?

In der vorletzten Staffel von „Picard“ wurden die Borg urplötzlich aus dem Zylinder gezogen. Picards alte Widersacher hatten eine Allianz mit den Wechselbälgern geschmiedet. In der letzten Episode enthüllt die Borg-Queen ihren Plan: die Erschaffung einer wunderbaren neuen Welt ohne organisches Leben: „Wir wollen nicht länger Assimilation, sondern Evolution“. Hört sich nach „Control“ (s.a. DSC, Staffel 2) an, also wieder alter Wein in neuen Schläuchen. Ob die Borg nach der Eroberung der Galaxis die Wechselbälger am Leben lassen? Egal.
Um die Zerstörung der Föderation zu realisieren, wurde die DNA von „Locutus von Borg“ aka Jean-Luc Picard während seiner kurzen Assimilierung im Jahre 2366 verändert. Offenbar hatten die Borg vergessen, die neuen DNA-Informationen zu speichern. Sie mussten daher aus der Leiche (!) von Picard extrahiert werden (sein Bewusstsein befindet sich seit Staffel 1 in einem Androiden-Körper), weil die Borg sie für die Manipulation der Transportertechnologie benötigen. Alle, die nach dem Eingriff innerhalb der Sterneflotte gebeamt werden, werden auf der Stelle assimiliert, aber nur wenn sie jünger als 25 Jahre sind. Passenderweise hatte sich die samte Starfleet-Flotte für eine bevorstehende Jubiläumsfeierlichkeit digital vernetzt, was den Borg wundersam in die Hände spielt. Ratz-fatz ist innerhalb weniger Minuten der jüngere Teil der alten Sternenflotte assimiliert. Die Alten werden erschossen.

Und Jack, Picards Sohn? Der wird als Signalverstärker (!) von der Borg-Queen benötigt und „sendet“ an die unterworfene Sternenflotte taktische Befehle. Dass technologische Innovationen (die Queen kommunizierte bislang immer drahtlos!) zu den Stärken der Borg gehören – geschenkt. Völlig losgelöst von Kanon und Logik fabulierten die Autoren auch den Rest peinlich zusammen: die Strategie der Queen hing davon ab, dass mit Jack ein nicht vollständig assimilierter (!) Mensch als Modul einsetzt. Picards Sohn malt sich eine glänzende Zukunft als Drohne aus, um seine Einsamkeit zu überwinden. Aber es reichen 
einige herzerweichenden Appelle seines Papas, um ad hoc ins andere Lager zu wechseln. Da fast alle Drohnen mittlerweile gestorben sind und die Borg-Queen wie ein faulender Zombie an der Decke des Kubus hängt, müssen Picard, Riker und Worf danach nur noch ein kleines Modul zerstören, um die Borg endgültig und für alle Zeiten ins Nirwana zu befördern.
„...die Art und Weise (wirkte) teilweise auch etwas albern beziehungsweise inspirationslos. Wenn Data die Enterprise in die Borgwürfel hineinsteuert, um einen Kern zu zerstören, der wiederum für die Explosion des ganzen Würfels sorgt, kann man schon einmal die Frage stellen, ob die Autoren eventuell zu viel Star Wars während dem Schreiben der Drehbücher geschaut haben“, bilanzierte Hannes Könitzer, ein eher wohlwollender Kritiker der Serie.

Alle wollen weitermachen - die Quoten stimmen nämlich

Es war – gelinde gesagt – zum Fremdschämen. „Lazy Writing“ nennt man die Laxheit, mit der Autoren solide Drehbucharbeit umschiffen, um mit bekannten, formelhaften und unlogischen Plotlines eine Serie abzuwickeln. Am schlimmsten war, dass Amnesie der faule Trick war, den Kurtzmans Writer’s Room zu diesem Zweck präsentierte: alle Ereignisse der ersten und zweiten Staffel waren vergessen, auch die vielversprechende Entwicklung der Borg-Queen in Staffel 2 hatte es nie gegeben. Erinnern wir uns: In Season 2 reist Agnes Jurati (Alison Pill) als neue Borg-Queen in die Zukunft, um die Aufnahme der Borg in die Föderation zu beantragen!
So what, werden sich die Autoren gedacht haben.

Fazit: es reichte trotz einiger guter Ansätze nicht für eine positive Bewertung, eher für eine wohlwollende. Und das allein nur deswegen, weil die Serie mit der Zusammenführung der alten TNG-Crew die nostalgischen Bedürfnisse des in die Jahre gekommenen alten Stammpublikums befriedigte.

Das Storytelling war dagegen mies. Zum einen, weil die Mixtur aus dystopischen und nostalgischen Elementen am unausgewogenen Pacing
scheiterte. So zog sich die Geschichte um Vadic und ihren Würger im Mittelteil unnötig in die Länge. Zum anderen wurde das Finale dagegen mit einem Tempo durchgepeitscht, das voller Logikfehler war. Offen gestanden: die dritte Staffel war arg langweilig, bevor sie mit der überraschenden Wendung in der 9. Episode doch noch etwas Spannung aufkommen ließ, dann aber alles völlig überdrehte und die dritte Staffel krachend scheitern ließ.

Das sehen die Protagonisten natürlich anders. Die Darsteller der alten TNG-Crew, allen voran Patrick Stewart, sind begeistert von der Idee, eine weitere Spin-Off-Serie zu produzieren. Auch mit Figuren aus „Deep Space Nine“ und „Voyager“. Entsprechende Fan-Petitionen gibt es bereits, zumal „Picard“ bei Rotten Tomatoes (98%) und Metacritic (84%) ausgesprochen gute Quoten erzielte.
Aber dazu wird es wohl nicht kommen. „Picard“ ist beendet und „Discovery“ wird nach der fünften Staffel eingestellt. CBS und damit auch Paramount+ haben offenbar nicht mehr die Möglichkeit, breit in neue Serien zu investieren. Dieser Kurswechsel bedeutet, dass man sich auf „Strange New Worlds“ konzentrieren wird. Auch wenn Alex Kurtzman neue Serienideen im Kopf hat. Offenbar ist der Markt gesättigt und die Null-Zinsen-Phase ist vorbei. Billiges Geld für Investitionen ist nicht mehr zu bekommen. Andere Anbieter befinden sich ebenfalls auf Sparkurs. It’s the economy, stupid!

Wahrscheinlicher ist, dass mit „Star Trek: Academy“ nur eine neue Serie finanziert wird. Kurtzman dachte nach dem Oscar- und Golden Globe-Gewinn von Michelle Yeoh („Everything Everywhere All at Once“) auch über eine Sektion-31-Serie mit der Imperatorin Philippa Georgiou nach. Aber nun soll stattdessen ein Kinofilm mit der charismatischen Darstellerin produziert werden. Und so ist vorläufig „Strange New Worlds“ für CBS das letzte As im Ärmel.

Eine Fortsetzung von „Picard“ sollte uns daher erspart bleiben. Alle drei Staffeln sind leider abgeschlossene Erzählwelten ohne eine zusammenhängende Handlungslogik. Von einer Rücksicht auf den Kanon kann schon längst keine Rede mehr sein, vielmehr verzetteln sich sich die Showrunner und ihre Autoren durch überflüssige Time Travels oder ignorieren ganz einfach die Ereignisse der vorangegangenen Staffel. Dass alle Reboot-Serien visuell sehr viel zu bieten haben, wird leider durch diese und andere Schwächen ausgehebelt. Die Autorenteams erzeugen mit düsteren Grundstimmungen (Picard) und pathetisch-schwülstigen Dialogen (Discovery) serienübergreifend eine Dissonanz, die man im alten Star Trek-Universum so nicht kannte. Ironie und Humor bleiben zwar nicht komplett auf der Strecke, aber Kurtzman experimentierte zu oft und zu viel, bis die vierte Staffel von DSC und mehr noch „Strange New Worlds“ zeigten, dass man aus den Fehlern und Missverständnissen die richtigen Konsequenzen gezogen hatte.
Erschwerend war, dass CBS und Alex Kurtzman offenbar ein komplexes Worldbuilding mit mehreren gleichzeitig auf den Markt geworfenen Serien im Sinn hatte. Dabei suchte man nach einem tragfähigen Erzählkonzept. Das Ergebnis waren Experimente mit unterschiedlichen Tonalitäten. Der hauseigene Kanon wurde dabei immer unwichtiger.

Nun ist der Kanon nicht die Heilige Schrift, obwohl es für die Autoren eine Star Trek-Bibel gibt. Das eigentliche Problem sind die Verwerfungen innerhalb der Zeitlinien, die durch Prequels wie DSC entstehen können, aber auch durch inkongruente Time Travels wie in
„Picard“. Das erschwert auf Dauer das Scriptwriting, besonders wenn horizontal erzählt wird. Anders formuliert: irgendwann verirren sich Showrunner und Autoren in einem unübersichtlich gewordenen Erzählkosmos.
MARVEL flüchtet sich mittlerweile in Multi-Universen, um mehr Freiheiten beim Storytelling zu bekommen. CBS und Alex Kurtzman werden auf Dauer um diesen faulen Trick nicht herumkommen. Das verheißt nichts Gutes.

Postskriptum 

Die Kritik ist die 2. und leicht überarbeitete Fassung. Es hatten sich leider Fehler und Ungenauigkeiten eingeschlichen, die das o.a. Dilemma des Sich-Verirrens widerspiegeln. Nach der Überarbeitung entdeckte ich auf heise.de einen denkwürdigen Text von Fabian A. Scherschel: Zum Ende der 3. Staffel: Mit Picard stirbt auch die Hoffnung auf gutes Star Trek."

Scherschel beschreibt in der ersten Person (was zu begrüßen ist!) über seine Beziehung zu Star Trek und warum nach „Picard“ und unter der Ägide von Alex Kurtzman kein vernünftiges Star Trek mehr zu erwarten ist. Die Konsequenz: Ich werde versuchen, alles was ich in drei Staffeln Picard" gesehen habe, so schnell wie möglich unter der Einwirkung von viel Alkohol zu vergessen. Genau wie ich es mit "Star Trek: Discovery" getan habe."

2018 hörte sich das bei Scherschel so an: Trotz vieler Schwächen im Detail leistet (die Serie) dabei Großes. Und trotz aller optischen Änderungen ist die Serie tief im Herzen der Star-Trek-Tradition verpflichtet – sie ist abgrundtief menschlich, eben weil sie Schwächen hat. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Macher von Discovery haben es geschafft, die opulente Optik der J.-J.-Abrams-Filme mit einer – für Star-Trek-Verhältnisse – innovativen Geschichte zu vereinen. Discovery ist dreckig, kantig, brutal und ab 16; es wird deutlich: Star Trek wird erwachsen."

Das soll keine billige Kritik sein. Kritiker ändern ihre Meinung, sie entwickeln sich wie es auch die Objekte ihrer Leidenschaft tun. Die hochemotionale und polemische Streitschrift ist daher ehrlich. Auch weil sich der Autor dafür entschuldigt, dass er die letzte Staffel von „Picard“ zunächst empfohlen hatte. Interessanter erscheint mir, dass Scherschel nicht nur meckert, sondern auch konstruktiv beschreibt, warum Picard" scheiterte und was Star Trek für ihn im Kern bedeutet: Die Verantwortlichen der Serie haben hier komplett vergessen, was der Sinn von guter Science-Fiction in Star-Trek-Manier ist: Es werden aktuelle Probleme aus unserer Welt angesprochen, in dem man sie in die Zukunft überträgt und allegorisch betrachtet."

So weit, so gut. Ähnliches habe ich auch einmal geglaubt. Da Scherschel nun TNG als großes Vorbild anführt, dürfen zwei Dinge nicht vergessen werden: zum einen kann man von einer fast vier Dekaden alten Serie nicht erwarten, dass sie aktuelle Problem aus unserer Welt beschreibt, zum anderen wird nostalgisch vergessen, dass TNG seinen guten Ruf durch überragende Einzelepisoden erlangte. Gut, gelegentlich erweist sich die Serie auch heute noch als vorausschauend, aber man sollte nicht ausblenden, dass viel Mittelmaß produziert wurde. Die erste Season von TNG war z.B. erst ab Episode 12 einigermaßen genießbar.

In meiner Kritik zur 4. Staffel von DSC habe ich nach einer Antwort auf die Frage "Warum schauen wir Star Trek" gesucht und auf die parasozialen Bindungen hingewiesen, die eine gute Serie erzeugt: Man gewöhnt sich an die Figuren und möchte herausfinden, was aus ihnen wird.

Das erklärt nicht, warum man sich eine Serie immer wieder anschaut. Eine mögliche Erklärung ist, dass gelungenes Star Trek immer eine Utopie war und ist - und nicht etwa eine Dystopie. Star Trek ist also optimistisch und konstruktiv, erzählt von archetypischen menschlichen Konflikten (was die Serie zeitlos macht!) und bietet eine ethische Reflexion an. Unterhält man sich mit anderen darüber, was sie an Star Trek bindet, erfährt man sehr oft genau dies: die Bereitschaft zu konstruktiven Problemlösungen und das Interesse an Figuren, die dies versuchen. Wenn man das weiß, dann geht man auch gelassener mit den Reboot-Serien um. Weil man auch weiß: Es war nichts alles Murks.


Note: BigDoc = 4

Star Trek: Picard, Season 3 – Produktion: CBS Studios – Networks / Streaming: Paramount + (ab 2022) – Idee: Alex Kurtzman – Showrunner: Terry Matalas – Drehbuch: Terry Matalas u.a. Regie: Terry Matalas, Doug Aarniokoski, Jonathan Frakes, Dan Liu, Deborah Kampmeier – 10 Episoden – D.: Patrick Stewart, Jari Ryan, Michelle Hurd, Ed Speleers, Jonathan Frakes, Brent Spiner, Gates McFadden, Michael Dorn, Marina Sirtis, LeVar Burton, Amanda Plummer u.a.