Dienstag, 31. Dezember 2013

Best of 2013

Wie immer hinterlässt ein Kinojahr Spuren. In meinem Rückblick sind es weniger die großen Filme, an die man denken muss, sondern einige Fragen. Und wie üblich kann man nicht alle beantworten.

Zum Beispiel: Hat das Kino überhaupt noch eine Zukunft oder wird es lediglich zu einem Teil der großen medialen Verwertung, in der man Filme nur noch gelegentlich im Kino sieht? Sondern noch öfter im Heimkino, im Internet, zum Beispiel auf YouTube oder bei itunes, auf dem Smartphone oder gestreamt von einem Medienserver auf den großen Flatscreen.
Oder: Ist der Film überhaupt noch ein mediales Event oder ist er bereits abgelöst worden von den Serien, vom viel beschworenen Quality TV?

Antwort auf Frage 1: Ja. Antwort: Jein.
Hört man sich im Freundeskreis um, dann scheint der Trend hin zu den Serien klar zu sein: Über die Weihnachtsfeiertage werden Serienprojekte abgearbeitet und nicht Filme geschaut. Natürlich nicht im TV, sondern auf DVD oder Bluray.
 Bei uns im Filmclub schaute sich Melonie über die Feiertage kurz entschlossen einfach mal komplett „Downton Abbey“ inklusive Chrismas Specials an. Natürlich gleich in der Originalfassung, was als UK-Import deutlich preiswerter ist als wenn man hierzulande einkauft.
Ich selbst schaue mir noch einmal „Breaking Bad“ von der ersten bis zur letzten Minute an und freue mich bereits darauf, dass es im TV bald mit „Mad Men“ weitergeht. Früher hätten wir im Club noch den einen oder anderen Film eingeschoben, aber das ist, so scheint’s, im Moment keine Option mehr.
Und so sind die medialen Ereignissen, über die man 2013 gesprochen hat, eben nicht die Filme, in denen Hollywood monströse Roboter wie zum Beispiel in „Pacific Rim“ aufeinander loslässt. Es sind nur noch selten die anderen aufwändig produzierte Blockbuster, die sich endlos selbst zitieren und in denen nur Kids ohne Kinogeschichte im Kopf nicht sehen können, dass hier alter Wein lediglich in neuen Schläuchen serviert wird.
Da kann man auch die Bibel zu Rate ziehen, z.B. Matthäus 9,17: "Auch gießt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißen die Schläuche, der Wein wird verschüttet, und die Schläuche sind verdorben."
Gesprochen und diskutiert wurde über ganz andere Sachen: „The Walking Dead“ zum Beispiel oder „Game of Thrones“ und „Breaking Bad“. Das allerdings ist wirklich neuer Wein.

Aber das Quality TV und seine spektakulären Vertreter schaut in eine ungewisse Fernsehzukunft, denn potente Nachfolger müssen erst geboren werden. Walter White aka „Heisenberg“ ist am Ende seiner Reise angekommen, was man erst im neuen Jahr auf ARTE zu sehen bekommt, und „Dexter“ ist Geschichte, wohl auch im TV.
Am deutschen TV-Normalo gleiten solche Fragen sowieso ohne Rückstände ab. „House of Cards“ ist genauso an ihm abgeperlt wie „In Treatment“. Der TV-Normalo mag so etwas nicht, erst recht nichts Politisches. „Mad Men“ wird mit daher katastrophalen Quoten auf einem miesen Sendeplatz verbraten, „Homeland“ hat sich einigermaßen geschlagen, aber der große Renner war es auch nicht.
Insgesamt ist der Serienmarkt gut sortiert, aber in einigen Fällen man muss manchmal Geduld haben oder im Ausland kaufen. David Simons „Treme“ zum Beispiel wird so schnell nicht in synchronisierter Fassung bei uns zu kaufen sein. Möglicherweise ist es so, dass bei uns das sogenannte Quality TV nur einen begrenzten Kreis von hartleibigen Fans erreicht hat.

Zurück zum Kino. Der von mir beschriebene Stimmungswechsel hat auch im Club seine Spuren hinterlassen. Insgesamt sahen wir weniger Filme, reagierten anspruchsvoller und gleichzeitig ablehnender, was Blockbuster und Mainstream betrifft. Bei einigen Filme stellte sich uns sogar die Frage, ob der Stoff nicht besser in einer Serie aufgehoben wäre. Einige große Namen floppten gnadenlos, aber insgesamt gab es eine Reihe von Perlen, die für große Filmabende sorgten. Und für Überraschungen.


Und hier sind unsere Top Twenty!



Das hat es bei uns noch nie gegeben: auf Platz 1 und 2 landeten zwei Dokumentarfilme! Markus Imhoofs Film über die weltweit vom Aussterben bedrohten Bienen hat uns restlos begeistert: 3x Note Eins für „More than Honey“ – so eine Gesamtnote kommt bei uns nicht gerade häufig vor.

Der mit einem OSCAR ausgezeichnete Musikfilm „Searching for Sugar Man“ überzeugte aus zwei Gründen: zum einen durch die fast märchenhafte Geschichte eines Musikers, der (ohne es zu wissen) mit seiner Musik das politische Klima eines Landes beeinflusste, zum anderen durch die krimireife Suche nach diesem verschwundenen Künstler, den viele bereits für tot hielten, und der schließlich als alter Mann dorthin reisen konnte, wo er zum Superstar geworden war.


Über Francois Ozons „In ihrem Haus“ sah ich nicht nur eine Hommage an Alfred Hitchcock, sondern auch ein raffiniertes diegetisches Experiment, eine Studie über Voyeurismus und Manipulation. Abgesehen davon unterhält der Film auch fabelhaft: wie sich ein junger Mann in eine bürgerliche Mittelstandsfamilie literarisch hineinschreibt und sie gleichzeitig neu erfindet, das war eben nicht nur geistreich, sondern auch amüsant.

Michael Hanekes unsentimentales, aber dennoch berührendes Drama über Tod und Alter erreichte den 4. Platz. Wer sich „Liebe“ zum zweiten Mal anschaut, sollte noch mehr darauf achten, dass dieser Film nicht nur wegen seines Sujets so gut funktioniert, sondern eben auch dank der stilistischen Meisterschaft Hanekes, dessen minimalistischer Film allerdings alles andere als mainstream-tauglich ist.
Dass Zeug dazu hätte schon eher Bobcat Goldthwaits rabenschwarze Mediensatire „God Bless America“, der den Charme eines Vorschlaghammers, aber auch subtile Zwischentöne besitzt. Familientauglich ist die Geschichte eines Mannes, der beschließt alle Idioten in seinem Land zu erschießen, allerdings nicht.

Erst auf den Plätzen 6-8 tauchen die ersten Blockbuster auf: Quentin Tarantinos „Django unchained“ habe ich ähnlich wie „Inglorious Basterds“ als affektive Geschichtsrevision eingeordnet. 
Auch die Presse war positiv gestimmt, was man von dem zum Teil übel attackierten „Cloud Atlas“ nicht behaupten kann. Der Film, der es wagte, an die Tore des Deutschen Filmpreises zu klopfen, wurde von der Kritik und den Fans überwiegend kalt abserviert: „Bilderbrei“, „Popcornkino“, „schlechtester Film aller Zeiten“. Die Mängelliste ist lang. Ich bleibe dabei: der Film von Lana und Andy Wachowski und Tom Tykwer wird in 20 Jahren zu den großen Meilensteinen der Filmgeschichte gehören.
Kommerziell ist dies Peter Jacksons „Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ bereits heute. Und was den Platz im Filmolymp betrifft: auch mit seiner neuen Trilogie hat Jackson das Niveau hochgehalten und die Meßlatte für familientaugliche Unterhaltung sehr hoch aufgelegt. Zudem hält bei Jackson auch das 3 D-Kino immer, was es verspricht.

Philippe Falardeaus über einen „falschen“ Lehrer kann ich denen empfehlen, die abseits vom Mainstream nach kleinen Filmperlen suchen. „Monsieur Lazhar“ ermogelt sich eine Stelle als Lehrer, die er emotional besser ausfüllt also seine professionellen Berufskollegen. Warum dies so ist, erzählt der OSCAR-nominierte Film mit seiner kleinen Geschichte so glaubwürdig und lebensnah wie beinahe kein anderer Film im vergangenen Film- und Kinojahr. 


Die Plätze 11 - 20


Von den Filmen auf den Plätzen 11 – 20 empfehle ich Fans des Kinder- und Jugendfilms Nobert Lechners „Tom und Hacke“ – ein mit kleinen Mitteln produzierter Film. Toll erzählt und auch stilistisch eine rundum überzeugende Hommage an Mark Twains unsterblichen Helden Tom Sawyer. Nur spielt die Geschichte in Bayern und zudem noch in den Wirren nach 1945. Einziges Manko: der Film besitzt keine deutschen Untertitel und wer kein Bayerisch versteht, könnte ernsthafte Probleme bekommen.
 

Auch Gus van Sants „Promised Land“ schaffte es buchstäblich auf den letzten Metern in die Jahresauswertung. Der Film ist typisch für eine bestimmte Erzählweise im amerikanischen Kino: sehr emotional, sehr moralisch, alles andere als unpatriotisch und leider mit einer zu geringen informativen Tiefenschärfe. Also ganz anders als Steven Soderberghs Pharma-Thriller „Side Effects“.
Schade ist nur, dass wir hierzulande nicht einmal dieses Niveau hinbekommen. Gus van Sant überzeugt dennoch, weil er mit Matt Damon einen sympathischen, aber sehr ambivalenten Helden präsentiert, der aus guten Gründen das womöglich Schlechte tut: er versucht im Mittleren Westen der USA für einen Global Player Land zu pachten, auf dem Schiefergas gefördert werden soll. Und zwar mit „Fracking“. Ein Milliardengeschäft und auch eine Geschichte über die Krise der amerikanischen Farmer, die den in Aussicht gestellten Geldsegen zunächst für ein Weihnachtsgeschenk halten. Wie sich Damon vom Saulus zum Paulus wandelt, ist darstellerisch eine starke Vorstellung. Damon hat auch am Script mitgearbeitet.

Mit 46 Filmen ist die Jahresausbeute 2013 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal kräftig gesunken. Es gab eine Reihe exzellenter Filmabende, einige viel versprechende Kandidaten und natürlich auch die „Flops des Jahres“, die ich nicht vorenthalten möchte. 

Totalabstürze (Noten in Klammer) waren: „Hänsel und Gretel – Hexenjäger“ (5,5), „The Paperboy“ von Lee Daniels (5), Len Wisemans Remake „Total Recall“ (5), „Elite Squad – Im Sumpf der Korruption“ (4,7), aber auch erstaunlicherweise Paul W. Andersons „The Master“ (4).
Den Einzug in die Top Twenty verpassten u.a. „Zero Dark Thirty“ von Kathelyn Bigelow, Benh Zeitlins sehr poetischer Film „Beasts of the Southern Wild” und Ben Afflecks „Argo”.

Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch und ein spannendes neues Filmjahr 2014.