Mittwoch, 9. Oktober 2013

DVD-Review: „Luther“-Box (Season 1-3)

Deutschlands zerfurchte Serienlandschaft führt gelegentlich zu absonderlichen Ereignissen. Die britische Serie „Luther“ wurde 2011 vom ZDF an die digitale Schwester ZDFneo weitergereicht und erst nach auffallend guten Quoten Anfang 2012 von den Mainzern ins Hauptprogramm gehoben. Auch dort durfte der deutsche Krimifan nur eine arg gekürzte Version des BBC-Krimis bestaunen, die gleichsam beschädigt in den DVD- und Bluray-Release ging. Die englische Filiale eines bekannten E-Tailers verkauft nun seit Anfang August alle drei Staffeln in einer Box – natürlich ungekürzt und für weniger als 20 £.
 

Gut dran ist, wer Englisch kann. Die große, in markantem Rot gehaltene „Luther“-Box enthält nämlich nur englische Subs. Wer in der Schule aufgepasst hat, muss aber nur mit geringen Problemen rechnen und die Fans von Idris Elba werden sich von solchen Kleinigkeiten ohnehin nicht aufhalten lassen. Ich habe pro Episode ca. 3-4-mal die Pausetaste drücken müssen, um schnell gesprochene Passagen übersetzen zu können. Der Rest ging on the fly.
 Dafür wird man durch Aktualität entschädigt, denn die Box war in Great Britain nur wenige Tage nach der Ausstrahlung der letzten Episode der finalen Staffel auf dem Markt. Und endlich kann man die Originalfassung mit deutlich mehr guten Dialogen konsumieren und nicht eine der Internationalen Fassungen, die von der BBC auf den Markt geworfen. Bei „Luther“ wurden die knapp 60-minütigen Episoden nämlich für den deutschen Markt in ein 45er-Format ‚gewandelt‘. 

Auch wenn es Puristen aufregt: der Vergleich der Originalfassung mit der gekürzten Fassung fiel mir aufgrund des zeitlichen Abstands zur Erstausstrahlung erstaunlich schwer. Auf Anhieb konnte ich das neue Material jedenfalls nicht erkennen. Storyline und Charaktere haben in der Short Version offenbar nicht so viel eingebüßt, wie man grundsätzlich befürchten muss. Natürlich ist das kein Plädoyer für gekürzte Schnittfassungen, im Gegenteil. Aber der Geist der Serie ist dann doch wohl nicht schwer beschädigt worden. Nun also das große Finale, das weitgehend mit der hohen Qualität der ersten Season Schritt halten konnte.


Luther – ein moralischer Borderliner

Worum geht es in „Luther“? Detective Chief Inspector John Luther (Idris Elba, „The Wire“ 1-3) ist ein Hybrid, irgendwo zwischen Charles Bronson und Sherlock Holmes angesiedelt. Also ein Schuss Vigilantismus und messerscharfe Intelligenz, die besonders in seinen raffinierten Verhörtechniken sichtbar wird. Ein Copper, der es mit den Dienstvorschriften so lange ernst meint, wie es seine eigenen hohen moralischen Maßstäbe dulden können. So lässt Luther am Anfang der 1. Staffel den berüchtigten Kinderschänder Henry Madsen in voller Absicht in die Tiefe stürzen, was eine Reihe von Untersuchungen und Folgeschäden auslöst, die sich konsequent in der letzten Staffel entladen.

Die detektivische Brillanz Luthers besteht hingegen in der empathischen Fähigkeit, sich in die obskure Gedankenwelt der zumeist psychopathischen Gewalttäter einzufühlen, die der Zuschauer im Laufe der drei Staffeln zur Genüge kennenlernt. Das ist nicht gerade originell, aber gepaart mit Idris Elbas etwas prolliger Art der Darstellung wirkt der Profiler-Topos durchweg frisch. Aber auch konsequent, denn mit der Luthers komplizierter Beziehung zu einer Elternmörderin, die er nicht überführen konnte, bekommt die Serie eine markantes Alleinstellungsmerkmal. Eine derart spannende Amour fou hat man seit „Das Schweigen der Lämmer“ nicht mehr gesehen: Die von Ruth Wilson exzellent gespielte Alice Morgan ist eine Intelligenzbestie, die bereits mit 13 Jahren ihr Studium in Oxford begann und mit 18 Jahren ihren Doktortitel in Astrophysik erhielt. Die Ermordung ihrer Eltern ist das Gesellenstück einer Soziopathin, deren Gewaltbereitschaft und das entsprechende technische Know-how sicher nicht zum üblichen Rüstzeug einer Physikerin gehören. Aber natürlich ist Alice Morgan eine Kunstfigur wie Hannibal Lecter. 

Alice‘ Interesse an dem unorthodoxen Ermittler steigert sich, grenzt schließlich an Obsession und die anfänglich Hassliebe verwandelt sich in die Freundschaft zweier Beschädigter. Zu den Finessen der 1. Staffel gehört es, Luther und Alice bei ihren gegenseitigen Manipulationen zu beobachten. Etwa dann, wenn Luther ihr mitteilt, dass Henry Madsen aus dem Koma erwacht und zu einer Aussage bereit ist, die Luther schaden wird. Natürlich bringt Alice den Mörder prompt und wie auf Bestellung um und der Zuschauer kann sich fragen, ob Luther nicht doch ein moralischer Borderliner ist, der eigentlich ganz gut zu der Killerin mit einem IQ von 180 passt. Leider verschwindet Alice aus der 2. Staffel und taucht erst am Ende der dritten wieder auf.


Luther besetzt clever die Hard-boiled-Nische

Geschrieben hat das Ganze Neil Cross, der auch sehr erfolgreich für „Spooks – Im Visier des MI5“ tätig war. Die Melange, die Cross zum tollen Score von Paul Englishby entwickelt hat, ordnet „Luther“ eher den obskuren und sehr brutalen Brit-Serien à la „Die Methode Hill“ zu, in der extreme Psychopathen quasi als Monster of the Week präsentiert werden.
 

„Luther“ passt sich dem an, auch wenn die Titelfigur nur selten gewalttätig wird. Cross hat eine horizontale Erzählung entwickelt, die allerdings als quasi abgeschlossene Elemente ausgefeilte Fälle präsentiert, die in der Regel zwei Episoden verklammern und dann auch auserzählt sind. 

In der nur vier Episoden umfassenden 3. Staffel hat es Luther in den beiden ersten Episoden mit einem mörderischen Frauenschuh-Fetischisten und einem abgrundtief bösen Killer im Ruhestand zu tun, während er in den Episoden 3 und 4 einen Vigilanten jagt, der üble Bösewichter vor laufenden Kamera liquidiert.
Im Meta-Plot wird Luther seinerseits von einem skrupellosen Cop aus der internen Ermittlung und einer Ex-Kollegin gejagt, die Luther unbedingt als Bad Cop entlarven wollen.
 

Gelegentlich wirken Luthers Konfrontationen mit dem Bösen fast schon angestrengt, denn es ermüdet schon ein wenig, wenn man drei Staffeln lang immer extremeren Abscheulichkeiten zusehen muss. Fans von „Lewis“ oder „Midsomer Murders“ (Inspector Barnaby) werden „Luther“ vermutlich abstoßend finden. Aber ambivalente Helden und drastische Gewalt scheinen eine gefragte Marktnische zu besitzen, auch wenn die ähnlich ruppige und von BBC America produzierte Serie „Copper – Justice is brutal“ bereits nach zwei Staffeln wieder eingestellt worden ist.
„Luther“ hingegen ist gehobene Serienkost für Zuschauer, die sich auch bei schwedischen Krimis wohlfühlen und sich vermutlich auch für das alles andere als zimperliche Hannibal-Lecter-Prequel „Hannibal“ erwärmen werden, das in dieser Woche in Deutschland seinen TV-Start erlebt, nachdem MyVideo bereits die meisten Folgen rund um die Uhr online und kostenfrei angeboten hat.


Mehr „Luther“ wird es wohl kaum geben. Idris Elba (Prometheus, Pacific Rim), der 2012 den Golden Globe für seine Titelrolle erhielt, war bereits für die finale Season schwer zu casten. Allerdings gibt es in dieser düsteren Serie ein kaum romantisch zu nennendes, allerdings rundum cleveres Happy-end, das nicht nur die Fans von Alice Morgan (Ruth Wilson soll angeblich bereits für ein Spin-off im Gespräch sein) rundum befriedigen wird, sondern auch für einen bereits diskutierten Kinofilm alle Optionen offen lässt.


Auf die Bluray kann man verzichten

Angesichts der Möglichkeit, „Luther“ ungekürzt und zu einem mehr als erschwinglichen Preis sehen zu können, kann die technisch gut gemasterte DVD-Box uneingeschränkt empfohlen werden. Die HD-Ausstrahlung der Serie war o.K., aber nicht gerade Premium (1080i). Die DVD ist immerhin so gut, dass man Idris Elbas Barthaare einzeln zählen kann. Mehr geht eigentlich nicht.

Luther (BBC One, BBC HD, 2010 – 2013), 14 Folgen à 60 Minuten; Buch: Neil Cross; D.: Idris Elba, Ruth Wilson, Dermot Crowley, Michael Smiley, Warren Brown u.a.
 

Einen guten Überblick über britische TV-Serien gibt es hier: http://www.hamleyhall.de/british_tv/englische_serien.html

Nachtrag

Kurz nach Veröffentlichung dieses Beitrags konnte ich lesen, dass das ZDF die Erfolgsserie „Mad Men“ ab 1.11.2013 ab 23.30 Uhr im Hauptprogramm versenken wird. Begonnen wird mit der 5. Staffel, nachdem die früheren Seasons wesentlich früher bei ZDFneo zu sehen gewesen sind.
Auf dem neuen Sendeplatz für Qualitätsserien soll dann auch
Luther“ zu sehen sein.
Diese Mischung aus Verschlimmbesserung und Mutlosigkeit ist schon bemerkenswert, denn die Programmverantwortlichen ignorieren tapfer, dass die Mehrheit der jüngeren Fans lieber zur DVD greift oder oder andere nicht-lineare Verbreitungsformen wählt, zum Beispiel Online-Angebote. Und welche Zielgruppe ausgerechnet in der Nacht zum Sonnabend angesprochen werden soll, erschließt sich auch nicht auf Anhieb. Merke: das ZDF hat einen Altersdurchschnitt von 60+, ZDFneo liegt bei 50+ und einem Marktanteil unterhalb der Wahrnehmungsgrenze.


Mit anderen Worten: eine Alibi-Reaktion. Nicht zu vergessen ist, dass die Öffentlich-Rechtlichen (aber auch die Privaten) jahrelang die Mär verbreitet haben, dass horizontal erzählte Serien und US-Quality-TV in Germany nicht an den Mann und die Frau gebracht werden können. Dieses Vakuum wurde nur teilweise von den Privaten gefüllt und später sind eigenproduzierte Premium-Produkte der Öffentlich-Rechtlichen tatsächlich gescheitert. Man hatte die Zielgruppen verloren.

Nachdem ARD und ZDF sich zudem aus dem US-Serien-Geschäft zurückgezogen hatten, kommt nun die überraschende Wende. Vermutlich zu spät und auf die Quoten bin ich gespannt.
 

Die Alternative: gute Serien staffelweise und aktuell in kurzer Zeit anbieten und das auf einem attraktiven Sendeplatz und nicht zu nachtschlafender Zeit, denn dort werden die Quoten nur bestätigen, was die Macher schon vorher wussten.
Fazit: Vermutlich kommt alles zu spät. Zuschauer zurückzugewinnen ist schwer. Trotzdem sollte man den Versuch nicht vor dem Ergebnis abschreiben. Vielleicht geschieht ein Wunder und ansprechende Quoten geben den Verantwortlichen den Mut, in Zukunft etwas mehr zu riskieren.


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