Dienstag, 26. Dezember 2023

Die besten Serien 2023

Wieder einmal muss das Unmögliche möglich gemacht werden: nämlich die besten Serien eines Jahres zu ermitteln. Kriterien dafür gibt es nur beschränkt, denn nicht VoD-Anbieter legen ihre Zahlen auf den Tisch. Der Rezensent verließ sich dagegen auf seinen äußerst subjektiven Geschmack.

Im Web schwirren dagegen die unterschiedlichsten Listen herum. Gemessen wurde nach Abruf in Stunden (Netflix), andere Anbieter beschränkten sich auf nur wenige Anbieter oder veröffentlichten ein Best of der Kritiker. In meiner Liste werden Serien von Amazon Prime, Disney+ und Paramount+ und in seltenen Fällen auch Serien aus den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen berücksichtigt.


Interessant und ernüchternd ist etwas anderes. Filmrezensionen gab es 2023 in diesem Blog so gut wie keine mehr. Und wenn, dann fielen sie ernüchternd aus. Mit großem Abstand konnte mich nur ein Film begeistern: Steven Spielbergs „The Fabelmans“ – eine Geschichte, in der man erleben konnte, dass der Enthusiasmus, den man beim Filmmachen braucht, das Leben eines Filmemachers auf den Kopf stellen kann. Die Liebe zum Kino kann einsam machen. Aber Steven Spielberg erzählte dies in seinem autobiographischen Film mit viel Empathie und sein Filmende gehört zu den schönsten, die ich gesehen habe.

Bei den Serien habe ich auf einen Vergleich mit anderen Plattformen diesmal verzichtet. Bei statista.com verschwinden einige Auswertungen hinter einer Paywall, andere veröffentlichen nur noch die Zahlen des Vormonats. Wie auch immer: bei den meisten Listen stellte ich resigniert fest, dass ich gefühlte 90% der Serien nicht gesehen hatte.

Meine Best of 2023

 

Platz 1: The Marvelous Mrs. Maisel

In fünf Staffeln und 43 Episoden erzählte Amy Sherman-Palladino die Geschichte des weiblichen Stand-up-Comedian Midge Maisel (Rachel Brosnahan) in den 1950er- und 1960er-Jahren, bevor die Serie in der letzten Staffel zeigt, was aus den Figuren geworden ist. Also das, was man sonst selten erfährt.
„The Marvelous Mrs. Maisel“ war visuell mit seinen knallbunten Farben ein Hingucker, die Dialoge überrollten den Zuschauer in der Tradition der Screwball-Komödie schnell, treffsicher und gelegentlich nervig. Das auch, weil die Figuren alles dafür taten, um ihre Lebensentwürfe scheitern zu lassen. Aber das Tragische verschwand hinter dem Humor einer spannenden Geschichte, in der sich eine hochtalentierte Komikerin mit viel Chuzpe in einer Männergesellschaft durchsetzen konnte. In Sachen Zeitgeist war „The Marvelous Mrs. Maisel“ damit auf Augenhöhe mit „Mad Men“.

Platz 2: Strange New Worlds, Season 1

„Trotz einiger Schwachstellen ist Strange New Worlds seit langer Zeit die erste Star Trek-Serie, die diesen Namen wirklich verdient. Sie sieht gut aus (was mittlerweile selbstverständlich ist) und schöpft alle Vorzüge des vertikalen Erzählens aus, ohne auf einen Metaplot zu verzichten. Entscheidend für das positive Gesamturteil ist aber der tolle Cast und dessen unverkrampfter und spontaner Humor. Und Anson Mount als neuer Captain der USS Enterprise“, schrieb ich in meiner Rezension. Trotzdem: einige wenige Folgen waren aus meiner Sicht totale Flops am Rande der Peinlichkeit. Leider erwischte ich mit dieser Meinung ausgerechnet die Folgen, die für viele Fans die besten waren. Ich darf das. Ich bin zwar kein Trekkie, habe aber alle Staffeln und Filme mindestens 3x gesehen. Rezension.

Platz 3: The Last of Us

Die postapokalyptische HBO-Serie von Craig Mazin und Neil Druckmann basiert auf dem gleichnamigen Computerspiel und lässt sich zumindest ansatzweise mit „The Walking Dead“ vergleichen. In den USA hat eine fürchterliche Pilzepidemie das Land in eine Todeszone voller Mutanten verwandelt. Die wenigen Quarantänezonen werden von einem autoritären Regime kontrolliert. Gegen die Militärdiktatur kämpft die Untergrundbewegung „Fireflies“. Ausgerechnet der kaltschnäuzige und zynische Hasardeur Joel Miller (Pedro Pacal) soll ein 14-jähriges Mädchen (Ellie Williams) zu den Fireflies bringen: Bella ist immun und könnte bei der Entwicklung eines Serums entscheidend sein.
„The Last of Us“ ist ein Road- und Buddy-Movie mit überwiegend vertikal erzählten Episoden, die alle Erzählfloskeln einer Dystopie unterlaufen und teilweise so originell sind, dass man sprachlos ist. Die 3. Episode „Long, Long Time“ gehört mit zum Besten, was man in diesem Genre in den letzten Jahren zu sehen bekam. Am Ende macht Joel die Erfahrung, dass man jemanden, den man wie eine Tochter zu lieben gelernt hat, mit einer frommen Lüge vor der Grausamkeit der Wahrheit beschützen muss. In TWD waren die brillanten Episoden gelegentliche Highlights, in „The Last of Us” ist jede Episode ein kleines Meisterwerk. Die zweite Staffel soll 2025 zu sehen sein. Rezension.

Platz 4: Billy the Kid

Western sind wieder angesagt: „Lawmen: Bass Reeves“ erzählt die authentische Geschichte des ersten farbigen US-Marschalls, „The English“ ist die Rachegeschichte einer Engländerin im Wilden Westen und ästhetisch einen Meilenstein des Genres. Das ist „Billy the Kid“ nicht. Visuell ist die Serie eher trist und fast farblos, aber dies war auch gewollt.
Der berüchtigte Revolverheld William H. Bonney gehört zu den Western-Ikonen, die bis heute die Genrefans begeistern. Zahllose Filme wurden über den Outlaw gedreht, alle interpretierten den Mythos auf ihre Weise. Showrunner Michael Hirst versucht faktenbasiertes Licht in die historische Dunkelheit bringen. Im achtteiligen Serienauftakt beginnt Billys Geschichte – und das ist neu – mit seiner Kindheit und dem gescheiterten Versuch seiner irisch-stämmigen Immigranten-Familie, sich im Westen des ausgehenden 19. Jh. eine neue Existenz aufzubauen. Billy (Tom Blyth) erfährt aber recht früh, dass das Versprechen einer neuen Freiheit eine Illusion ist, da korrupte Politiker und Rinderbarone den Reichtum unter sich aufteilen. Inhaltlich ist Hirsts Serie in dieser Hinsicht realistisch und authentisch. Auch die Darstellung von „The Kid“ kommt den Fakten sehr nahe, auch wenn das wichtigste Buch über den Gunslinger ausgerechnet von dem Mann geschrieben wurde, der ihn erschoss. Die erste Staffel der Serie endet vor dem Beginn des berüchtigten Lincoln County War (Rezension). Die zweite Staffel (MGM+) lief im vergangenen Oktober an und ist in Deutschland aktuell nicht abrufbar.

Platz 5: The Old Man

„The Old Man“ ist eine Verfilmung von Thomas Perrys gleichnamigen Roman aus dem Jahre 2017 und wurde von Jonathan E. Steinberg („Human Target“, 2010-2011, „Black Sails“, 2014-2017) und Robert Levine für FX entwickelt. Alternde Heldenfiguren sind selten, und wenn man welche zeigt, dann in Filmen wie „Space Cowboys“. Auch Dan Chase (Jeff Bridges) ist ein Rentner im Untergrund. Der ehemalige CIA-Agent tauchte dreißig Jahre zuvor unter, wird aber von seiner Vergangenheit eingeholt, als ein Auftragskiller nachts in seiner Küche auftaucht. Ausgerechnet ein guter Freund, der stellvertretende FBI-Direktor Harold Harper (John Lithgow), scheint der Strippenzieher zu sein.
„The Old Man“ reiht sich in die Tradition der alte Paranoia-Thriller ein, ohne dabei angestrengt nach innovativen Formeln zu suchen. Die Serie ist Old-School, aber in Sachen Gewalt schiebt „The Old Man“ alle Genrekonventionen beiseite. Wenn es brutal wird, hat man es meistens nicht erwartet. Auch der verwickelte Plot hält einige Geheimnisse bereit, die ihren Ursprung in Afghanistan haben.
Richtig spannend ist aber etwas anderes: die Hauptfigur. Man möchte sie reflexhaft mögen, aber je länger man Dan Chase zuschaut, desto größer wird der Verdacht, dass dieser alte Mann ein paranoider Soziopath und eine Killermaschine ist. Empathie ist für ihn ein Werkzeug, um Menschen zu verstehen – und dann zu manipulieren. Oder zu töten. Gleichzeitig muss Chase wieder lernen, mit Gefühlen umzugehen. Sieben Episoden lang eine fantastische Performance von Jeff Bridges. Weitergehen soll es auf Disney+ Mitte 2024. Rezension.

Ferner liefen…

Platz 6: Bosch Legacy (Staffel 2): In der neuen Staffel geht es um die Verfilmung von Michael Connellys Roman „The Wrong Side of Goodbye“. Im „Legacy“-Universum ist Ex-Cop Bosch mittlerweile ein Private Eye, während seine Tochter Maddie (Madison Lintz) beim LAPD in die Fußstapfen des Vaters tritt. Die von Amazon Studios produzierte Serie läuft im Freevee-Channel, also mit Werbung. „Bosch“ ist gediegene Krimi-Unterhaltung, und wer Bebop mag, freut sich immer wieder über Boschs Hund „Coltrane“. Und wenn der Ex-Cop nachts in seinem auf Stelzen gebauten Haus hoch über L.A. sitzt und Jazz hört, liegt ihm das glitzernde Los Angeles zu Füßen. Die Plots hat man schnell vergessen, aber nicht Titus Welliver, der aus der Hauptfigur eine Krimi-Ikone gemacht hat. Rezension.
Platz 7: Mrs. Davis: Die Serie von Damon Lindelof und der Sitcom-Spezialisten Tara Hernandez ist ein Unikat: die Handlung ist völlig wahnwitzig, aber extrem originell und garantiert etwas, dass die meisten noch nie gesehen haben. Die Nonne Simone (Betty Gilpin) erhält von Jesus und der Mutter Maria den Auftrag, den Heiligen Gral zu finden und zu zerstören. Aber auch die KI „Mrs. Davis“ will das, aber Simone möchte viel lieber die KI töten. Lindelof und Hernandez stopfen die Episoden mit so viel schrägen Einfällen und Gags voll, dass man zunächst den Faden verliert. Aber spätestens ab der fünften Episode wird klar, dass in der Amazon Prime-Serie alles absolut logisch ist. Was nun wirklich nicht zu erwarten war. Traurig ist nur, dass die KI ausnahmsweise mal nicht böse ist, sondern den Menschen ein Paradies auf Erden geschenkt hat. Doch nicht jeder findet das gut. Rezension.
Platz 8: Strange New Worlds (Staffel 2): Eigentlich ist die 2. Staffel noch besser als die erste. Aber da ich einer Episode eine glatte Fünf gab, senkte dies den Notenschnitt. SNW liefert erneut einige ikonische Star Trek-Episoden ab und wechselt dabei kräftig die Genres. Neben Military Action, Zeitreisen und einem brillanten Gerichtsdrama gibt es wieder viel Comedy, aber das Crossover von SNW und „Star Trek: Lower Decks“ (02x07 „Those Old Scientists“) und die singende Crew (und singende Klingonen!) in 2x09 in „Subspace Rhapsody“ toppten alles, was man zuvor gesehen hatte. „Subspace Rhapsody“ wollte ich eigentlich überspringen. Tat ich nicht, und nun halte ich das Musical auf der „Enterprise" für eine der besten Star Trek-Episoden ever. Rezension.
Platz 9: „The Handmaid’s Tale“ (Staffel 5): Die Zeiten, in denen June Osborne (Elisabeth Moss) eine sexuell missbrauchte Magd war, sind vorbei. Die Zeit der Rache ist gekommen. Die 5. Staffel spielt überwiegend in Kanada, wo June ein neues Zuhause gefunden hat. Showrunner Bruce Miller konzentriert sich nach der Hinrichtung von Fred Waterford (Joseph Fiennes) in Staffel 5 auf den hasserfüllten Kampf zwischen Waterfords Witwe Serena (Yvonne Strahovski) und June. Nebenbei, aber sehr erschreckend, skizziert Miller ein xenophobes Kanada, das die Gilead-Immigranten nicht im Land haben will und sogar das misogyn-faschistische Gilead für eine politische Alternative hält. Beängstigend. Die sechste und letzte Staffel der Hulu-Serie soll 2024 an den Start gehen und wird wohl kaum vor Ende 2024 in Deutschland zu sehen sein. Rezension.
Platz 10: Deutsches Haus: Showrunner Annette Hess erzählt in der fünfteiligen Disney+-Serie vom ersten Auschwitz-Prozess in den Jahren 1963-1965 und was dies mit einer naiven jungen Frau macht, die mit dem Holocaust und dem eisigen Schweigen der Verantwortlichen und der Mitläufer konfrontiert wird. Die von Katharina Stark herausragend gespielte Hauptfigur will dies nicht hinnehmen und wird mit den schrecklichen Geheimnissen der eigenen Familiengeschichte konfrontiert. Technisch konnte die Serie trotz UHD und Dolby Vision nicht überzeugen, zudem nuscheln die Darsteller. „Deutsches Haus“ will eine Abrechnung mit dem Geschichtsrevisionismus sein, der bis in die Gegenwart hineinreicht, aber auch eine feministische Parabel. Dies gelingt nicht immer, erreicht aber mit einem Familiendrama wohl viele Zuschauer, die nicht allzu tief in die Hintergründe eintauchen wollen. Rezension.

Trivia

Man könnte noch einiges über die Serien schreiben, die die Top Ten nicht erreicht haben. Etwa über „Reservation Dogs“ (Platz 11). Leider habe ich aktuellen Folgen der Disney+-Serie noch nicht gesehen. Aber wenn es um den puren Spaßfaktor geht, dann ist die MARVEL-Serie „Ms. Marvel“ ein echter Volltreffer gewesen. Die Serie ist enorm witzig, aber nie albern. Das Coming Out einer neuen Superheldin ist endlich wieder eine MARVEL-Story, die rundum gelungen ist. Nebenbei erzählt die Disney+Serie sehr einfühlsam und humorvoll von einer pakistanisch-amerikanischen Familie, die in den USA ihre kulturelle Integrität bewahren will. Was nicht leicht ist.
Zu erwähnen sind auch die mehr oder weniger durchgefallenen Serien des vergangenen Jahres. „Der Schwarm“ landete nur auf Platz 19, aber wenn man das Buch nicht kennt, wird man einigermaßen gut unterhalten. Mies und enttäuschend waren dagegen „Tom Clancy’s Jack Ryan“ (Staffel 3), „Dexter: New Blood“, „Picard“ (Staffel 3) und mit großem Abstand „Luther – The Fallen Sun“ – übrigens die einzige Serie, die die Note Fünf erhielt.

Fazit: im Vergleich zu 2022 war das zurückliegende Jahr deutlich besser. Sieben Serien erhielten Noten zwischen 1 und 1,5 – im Vorjahr waren es nur fünf. Hoffen wir also, dass es im nächsten Jahr so weitergeht.